Meine Eltern - Alea

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Kalter Wind begann langsam und beinahe verführerisch meinen Körper zu umspielen. Einige lose Strähnen begannen mit ihm im Wind zu tanzen. Beinahe brutal unterbrach ich ihren lieblichen tanz und strich sie mir mit einer fließenden Bewegung hinter mein Ohr. Mein Blick wanderte hinauf zum Himmel. Eine dichte Schicht aus Wolken hatte sich über einen blauen strahlenden Himmel gelegt und dieser schien Freude daran zu finden, dass Menschen ihre Stimmung so von ihm abhängig machten. Er schien ein Mann zu sein, der die Aufmerksamkeit liebte und brauchte. Hin und wieder musste er sich dann hinter Wolken verstecken, damit die Menschen wieder beginnen ihn sehnsüchtig anzublicken. Genauso selbstsüchtig wie ein Mensch. 
An der Ampel, an der ich vorbei lief begann es sich langsam zu stauen und ein Mann ende vierzig empfand es anscheinend für nötig seine gereizten Nerven zu betonen, indem er so fest wie er nur konnte auf die Hupe drückte. Der laute Ton hallte, durch die eh schon lauten Gassen und brachte die kleinen Knöchelchen in meinem Ohr zu schreien. Ich zuckte zusammen und drückte mir die Hände auf die Ohren. Zu laut!

Mein Herz begann schneller zu schlagen und ich holte schwer Luft. Laute Geräusche vertrug ich nicht besonders gut. In meinem Kopf begann es dann immer wieder zu dröhnen und vor meinen Augen begannen dunkle Schatten zu tanzen. Nicht lange und in meinem Kopf wurde es wieder still. Für einen Moment schloss ich meine Augen und holte erneut tief Luft. Als sich langsam meine Lider wieder hoben, sah ich hinunter auf meine Hände. Von der Kälte die sich fest um sie schnürte hatten sie begonnen zu zittern. Ich hob sie näher an mein Gesicht und blies vorsichtig etwas meines warmen Atem ihnen entgegen.

Langsam begann ich wieder einen Fuß vor den anderen zu setzten und mich nach Hause zu bewegen. Die Schultasche drückte mir schwer auf die Schulter und der Wind wurde langsam fordernder. Fester schlangen sich seine langen Bahnen um mich und drückten meinen Brustkorb kaum merklich zusammen. Wohnhaus an Wohnaus zog an mir vorbei, bis schließlich ein großes Orangenes in mein Blickfeld fiel. Vor der Eingangstür blieb ich stehen und begann in meiner schwarzen Tasche zu kramen. Meine Hand streifte kaltes Metal und schlüpfte in einen kühlen Ring. Zusammen mit einem Raschelnden Schlüsselbund zog ich meine Hand wieder aus der Tasche. An einer kleinen Voodoopuppe hangen drei Schlüssel. Ich drehte den Bund in meiner Hand und steckte den ausgewählten Schlüssel in das Schloss. Ich drehte ihn leicht im Schloss, bis ein dumpfes Klicken erklang und die Tür plötzlich aus dem Schloss sprang.
Meinen Schlüssel zog ich wieder raus und trat ein, hinter mir glitt sie dann wieder zu. Mit einem großzügigen silbernen Aufzug fuhr ich dann bis in den dritten Stock. Ich stand mit dem Rücken zum Spiegel und sah nur einmal kurz hinein, als ich mich gerade aufmachte, diese kleine Kammer wieder zu verlassen. Weiter Strähnen hatten sich aus meinem Zopf gelöst und begannen nun durch die leichte statische Ladung, die die Luft durchsetzte, leicht nach oben zu richten. Im dezent blauweißen Licht der LED-Lichter, die man in die Deckenplatte integriert hatte, so dass es aussah als würde einen ein Ufo gleich verschlingen, ließen mein schwarzes Haar einen dunkelblauen Schein annehmen. Im starken Kontrast dazu leuchteten einem meine giftgrünen Augen beinahe bedrohlich entgegen, auch wenn mein Gesicht ohne einen besonderen Ausdruck war. Eine weiße Haut überspannte die Knochen und Muskeln in meinem Gesicht und hellrosa Lippen versteckten die weißen und inzwischen schon durch den Zahnarzt gebleichten Reihen an gesunden Zähnen.
Langsam bewegten sich meine schmalen Beine aus dem Fahrstuhl und liefen die letzten Schritte zu der hohen, perlweißen Wohnungstür. Erneut drehte ich den Schlüsselbund in meiner Hand und steckte den passenden Schlüssel in das Schloss. Das Knacken, des sich öffnenden Schlosses war bei unserer Eingangstür kaum noch zu hören. Vorsichtig drückte ich sie auf und trat in die Wohnung. Die warme Luft unserer elektrischen Heizung strömte mir entgegen und ließ mich erleichtert ausatmen. 

„Hallo mein Schatz." Die weiße Milchglastür, die den Gang von unserem Wohnzimmer abgrenzen konnte, wurde langsam aufgezogen und dahinter erschien das Liebe, schon etwas eingefallene Gesicht meiner Mutter. Ihre Haare hatte sie nach oben zu einem Dutt gebunden und mit Hilfe eines Elektrolyte Farbsprays gefestigt. In der Werbung versprachen sie einem, dass man damit auch das fieseste graue Haar verschwinden lassen konnte, doch bei meiner Mutter schaffte es immer wieder diese eine Bestimmte graue Strähne sich dieser Kur zu entziehen und ihre natürliche Farbe bei zu behalten. So erinnerte sie mich immer einwenig an das klassische Portrait von Frankensteins Braut. Jetzt müsse sie nur noch die Haare wie Marge Simpson und sie würde diese Rolle wunderbar ausfüllen.

„Hallo, Mum." Ich löste langsam die Tasche von meiner Schulter und beobachtete wie die Schuhe sich langsam von meinen Füßen lösten. Langsam schlüpfte ich mit einem Fuß nach dem anderen heraus und stellte die Schuhe auf eine silbergraue Metallplatte. Die feinen Sensoren, die darin verarbeitet waren nahmen die Schuhe, durch ihr Gewicht war und zogen sie mit sich in das Regal. Eine Programm sagte dem System dann an welche Stelle die Schuhe gehörten.

„Und wie war es heute in der Schule?" Ich zog den Reisverschluss meiner Jacke nach unten und spürte die feinen Saugnäpfe des Kleiderständers, die meine Kleidung entgegen nahmen und an einer Kleiderstange in den, in die Wand hinein gesetzten, Schrank schoben.

„Ganz gut eigentlich. Meine Mathelehrerin war so gnädig und hat uns zur Überraschung eine kleine Mathewiederholung schreiben lassen." Meine Worte trieften gerade zu vor Sarkasmus. Ich unterstrich dann meine Aussage noch mit dem übertrieben freundlichen Lächeln, dass ich auch meine Mathelehrerin bei Abgabe meines Tests zugeworfen hatte. 
„
Hast du trotzdem etwas hinschreiben können?" Ich nickte etwas ungläubig.

„Ja schon...ich würde mir aber nicht zu viel erhoffen." meinte ich nur. Meine Künste in Mathe waren noch nie besonders herausragend gewesen und dennoch sah ich jedesmal bei meiner Mutter, wenn ich wieder mal eine schlechte Mathenote nach Hause brachte, wie ihr ganzes Gesicht für einen Moment vor Trauer erschlaffte. Sie schien sich jedesmal allerdings wieder so schnell zu fassen, dass ich mir oftmals nicht sicher war, ob ich das nun auch wirklich gesehen hatte. Früher war mir das nie so recht aufgefallen, doch seit dem letzten Jahr schien sich irgendwie so etwas wie ein dunkler Schatten über das Gemüt meiner Mutter gelegt zu haben.
Nur etwa zwei Wochen nach meinem siebzehnten Geburtstag hatte ich zufällig in der Nacht mitbekommen, wie sie weinend in ihrem Arbeitszimmer gesessen hatte. Es war bereits spät gewesen, vielleicht so ein zwei Uhr in der Früh. Irgendein Traum hatte mich an dem Abend geweckt. Ich war schnell in die Küche gegangen um etwas zu trinken und wieder etwas runter zu kommen, dabei hatte ich hinter der, im übrigen, einzigen Holztür im Haus leise unterdrückte Geräusche wahrgenommen. Ich hatte schon immer ein sehr feines und auch empfindliches Gehör gehabt, weshalb diese Tatsache mir auch nicht entging. 
Langsam, da ich sie nicht wissen lassen wollte, dass ich sie hörte schlich ich mich an die Tür und öffnete sie nur einen ganz kleines Stück.
Zu weit durfte ich sie nicht öffnen, da sie an einem bestimmten Punkt immer hängen blieb und die Zierdecke, die an ihr hing zu schwingen brachte. Der Künstler, der für dieses Staubfänger die Verantwortung trug, hatte in das Gewebe hunderte von kleinen Glöckchen eingeflochten, die bei stärker Erschütterung ein kleines Schallgewitter auf einen nieder regnen ließen.
 
Vorsichtig linste ich dann durch den kleinen Spalt und sah in dem dumpfen Licht den Rücken meiner Mutter. Sie saß auf an ihrem Schreibtisch auf diesem eigenartigen Hocker, mit einer Art Ablage für die Knie, der eine gesunde Haltung fördern sollte. Ihren Kopf hatte sie, soweit ich das sehen konnte, auf ihre fest ineinander verschränkten Arme gelegt und stieß die Worte der Trauer in das entstandene Loch. Es schockte mich beinahe sie so zu sehen, da ich sie eigentlich nur als starke Frau kannte. Für einige Minuten saß ich dann einfach nur so da und beobachtete wie sich der Rücken meiner Mutter krampfartig zusammenzog und mit einem plötzlichen angespannten Seufzer wieder entspannte. Irgendwann schloss ich dann mit zitternder Hand wieder langsam die Tür. Mit ebenfalls nun feuchten Augen und wackeligen Beinen schlich ich wieder zurück in mein Zimmer. 

Die restliche Nacht war ich dann wach gelegen und hatte einfach nur an die Decke gestarrt. In meinen Ohren hallte immer wieder das krampfhaft unterdrückte Schluchzen meiner Mutter. Sie sah so unglaublich zerstört aus, als hätte ihr jemand mutwillig das Herz auseinander gerissen. Ich hatte nie mit ihr darüber gesprochen, zwar hatte ich es ein zwei mal versucht, doch jedesmal tauchten wieder die Bilder vor meinen Augen auf, wie sie da weinend saß und ich bekam Angst, dass ich sie womöglich mit meiner Frage an etwas schreckliches erinnern könnte.

Ich sah meine Mutter auf meine Antwort nicken und ihren Blick wieder auf die Tür richten. In diesem Moment hörte ich wie sie beinahe geräuschlos aufglitt. Ich drehte mich etwas zur Seite und sah meinen Vater der durch eben diese Tür in unsere Wohnung trat.
Seine Haare waren ebenfalls bereits ergraut, doch im Gegensatz zu meiner Mutter versuchte er es nicht zu verstecken. Meine Oma würde jetzt sagen, dass er sein alter mit würde trug.

Mein Vater war ein sehr schweigsamer Mann. Oftmals tief in sich gekehrt dachte er über die Welt und ihren Sinn an. Soweit ich mich zurück erinnern kann kenne ich ihn eigentlich nur so, die einzige Ausnahme waren, wenn meine Mutter, er und ich einmal ein Picknick in der Natur machten. Sein fahles rosernes Gesicht begann dann immer zu strahlen und er sah um mindestens Zehnjahre jünger aus. Früher hatte ich ihn noch öfter so gesehen, etwa wenn wir zusammen spielten oder er mir Abends, auch gerne wenn es draußen stürmte, eine Geschichte aus einem dicken, schon etwas abgegriffenen Märchenbuch vorlas.
Einmal hatte ich ihn in meiner kindlichen Naivität gefragt, woher es dieses hatte. In unserer Wohnung war alles ziemlich modern und meine Eltern gaben gern ihr reichlich verdientes Geld für neue Errungenschaften aus. Das Einzige was sich davon unterschied war ein Bücherregal, noch aus einer Ikea Reihe, die es vor meiner Geburt gegeben hatte. In eben jenem Regal standen viele alte Bücher, manche auch wirklich Antik, andere waren eher alte Kinderbücher, wie eben auch das Märchenbuch. So richtig befriedigend hatte mein Vater nie geantwortet. Er hatte gemeint, dass es so eine Art Erbstück sei, das man nun immer an die Kinder weitergab. So richtig hatte ich dass damals noch nicht kapiert. Heute vermutete ich einfach, dass es ein altes Buch von ihm oder meiner Mutter war. 

„Hallo Papa." 

Born - Pregnant 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt