Schmerzen - Cassian, Alea

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So schnell ich konnte verschwand ich aus der Wohnung, aus dem Haus und rollte einfach nur die Straße hinunter. Mein Körper bebte vor Wut und ließ meine Hände so zittern, dass es mir immer schwerer viel dem Rollstuhl meinen Willen aufzuzwingen. Irgendwann blieb ich einfach stehen und schrie. Nachbarn würden sicher nicht blöd schauen, doch es war in dem Moment so egal. Die ganze Wut, die mein Bruder mit seinen Worten wieder hervor gerufen hatte musste einfach heraus, da ich das Gefühl hatte ich würde von ihr gleich in hunderte Einzelteile zerspringen. Meine Fäuste drückte ich an die Armlehnen meines Stuhles. Sie verkrampften sich und krallten sich Millimeter tief in die Lehnen. Die Wut verflog langsam, doch was blieb war beinahe noch schlimmer. Trauer, die ich so gut in dem kleinen schwerschlagenden Organ in meinem inneren eingesperrt hatte, drang nun wieder in kleinen mengen hervor und begann sich wie eine Säure durch meinen Körper zu ätzen. Ich konnte nicht verhindern, dass auch noch brennende dicke Tränen sich aus meinen Augen drückten. Unter zwang fing meine Lippe an zu beben und ich konnte einzelne gequälte Schluchzer nicht zurück halten. Es tut mir so leid.

Das laute quietschen von bremsenden Reifen dröhnte in meinen Ohren wieder, dann der schrille panische Schrei eines Mädchens. Immer stärker begann mein Körper zu zittern. In einem kurzen Anflug von Verzweiflung begann ich all die Muskeln in meinen Armen anzuspannen und mich so einige Zentimeter aus den Stuhl zu heben. Wenn ich mich jetzt noch etwas nach vorne lehne, dann fliege ich aus dem Stuhl. Sehr weit käme ich dann nicht mehr und so schnell würde keiner kommen und nach mir suchen.

Es mag einem vielleicht nicht einleuchten, wenn man sich nicht in dieser Situation befunden hat, doch es fühlte sich schrecklich an diesen andauernden Wunsch in meinem Gedanken zu haben einfach alles an Ort und stelle zu beenden. Ich hätte es mir so einfach machen können und es war auch sicher langem keinen aufgefallen, doch irgendetwas hielt mich immer davon ab es einfach zu beenden. Mich einfach eine Brücke hinunter zu stürzen und alle von meiner Existenz zu befreien. Schlaff gaben meine Muskeln nun auch ihre letzte Kraft auf und ich sank zurück in den Stuhl. Mit schweren Zügen holte ich die angestaute Luft aus meinen Lungen und begann neue etwas frischere hinein zu saugen. Warum lasst ihr mich denn nicht einfach in ruhe...Ich will nicht mehr.


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Ein schrecklich lauter Schrei riss mich aus meinem Gedanken. Er ließ mich erzittern und ich fiel beinahe von meinem Bett. Mein Körper befand sich sofort in Alarmbereitschaft. Eilig schossen meine Augen durch das Zimmer und suchten nach etwas, dass mir einen Hinweis auf die Existenz dieses Schreies geben konnte, doch da wahr nichts. In meinem Zimmer war alles normal. Die dicken Vorhänge waren noch zugezogen. Eilig, eigentlich eher tollpatschig sprang ich von meinem Bett und stolperte die letzten Meter über den Teppich. Mit übermäßig viel Schwung zog ich die beiden roten Stoffbahnen zur Seite und ließ das düstere Licht des Abends in mein Zimmer fallen. Ich drückte meine Hände gegen die Fensterscheibe und lehnte meinen Körper dagegen. Wie ein Katze die verzweifelt mit ihren stumpfen Krallen über den Rahmen einer Tür strich, fuhr ich mit meinen Fingern über das Glas. Ich würde es so gerne öffnen und die Kälte der Nacht auf meiner Haut spüren. So gerne würde ich das ungefilterte Licht des Mondes in mein Zimmer fallen sehen und sein leises Flüstern hören. Ich habe es schon gehört, wenn ich einmal mit meinen Klassenkameraden feiern war, doch ich war meistens viel zu betrunken. Deinen Gesang würde ich aber so gerne einmal nüchtern hören, so dass ich mir die Melodie einprägen kann. Sie immer wenn ich will wieder aus meinen Gedanken hervorholen kann und still mit summen.

Müde sank ich an dem Glas herab und schloss die Augen. In meinen Ohren hörte ich immer noch dieses erdrückende Rauschen. Es war kein neues Geräusch, doch umso unangenehmer fühlte es sich genau deswegen an. Ich konnte nichts gegen die Schmerzen machen. Einfach nur warten und hoffen, dass es schnell wieder vorbei ist.

Ich zog meine Beine fest gegen meine Brust und lehnte den Kopf gegen die Fensterscheibe. Sie war gut isoliert und nahm nicht einmal mehr die Kälte der Nacht an. Es war, als wollte mich alles von dem geschehen draußen fern halten. Was habe ich gemacht? Warum lasst ihr mich nicht hinaus? Versteht doch wie sehr ich mich nach Freiheit sehne. Nach diesem einen etwas, dass mir die Welt da draußen verspricht. Sag Mama, hast du noch nie die Nacht singen gehört?

Das stumme brummen meines Armreifes riss mich aus meinen Gedanken. Ich sah auf das dunkle Display und erkannte, dass wieder eine neue Nachricht eingegangen war. Es war mir in diesem Moment nicht wirklich danach mich auch nur mit einem dieser Menschen zu beschäftigen, die sich hin und wieder ganz dreist als Freunde betitelten. Man sollte es ihnen nicht übel nehmen. Haben sie doch keine andere Wahl, als sich mit dem Titel Freund zu begnügen, darf man doch heute nicht mal mehr einfach nur einen Menschen hassen ohne dafür eventuell den sozialen Suizid zu begehen. Wir sind alle zu gleich. Im Kindergarten bekommen wir die Liebe zu allen förmlich mit den metaphorischen Rohrstock eingeprügelt. Mobbing ist etwas grausames, zumindest versucht man es uns so zu verkaufen. Man spricht einfach nicht darüber und so vergessen die Menschen es einfach. Selbst Medien haben diese Art von Berichten eingestellt. Diese Liebe zur menschlichen Art ist vielleicht die größte Lüge die wir uns je erlaubten in unseren Wortschatz zu integrieren.

„Schatz?" Es war die sanft und etwas besorgt klingende Stimme meiner Mutter die mich mal wieder in mein irdischen Dasein zurück holte und diese verräterische Stimme wieder etwas zurück drängte. Ich hob meinen verträumten Blick und sah meine Mutter an, die in der offenen Tür stand. Eine Strähne fiel ihr in die in Falten geworfene Stirn.

„Hallo Mama." Ich versuchte gar nicht erst auf ihren besorgten Tonfall ein zu gehen oder mich gar zu rechtfertigen. All das hätte nur unwiderruflich zu einem weiteren tief schürfenden Gespräch mit meiner Mutter geführt und dafür hatte ich jetzt einfach keine Geduld.

„Geht es dir gut?" fragte sie während sie bereits näher kam. So gut es ging versuchte ich mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich diese Frage doch nervte. Stattdessen gab ich nur ein müdes, mildes Lächeln von mir.


„Ja. Bin nur etwas müde." erwiderte ich und strich mir tief seufzend übers Gesicht. 
„Willst du vielleicht etwas essen? Du hast fast nichts Abendgegessen." Ich begann kurz zu überlegen. Mein Hunger an dem heutigen Tag hielt sich mehr als nur in grenzen, doch ich wollte einfach nur aus Prinzip jetzt gerne etwas essen.

„Ja...ein bisschen was vielleicht." Sofort begann sich die Züge meiner Mutter etwas auf zu hellen und sie reichte mir ihre Hand. Ich legte meine in ihre und ließ mir so von ihr auf die Beine helfen. Gemeinsam gingen wir dann in die Küche. Mein Vater hatte es sich bereits vor dem Fernseher bequem gemacht und selbst der kleine Staubsauger war wieder zurück in seine kleine Hütte gefahren. Bequem schlendernd sank ich auf einen Stuhl vor der Küchentheke und beobachtete meine Mutter, wie sie begann Brot und etwas Käse in Verbindung mit der veganen Wurscht aufzuschneiden. All das platzierte sich dann mit etwas Salat auf einem Brett und stellte es mir vor die Nase. Ich Lächelte, nicht unbedingt gespielt und begann mir die erste Scheibe Brot mit etwas von dem Käse zu belegen. 

„Danke." drückte ich noch schnell hervor, bevor ich mir den ersten bissen in den Mund schob. Das Brot war ganz weich und sicher erst heute erst im Korb meiner Mutter gelandet. Entzückt zog ich meine Mundwinkel nach oben.


Born - Pregnant 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt