Kapitel 42 - Dienstag, 23.8. (*2*)

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„Wollen wir diese Bücher mal holen?" fragte Tom leise.
„Schon! Aber die meisten sind eh schon in unserer Wohnung!" meinte sie keck.
„Das habe ich mir fast gedacht!" Er drehte sich mit ihr im Kreis, dann küsste er das süße Blaustrümpfchen. „Eigentlich möchte ich ja jetzt dringend ins Bett mit dir!" stöhnte er.
„Und uneigentlich?"

Er lachte. „Uneigentlich müssten wir erst einmal zum Heli kommen!"
„Taxi?"
„Wäre eine Option! Aber zuerst möchte ich ein bisschen knutschen!"
„Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Knutschen und Küssen?"
„Knutschen ist ohne Zunge! Das ist nicht so gefährlich!" erklärte er lächelnd.
„Aha! Und du glaubst das wirklich?"
„Ich hoffe es!" Er konnte sich das Lachen kaum noch verkneifen.
„Also fang an!"

„Auf Kommando?"
„Logisch!" Sie hielt ihm ihren Kussmund entgegen.
Er verlor seinen Kampf gegen den Lachkrampf. „Das geht nicht auf Kommando!" Er schnappte nach Luft.
„Komm! Du schaffst das schon! Auf drei! Eins-zwei-drei!"
Und sie behielt Recht, was aber daran lag, dass sie ihn so verliebt ansah, so bezaubernd war, so locker, so unschuldig dreinsah!

Er schaffte es tatsächlich, erregt seine Lippen auf die ihren zu legen, zu knutschen, sanft streifend, ein wenig knabbernd, saugend, pressend zu knutschen, zu knutschen, zu knutschen!
Er allerdings behielt nicht Recht. Knutschen war nicht weniger gefährlich als heiße Zungenküsse. Vielleicht war es sogar noch gefährlicher!

„Puh!" stöhnte er, als er sich widerwillig von ihr löste. „Falsch gedacht! Ganz falsch gedacht!" Er lehnte sich an die Hauswand, zog sie an sich, versuchte, runterzukommen, merkte, dass das ja nicht möglich war, wenn er sie so an sich gepresst hielt, schob sie ein wenig weiter von sich, atmete ein paar Mal tief durch.
„Taxi! Schnell!" bat er.
„Wo?" stammelte sie vollkommen benebelt.
„Weiß nicht!"

Plötzlich musste Sina lachen. Diese Unterhaltung erinnerte sie an das erste Treffen bei ihr zu Hause, ihrem damaligen Zuhause.
„Kuchenplatte?"
Auch er dachte an damals bei diesem Wort, musste lachen.

„Das war süß! Kuchenplatte? Ich habe keine Ahnung!" zitierte er sie. „ Da habe ich schon ein wenig gehofft, dass du dich vielleicht verlieben könntest! Dass ich dir auch gefallen könnte!"
„Na ja! Das war schon ein bisschen überheblich von dir! Das du mir gefallen könntest! Hast du denn keinen Spiegel daheim, dass du sehen könntest, wie hässlich du bist?"

Sie lachten beide, dachten an den ersten gemeinsamen Tag, als sie keine Ahnung hatten, wie es weiter gehen würde mit ihnen. Ob es für eine Beziehung reichen würde, ob sie sich nur anziehend fanden, ob sie sich auch mochten, ob es zum Verlieben reichen würde, ob vielleicht sogar Liebe daraus werden würde.

Es waren Gefühle entstanden zwischen ihnen, die sie beide nicht kannten. Beide wussten nicht, wohin solche Gefühle führen würden. Dann überschlugen sich die Ereignisse und gleichzeitig wurde der Weg klar, den sie gehen wollten.

„Das war so schön, Sina, da an diesem ersten Tag bei dir. Ich meine, ich hätte natürlich auch sehr gerne mit dir geschlafen, auch schon am Montag, nach der Disco, aber es war gut, dass ich mir beweisen konnte, dass ich fähig war, zu warten! Und vor allem, dass ich warten wollte!"

Sina schwanden schon wieder die Sinne, wenn er solche Sachen sagte. Was für ein Mann!
Seine Gedanken waren immer noch bei diesen ersten Tagen.
„Was hättest du gesagt oder gemacht, wenn ich dich gebeten hätte, mit mir nach oben in meine Wohnung zu gehen, als wir daran vorbeigelaufen sind?" fragte er leise.

Sina dachte eine Weile nach.
Er war ein ausgesprochen hübscher Mann, genau der Typ von Mann, der ihr nun mal schon immer gefallen hätte.

Sie war überrascht und glücklich gewesen, dass er sich für sie interessierte. Sie war erregt gewesen von seinen Küssen und vorsichtigen Zärtlichkeiten. Sie hatte ihn nett, humorvoll und intelligent gefunden, war gerne mit ihm zusammen gewesen, da an der Bar, auf der Tanzfläche.
Aber hätte sie gleich in der ersten Nacht den Mut gehabt, mit ihm zu schlafen? Hätte sie vor allem den Wunsch dazu verspürt, so wie zwei Tage später, als sie sich über ihre Gefühle klarer geworden war?

„Ich wäre wahrscheinlich mitgegangen, aus Angst, mich zu dumm zu benehmen, aus Angst, dass du das Interesse an mir verlierst, aus Angst, dich zu verlieren!"
Tom hatte diese Antwort geahnt. Und er war allen Mächten des Himmels und der Erde dankbar, dass er sich beherrscht hatte, dass er sie nicht gefragt hatte, dass er ihr Zeit gelassen hatte.

Sie hätte mit ihm geschlafen, weil sie damals gedacht hätte, sie müsste es tun, um sein Interesse an ihr wach zu halten!
Und zwei Tage später hatte sie mit ihm geschlafen, weil sie es wollte! Das war ein himmelweiter Unterschied!

Sie wären sicher auch noch zusammen, wenn er sie mitgenommen hätte an diesem Abend. Er hätte ihr gut getan, sie hätte nichts bereuen müssen, sie hätten beide die Liebe genossen! Sie hatte ihn ja auch begehrt, das hatte er schon gefühlt! Aber so, wie es dann gekommen war, war es tausend Mal besser!

Sie hatte die Sicherheit des Gefühles gehabt, nicht nur die Lust, und er auch!
Als er gerade wieder anfangen wollte zu küssen oder zu knutschen, kam der Polizeichef auf sie zu.

„Na! Ihr seid ja immer noch da!" wunderte er sich.
„Wir müssen zum Heli auf dem Standort und wissen nicht, wo es Taxis gibt!" erklärte Sina lachend.
„Ich fahre euch!"
„Prima! Wieder Geld gespart!" scherzte Tom.

„Von wegen!" Der Polizist lächelte in den Rückspiegel. „In Garmisch fahren die Bergretter kostenlos im Taxi, das weißt du genau!"
„Ah! Stimmt ja! Ich bin nicht so klar im Kopf nach dieser Nacht!"
„Na ja! Ob es die Nacht war oder der Tag, sei mal dahingestellt!" zog ihn ihr Fahrer auf. „Was hast du eigentlich gemeint, als du im Krankenhaus gesagt hast, du kämst mit dem Zählen nicht mehr mit?"

Tom lachte, Sina grinste. „Jedes Mal, wenn sie ein Männerherz bricht, mache ich eine Kerbe! Es sind schon einige zusammengekommen!" erklärte er. „Heute waren wir bei sieben, oder Süße?"
Sie knuffte ihn. „Du Spinner!" Es war ihr peinlich vor dem älteren Mann, dass er so über sie sprach!

Doch der lachte nur. „Na, der Doc war ja ordentlich enttäuscht!"
„So ist es überall, wo wir hinkommen! Die Männer balzen und hecheln!"
„Aber das ist ja auch verständlich, oder?"
„Logisch!" antwortete Tom stolz.
„Anderes Thema! Anderes Thema! Anderes Thema!" sang sie zu einer erfundenen Melodie.

„Okay! Anderes Thema!" Der Polizist zog ein gefaltetes Papier aus seiner Jackentasche. „Da! Ein Scheck von Peter für eure Hilfe!"

Sina verzog das Gesicht, als sie den Betrag sah. 10.000 Euro! Es war ein komisches Gefühl, dafür bezahlt zu werden, jemandem geholfen zu haben! Es hatte einen ganz bitteren Beigeschmack!
Aber manche Menschen begriffen wohl nicht, dass ein ehrliches Dankeschön tausend Mal mehr zählte als Geld!

„Na, da wird sich mein Verein aber freuen!" stellte Tom fest und nahm sein Engelchen in den Arm. Ihren Blick hatte er genau bemerkt, ihre Gedanken konnte er lesen, waren es doch die seinen.

„Ein Fußballverein?" fragte der Polizeichef nach.
„Nein! Ein Verein, der gegen Drogensucht arbeitet!" erklärte Sina. „Tom hat ihn während seiner Schulzeit gegründet!"

Die Achtung des Polizisten vor dem jungen Bergretter stieg noch mehr.
„Ist ein cooler Typ, Ihr Tom!" Sein Blick traf ihren im Rückspiegel.
„Ich habe dieses Wort immer gehasst! Aber er ist echt ein cooler Typ!" lachte sie.
„Anderes Thema! Anderes Thema! Anderes Thema!" sang er nach einer erfundenen Melodie.

Alle lachten zusammen. Da waren sie auch schon beim Heli-Standort angekommen. Sie verabschiedeten sich von dem Polizisten. Der sah ihnen noch eine Weile nach, wie sie engumschlungen und tanzend zum Hubschrauber gingen. Eine solche Tochter oder einen solchen Sohn hätte er sich auch gewünscht, doch leider waren ihm und seiner Christa Kinder versagt geblieben. Doch es war tröstlich zu wissen, dass es solche jungen Leute gab!


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