Die Fassade - Cassian

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Die Tür glitt mit einem dumpfen Murren auf. Etwas lustlos schob ich mich in den Raum und war überrascht als ich einen festen Blick auf mir spürte. In der dritten Reihe entdeckte ich ein Mädchen. Ihre großen giftgrünen Augen waren auf mich gerichtet und schienen mich zu durchbohren. Ihre Augen schienen gefährlich und irgendwo auch eine unausgesprochene Warnung auszusprechen. Ein eigenartiges Gefühl begann sich in mir breit zu machen und mit einem mal fühlte ich mich mehr als nur unwohl. Mein Körper wurde in Alarmbereitschaft versetzt und meine Nervenenden begannen kitzeln und nur auf einen Reiz zu warten um den Startschuss an mein Gehirn zu leiten. Es passierte allerdings nichts. Jeder von uns beiden blieb an Ort und stelle und rührte sich keinen Millimeter, als würden wir beide auf den ersten Falschen Schritt des anderen warten.

Ich versuchte so schnell wie ich konnte meine Fassade wieder hochzuziehen und mir nicht anmerken zu lassen wie sehr mich ihren Augen aus dem Konzept warfen. Beinahe augenblicklich stieß ich auf Probleme. Mein Körper war etwas gereizt und wollte nicht so recht in seine ursprüngliche scheinbare Ruhephase zurückkehren. Mit einem mal drehte dann allerdings das Mädchen ihren Kopf zur Seite und sah wieder aus dem Fenster. Das komische Gefühl löste sich etwas von mir. Für einen Moment blieb ich noch wo ich war und versuchte alles was gerade passiert oder eher nicht passiert war in den hintersten Winkel meines Bewusstsein zu schieben. Langsam legte ich meine Finger wieder etwas fester um meine Reifen und schob mich zu einem Platz in die erste Reihe.
Im Klassenraum blieb es still. Keiner von uns sagte ein Wort. Ich starrte fast schon zwanghaft nach vorne und betrachtete meine eigen Spiegelung im schwarzen Tafelscreen, der nur unweit von mir entfernt hin. Ihre Reflexion befand sich ebenfalls in meinem Sichtfeld. Ihren Kopf hatte sie auf eine ihre Hände gestützt und warf so ihren Blick beinahe etwas verträumt oder zumindest abwesend hinaus in die Weld. Eine ganze Weile starrte ich nur auf ihre Reflexion und begann selbst in meine Gedanken zu entgleiten. Irgendetwas an diesem Mädchen war komisch, dass hatte ich schon vom ersten Moment an gewusst. Es war nicht nur diese zwar etwas schwache aber dennoch sehr präsente Gefahr, die ihre Augen ausgestrahlt hatten, als wir uns angesehen hatten. Ihr ganzer Körper schien etwas ausstrahlen, dass in mir etwas weckte, ein ganz bestimmtes Gefühl, dass ich noch nicht benennen konnte. Ob sie auch so eine ist? Ein Mädchen das nur an ihren dummen Erfahrungen als Teenager interessiert ist und sich nicht großartig viel Gedanken über die Welt oder den Lauf der Dinge macht...Zu gerne würde ich wissen an was du jetzt denkst. Zumindest scheint es mir nicht so, als währest du so Hormonfehlgeleitet wie die Menschen auf die ich sonst so treffe.

Plötzlich und rapide steigender Lärmpegel riss mich aus meinen Gedanken. Mein Blick wanderte entlang des schwarzen langen Bildschirms. Ein paar Mädchen, gefolgt von einer kleinen Horde Testosteron gesteuerter Jungs, betrat den Raum. Zunächst nahmen sie mich nicht wirklich wahr und wenn ich ehrlich bin störte mich das auch nicht wirklich. Besser ihr fresst euch nur gegenseitig.

Von jeder Minute an strömten nun mehr und mehr Menschen in den nur kurze Zeit zuvor noch so ruhen Raum. Zunächst konnte ich mich noch auskoppeln, da mich niemand wirklich wahrnahm, doch plötzlich spürte ich einen sanfte Berührung an meiner Schulter. Ich erkannte die Reflexion eines Mädchens neben mir. Ich wand meinen Blick langsam von der schwarzen Fläche und sah nun zu einem Mädchen. Ihr Haar hatte sie rosa gefärbt, so dass es aussah als wäre auf ihrem Kopf ein dickes Stück Zuckerwatte langsam verendet und die Masse hatte sich nun in strohigen Strähnen über ihren Kopf gelegt. Zu der Zuckerwatte trug sie ein etwas über dem Knie endendes Kleid und eine Strumpfhose in einer beinahe starken Kontrastfarbe. Ihre schmalen Lippen hatte sie zu einem Lächeln hinaufgeschwungen. 

„Du musst der neue Schüler sein. Mein Name ist Nela. Ich bin die Klassensprecherin." Toll für dich, dachte ich nur und hätte ihre dieser Worte am liebsten mit einem sarkastischen Grinsen um die Ohren gehaut, doch ich wusste dass ich in dieser Schule eine gewisse Rolle spielen musste, da ich weder meiner Schwester noch meinem ach-so-tollen Bruder wirklich Probleme bereitet wollte. So gut es ging, wenn auch mit etwas wiederwillen drückte ich die Winkel meiner Lippen etwas nach oben und begann mich ebenfalls vorzustellen. 

„Hi, nenn mich einfach Cassian." Als sie zu sehen schien was für ein netter Mensch ich doch war, begann sie noch etwas breiter zu lächeln und als Gesteh des guten Willen tat ich es ihr gleich. Insgeheim hoffte ich, wenn ich in nur möglichst kurzen und prägnanten Sätzen antwortete, dann würde sie schneller wieder verschwinden, doch dem war nicht so, im Gegenteil. Gegen Ende wurde es schon etwas müssig, da sie es anscheinend mehr als über alles liebte einen ein halbes Referat über die Schule und ihre Gepflogenheiten vorzutragen. Erleichterung machte sich in mir breit, als der freundliche Lehrer von vorhin die Klasse betrat und Nela schnell wieder auf ihren Platz huschte. Das fängt ja schon mal echt geil an.

Dieser Herr Lechner schien ein Spaßvogel zu sein, was ihn natürlich einerseits sympathischer machte und gleichzeitig erkannte ich schon fast für eine Arbeit es bedeuten würde meine Fassade ihm gegenüber aufrecht zu erhalten. So gut es ging versuchte ich also, ohne dass mein Körper sich merklich begann zu verkrampfen, wie schon so oft ein paar kleine Scherze über mich selbst und meine zerstörten Beine zu machen. Es kam immer gut bei anderen an, wenn man als verdammter Krüppel wie ich einer war, schon in seiner Entwicklung so weit vorgeschritten war, dass man über sich selbst lachen konnte. Krampfhaft versuchte ich meinen Magen zu ignorieren, der am liebsten allen gezeigt hätte wie falsch sie doch lagen, wenn sie weiterhin meinen eigenen Lügen glauben würden. In mir schien es förmlich zu schreien, die Wahrheit versuchte alles um aus dem Gefängnis zu kommen, in dass ich sie vor Jahren nun schon gesperrt hatte. Jedes mal „Ja es geht mir gut", wenn mich einer fragte wie es mir den ging hatte eine weiteren dicken Gitterstab vor das Gefängnis gezogen und die Wahrheit und meine Verzweiflung tiefer in meinen Körper verband, so dass sie dem Lügenkonstrukt aus Freude und Frieden nicht in die Quere kam. Zunächst war es nur für meine Mutter und meine Schwester gewesen, so dass sie nicht noch mehr unter mir leiden mussten, doch inzwischen konnte ich selbst meinen Anblick im Spiegel nicht mehr ertragen und zog es einfach vor mir nun auch selbst diese Lüge vorzuspielen, in der Hoffnung ich würde sie irgendwann selbst glauben.

„Bist du zufällig mit Casus verwand?" Die schrille Stimme, die mir die Frage entgegenwarf und damit fast den Schutzwall durchbrach, leitete meinen Blick für einen kurzen Augenblick, nicht länger als eine Millisekunde, wieder zu dem Mädchen mit den giftgrünen Augen. Sie sah mich ebenfalls wie alle anderen an, doch im Gegensatz zu den Blicken der anderen, die eigentlich durchwegs amüsiert waren, begann ich in ihren Augen beinahe so etwas wie Zweifel zu sehen. Für einen Moment glaube ich sogar, dass sie den Riss sah, denn man in meine Mauer gesprengt hatte. Lange konnte ich mir darüber allerdings keine Gedanken machen, da ich schnell meine Fassade wieder aufziehen musste. Ich begann wie schon zuvor zu lächeln und wollte in einem möglichst ruhigen und etwas amüsierten Ton antworten antwortete.

„Nein." Ich beschloss zu lügen. Sollte doch niemand wissen in welcher Beziehung ich und er standen. War man nämlich ganz genau, so hatte es diese Menschen, die aufgereiht vor mir saßen, nun wirklich nichts anzugehen wie meine Familienverhältnisse zustande kamen. So oder so hatte ich zu dem Zeitpunkt nur vor so viel Zeit wie nötig an diesem Ort zu verbringen. Ich war weder an ewig währenden Freundschaften, noch an einer Beziehung mit einem Mädchen aus dieser Klasse interessiert. Alles was das Dasein als Teenager ausmachte, war für mich etwas, dass ich mehr als nur einfach entbehren konnte. In dem Punkt war ich nun ein richtiger Profi geworden.



Born - Pregnant 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt