Kapitel 37 (313) Schlichtheit + Freundinnen

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Samstag, früher Nachmittag, 11.2.
Russland, Sankt Petersburg
Kovoijky-Anwesen

Schlichtheit

Der Stress, dem sie innerhalb der letzten Wochen ausgesetzt gewesen waren, hatte Casey zugesetzt. Sie hatte ein wenig an Gewicht verloren. Das sah er an der Art wie sich ihre Hüftknochen unter den Falten ihrer Röcke abzeichneten und natürlich ganz deutlich in den engen Kostümen die sie trug, wenn sie täglich tanzten und übten, um nicht aus der Form zu kommen. Bis auch sie beide – am besten zu zweit, wenn es nach Refil ging, weil er nicht wollte, dass ein anderer Tänzer sie begrabschte –, so wie Nikolaij, Angebote von Theatern bekamen.

Weswegen er nun mit zwei Packungen Waldpilz-Cremesuppe am Weg zum Koch in die Küche war. Nicht nur, weil es zu dieser Jahreszeit keine Pilze gab, sondern auch, weil er von Casey wusste, dass sie diese gerne hatte. Ein Grund mehr sie zu vergöttern. Sie mochte am liebsten die schnellen, einfachen Gerichte. So wie er. Kein Schnickschnack und ewiges Rumgestehe vor dem Herd, bis irgendetwas einmal zubereitet war. Nein, einfach eine Packungssuppe aufwärmen, ein wenig verfeinern, vielleicht mit etwas Dekor anrichten und é Voila: Fertig war das Dinner.

Noch dazu wusste er, wie es sich anfühlte, wenn man vor lauter Stress keinen Bissen runter bekam. Der Magen tat weh, dauernd war einem schlecht und große Portionen gingen einfach nicht. Also waren herzhaft abgeschmeckte Suppen wirklich das Beste. Sie gaben Salze und Mineralien, die der Körper in seinem geschwächten Zustand brauchte.

Wie er das gelernt hatte? Auf die harte Tour! Jedes Mal, wenn er von einer Pflegfamilie in die andere weitergerecht worden war und um seine Existenz, seine Zukunft und sein Besuchsrecht bei seinem Vater im Gefängnis hatte bangen müssen. Geschweige denn die Angst darüber, wie die neue Familie ihn aufnehmen würde. So war er auf den Geschmack von Packungssuppen gekommen.

Casey hatte diesen Genuss kennengelernt als sie noch sehr jung war und ihr Vater viel in der Kirche getan hatte und sie sich ab und zu selbst hatte ernähren müssen, wenn sie die dritte Messe des Sonntags nicht auch noch hatte besuchen wollen.

Er würde Casey ihre Suppe nur zu gerne selber zubereiten, aber dem missbilligenden Blick des Profikoches, der schon die bloße Existenz von Packungssuppen in seiner Küche nicht duldete, konnte auch er sich nicht widersetzen. Weswegen er ihn einfach bat eine Packung für Casey und ihn zu erwärmen und dann draußen zu servieren. Er würde gleich wieder mit Casey hier sein.

Seine Freundin wusste noch nichts davon. Es konnte zwar gut sein, dass sie keinen Hunger hatte, aber ein paar Löffelchen würde er in sie bekommen. Und wenn er sie füttern musste. Was er zugegebenermaßen gerne tun würde, nur, damit er sich versichern konnte, dass sie wieder brav zu essen anfing.

Dabei machte er ihr keinerlei Vorwürfe. Nein, er litt nur einfach mit ihr, denn er wusste was mit Nährstoffmangel alles so im Körper vor sich ging und das war alles minderschön und mehr als nur ein wenig unangenehm. Ganz zu schweigen, davon, dass man schwächelte tat einem auch der Bauch weh, ständig war einem kalt, mit etwas Pech hatte man dann auch noch dünnen Stuhl und schlecht war einem sowieso. Stress war ein übler Mitspieler im Spiel des Lebens. Eine richtig miese Ratte!

Dabei hatten sie in der Waganowa gelernt mit Stress umzugehen, da war aber die Rede von Bühnenstress gewesen und nicht von 'Mein-Vater-hat-die-Frau,-die-ich-als-meine-Mutter-angesehen-hatte-mit-meiner-ehemaligen-Englischlehrerin-betrogen,-die-nun-eigentlich-meine-leibliche-Mutter-ist-und-es-mir-nie-gesagt-Stress'.

Dass er nie zuvor für eine Frau im Supermarkt gewesen war, nur um danach einen Koch, um die Zubereitung für seine Freundin zu bitten, damit er sie dann damit füttern konnte machte ihn glücklich. Durch Casey lernte er so viel Neues. Einfach, weil nichts mehr für ihn über ihrem Wohl stand und das war ein verdammt gutes Gefühl. Er fühlte sich wie ein richtiger Mann. Ein Mann, der sich gut um seine Frau kümmern wollte. Weil er sie aufrichtig liebte und nichts über ihrem Glück stand. Er wollte ihr niemals wehtun oder sie weinen sehen. Jeder, wegen dem sie weinte, würde sich seinen Zorn einfangen.

Russisches Ballett [BoyxBoy] Band IIIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt