Fahrstuhl - Alea

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Das Wochenende war viel zu schnell wieder vorbei. Am Montag ging ich dann mit einem nervösen Gefühl im Magen in die Schule. Nora hatte mich immer wieder in den letzten Tagen angeschrieben und mich förmlich bekniet Cassian doch einmal zu fragen, ob er mit ihr ins Kino gehen würde. Ich wollte das eigentlich wirklich nicht tuen, doch sie ging mir einfach so lange auf die Nerven, dass ich irgendwann in meiner Nachlässigkeit zustimmte.

An diesem Morgen ging ich wirklich sehr langsam. Ich wollte einfach wirklich nicht mit ihm darüber reden. Es ist so verwirrend. Hormone sind schrecklich, die nehmen einen beinahe jeden Sinn für Vernunft.

Der Wind war an diesem Morgen sanfter, als die letzten Wochen und dennoch schien es für mich so, als würde er sich so nur etwas über mich lustig machen. So gut es ging versuchte ich einfach alles zu ignorieren und mich nur darauf zu konzentrieren wie meine Füße sich über den grauen Beton bewegten. Meine Hände waren tief in den Taschen meiner engen Jacke verschwunden. Eine Mütze mit kleinen Katzenohren legte sich um die meinen und hielt so so warm, außerdem versteckte sie die kleinen Stöpsel in meinen Ohren. Von außen sah also niemand, dass ich Musik hörte. Es war schon beinahe eine Genugtuung die Menschen zumindest etwas hinters Licht zu führen.

Ich bemerkte kaum noch wie die Welt sich langsam an mir vorbei drehte. Meine Füße trugen mich weiter. Es war ein komisches Gefühl. Stumm rollten Autos an mir vorbei. Plötzlich kam eine erschreckend kalte Böe in meine Richtung. Ich war nicht darauf vorbereitet und meine Augen begannen zu tränen. Mein Körper hielt nicht an, als ich begann mit meinen Händen vorsichtige über meine Augen zu streichen. Die heißen Tränen begannen auf meinen Fingern zu brennen, dann spürte ich plötzlich etwas kaltes und wirklich hartes gegen meine Schienbein schlagen. Ich zuckte zusammen und drückte meine Hände fest auf die Stelle.

„Alea?" Es war Cassians Stimme. Ich blinzelte zwischen den Tränen hervor und sah seine dunklen Augen, die sich direkt auf mich richteten. Warum den ausgerechnet das jetzt? Hasst du mich Welt? Irgendwie hab ich das Gefühl, alles und jeder würde sich jetzt gerade gegen mich stellen.

„Hei...Cassian." Ich versuchte ein Lächeln hervor zu drücken und ging einen Schritt zurück. Kurz ließ ich meinen Blick umher wandern, um mich wieder zu orientieren. Es war nicht mehr all zu weit bis zur Schule. Cassian stand mit seinem Rollstuhl nur unweit vor mir, dabei war dieser mit der letzten Spitze seiner Rollen auf einer silbernen Rampe. Eben diese führte in einen großen Van. Das Design war allgemein bekannt und wurde liebevoll als Sitzerkutsche. Ein Service für Behindert oder besser eingeschränkte Mitmenschen.

„Bist du so am Träumen?" Großteils wirkte er mehr ernst oder Ausdruckslos, doch es wahr mir so, als würde ich ein kleines Lächeln auf seinen Lippen erkennen können.

„Sonst komm ich hier ja nie weg." Wieder lächelte ich und verschränkte meine Arme hinter meinem Rücken. Das hatte sich über die Jahre beinahe zu einer Art tickt entwickelt, wenn ich nicht wusste wohin mit ihnen.

„Wohl auch irgendwie wahr." Er rollte ganz von der Rampe und schenkte dem Bus keinen weiteren Blick. Warum willst nur immer so tuen, als würde es dich nicht mehr beschäftigen? Ich will gerne mehr über dich wissen.

Es war ein eigenartiger Stich, den ich warm in meiner Brust spürte. Es war komisch und irgendwie auch beängstigend, wie sehr ich mich doch begann an die Präsenz dieses Jungen zu gewöhnen. Es lag mir nicht unbedingt sehr Menschen zu vertrauen und von Hormonen gesteuert zu sein hasste ich genauso wie betrunken zu sein. Langsam setzte ich mich nun auch wieder in Bewegung und folgte schweigend Cassian. Ich muss es ihm sagen.

„Willst du mit fahren?" Cassian blieb stehen und sein Kopf wand sich in meine Richtung. Seine Augen schienen müde. Ich hätte ihn irgendwie in diesem Moment gerne durch die Haare gestrichen. Sie schienen weich und hätten sich sicher gut unter meinen Finger angefühlt. Nein! Hör auf!

„Ähm...ja." Wieder versuchte ich zu lächeln, doch die steigende Nervosität war nur mehr als schwer zu verstecken. Langsam begann ich mein Herz gegen meine Wirbelsäule schlagen zu hören. Abstand! Gewinne Abstand.

„Eigenartige Stimmung, oder nicht?" Zuerst konnte ich es nicht so recht orten, doch bald kam ich darauf, dass es meine eigene Stimme war. Ich hatte nie beabsichtigt das zu sagen. Die Gedanken waren einfach laut aus meinen Lippen geflossen. Wir befanden uns bereits im Aufzug und fuhren nach oben. Ich stand an der seitlichen Wand, Cassian hingegen fast ganz an den Spiegel gelehnt. Zuvor waren seine Augenlieder leicht hinab gesunken gewesen und er schien die ganze Zeit nur auf seine Hände zu starren. Nun hob er allerdings seinen Blick und sah mich wieder direkt an. Nicht zum ersten Mal schien dann die Welt sich langsamer zu drehen. Es war ein ganz komisches Gefühl. Verwechselt es nicht mit diesem romantischen Gefühl, von dem man in beinahe jedem zweiten Liebesroman etwas ließt. Für mich fühlte es sich nämlich ganz anders an. Es war irgendwie beklemmend und schien einem wie ein Strudel immer tiefer hinab zu ziehen. Am liebsten hätte ich mich an irgendetwas in dieser Welt geklammert, doch das ging nicht. Etwas in mir schien langsam ihre Augen zu öffnen. In meinen Händen begann es zu kribbeln und meine Augen begannen langsam zu brennen. Die Welt um mich herum verschwamm langsam und verschmolz zu einem reinen schwarz. Es schien wie eine weite unbekannte Welt, die sich mir auf einmal eröffnete. In ihr meinte ich unermessliches Feuer zu spüren, gleichzeitig wanderte ein eisiger Schauer über meinen Rücken. Die Luft schien stickig und begann sich langsam wie ein festes Seil um meine Kehle zu schlingen. Immer fester und fester, bis ich meinte nicht mehr atmen zu können. Erst das leichte ruckeln des Fahrstuhles riss mich mit einem mal rabiat aus dieser Welt. Wie an einer Kette zog man mich brutal zurück, doch ich meinte etwas von mir dort gelassen zu haben.


Die nächsten Tage wurden nicht viel besser. Immer wieder schien ich abzudriften. Ich begann mich in ungeordneten und dunklen Gedanken zu verlieren. Meine Zeit verbrachte ich also hauptsächlich mit Träumen. Sprechen tat ich mit kaum einem, da ich mich nie über wirklich längere Zeit auf etwas konzentrieren konnte. Irgendwie war es so, als würde sich etwas in mir vehement gegen jeden klaren Gedanken wehren. Ich schob es auf meinen bevorstehenden 18. Geburtstag und die Sache mit dem Doppeldate mit Nora und Cassian. So kam es auch, dass ich mich am Mittwoch immer noch nicht dazu überwunden hatte ihn darauf an zu sprechen. Nora wurde auch langsam ungeduldig, also beschloss ich an dem Morgen mit ihm zu reden. Dieser Gedanke war allerdings mit dem Eintreten in das Klassenzimmer verworfen. Ich kämpfte wirklich mit mir, doch am Ende des Schultages hatte ich es immer noch nicht geschafft. Um mich mit dem ganzen nicht noch länger herum schlagen zu müssen und endlich wieder ein paar ruhige Stunden zu verbringen, beschloss ich mit ihm nach der Schule zu reden, wenn alle schon gegangen waren.

Als es dann also läutete blieb ich einfach sitzen und packte meine wenigen Sachen fast schon in Zeitlupe ein. Wieso tu ich das eigentlich? Es könnte mich auch einfach einen Scheißdreck interessieren. Wäre auf jedenfall leichter für mich.

Endlich erhob ich mich also aus meinem Stuhl und begann mich, zunehmest angespannt, auf Cassian zu zubewegen, dieser hatte mir seinen Rücken immer noch zugewannt. Ich stellte mich langsam hinter ihn und wollte etwas sagen, als sich ein merkwürdiger Gedanken begann in meinen Kopf zu schleichen. Wenn ich wollte wäre es nun ganz einfach meine Hände um seinen Hals zu legen und ihn langsam die Luft aus seinen Lungen zu drücke. Er würde auch nur wenig zappeln, seine Beine kann er ja eh nicht bewegen. Ich frag mich ja...haha...wie das mit ihm wohl im Bett sein muss.

Auf mehr als nur eine Art begann mich diese Folge von Gedanken zu verstören, weshalb ich gleich versuchte sie wieder aus meinem Kopf zu bekommen. In dem Moment begann sich Cassians Körper langsam in meine Richtung zu bewegen. Ich wich etwas zurück und beobachtete wie sich sein Rollstuhl etwas nach hinten kippte und sich auf den Rädern begann zu wenden. 


Born - Pregnant 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt