Part 49 ~ Dejavue

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Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte ich mich wie überfahren. Seit gestern Abend hatte ich das Gästezimmer nicht mehr verlassen. Ich hatte einfach Angst, ihm zu begegnen. Eigentlich wollte ich weder ihm, noch Samra über den Weg laufen. Vladislav's Verhalten hatte mich zutiefst verletzt. Für Samra war das ganze nicht allzu schlimm, schon klar. Immerhin behandelte Vladislav ihn komplett normal. Nur ich war ein Niemand für ihn.
Auch wenn ich gerne weiter im Zimmer geblieben wäre - so langsam musste ich wirklich mal wohin. Schade, dass das Zimmer hier kein eigenes Bad hatte.
Ich nahm mir meine Sachen, und lauschte dann an der Tür. Bis jetzt war alles ruhig. Vielleicht waren sie unten, oder irgendwo hin gefahren. Zumindest einer von beiden, nehme ich an.
So Geräuschlos wie nur möglich entriegelte ich die Tür, und schaute mich dann um. Alle Türen waren zu. Okay. Das konnte gut, aber auch schlecht sein. Egal, ich musste ins Bad. Also schlich ich den Flur entlang, und huschte dann nach rechts. Ganz leise schloss ich die Tür hinter mir, und atmete dann erleichtert aus. Dann legte ich meine Sachen auf dem Waschbecken ab, und sah mich im Spiegel an.
"Ach du scheiße.", murmelte ich. Ich sah einfach aus wie ein Zombie. Also entschied ich mich, einmal komplett duschen zu gehen. Vielleicht würde ich mich dann etwas besser fühlen.

[...]

Ich legte den Fön weg, kämmte meine Haare, und legte etwas Make Up auf. Irgendwie musste ich diese hässlichen Augenringe ja überdecken. Zwar gelang mir das nur teilweise, aber das reichte mir schon. Ich sah heute sowieso scheiße aus, da konnte Make Up auch nicht viel dran ändern.
Meine Sachen packte ich wieder zusammen, und trug sie dann nach draußen. Nachdem ich wieder sichergestellt hatte dass niemand auf dem Flur war, verließ ich das Badezimmer und brachte meine Sachen weg. Ich konnte mich nicht den ganzen Tag hier einschließen. Und Hunger hatte ich auch irgendwie. Also überwandte ich mich, nach unten zu gehen.
Zum Glück war hier niemand. Naja, zumindest dachte ich das in dem Moment.
"Hallo, Prinzessin.", sprach mich jemand an. Mit leichtem Schreck drehte ich mich in die Richtung der Person. Es war Milo, der mit verschränkten Armen an der Wand im Flur lehnte, und mich ansah.
"Was willst du hier?", fragte ich ihn genervt. Der letzte den ich im Moment sehen wollte, war dieser Vogel. Seit wir uns das erste mal begegnet waren, hasste ich ihn einfach.
"Warte auf Capi.", antwortete er. Ich sah nach oben. Verdammt, er war zu Hause. Ich wollte ihm nicht begegnen. Nicht jetzt. Nicht, wenn ich sowieso schon so mies drauf war. Ich drehte mich im Stand um, und wollte schnell irgendwo anders hinlaufen. Aber zu meinem Pech wurde ich ausgebremst.
Es erklang ein lautes Geräusch, und meine Socken wurden nass. Auf dem Boden lag eine Red Bull Dose, deren Inhalt sich langsam auf dem Boden unter mir verteilte. Ich hob meinen Kopf, und bekam den nächsten Schreck. Ausgerechnet die Person, deren Begegnung ich unbedingt vermeiden wollte, stand nun vor mir und sah mich wütend an. Es war ein verdammtes Dejavu.
"Bist du behindert, du scheiß Kahi? Willst du es drauf anlegen?", fuhr er mich an. Automatisch wich ich einen Schritt nach hinten, um Abstand zu gewinnen.
"Tut mir leid."
"Steck dir das in den Arsch!" Stocksauer drehte er sich um, und ging wieder nach oben um sich umzuziehen.
"Bei dem hast du wohl verkackt.", machte sich Milo darüber lustig. So langsam stieg auch in mir die Wut auf. Ich drehte mich zu ihm um, und versuchte mich so gut es ging zu beherrschen.
"Du findest das lustig? Es ist deine verdammte Schuld, dass er so ist!", schnauzte ich ihn an.
"Wieso meine?", fragte er amüsiert.
"Das fragst du noch? Vielleicht weil du unbedingt mit ihm losziehen musstest, um was auch immer zu machen! Wenn er zu Hause geblieben wäre, wäre das nicht passiert!"
"Zu Hause? Damit du ihm 24/7 am Bein hängen kannst, wie ein kleines Kind? Das ist es doch, worum es dir geht. Weil er jetzt keine Zeit mehr für dich hat. Aber ist nicht schlimm, du hast doch Samra. Safe nimmt der gerne seinen Platz ein.", zog er mich auf. In mir kochte die Wut über, und ich wollte auf ihn los. In der letzten Sekunde klammerten sich zwei Arme um meinen Bauch, die mich zurückhielten.
"Beruhig dich, Josy.", sagte Samra hinter mir.
"Siehst du, passt doch. Jetzt müsst ihr nicht mal schlechtes Gewissen haben, wenn ihr rumfickt. Capi juckt es sowieso nicht mehr.", lachte Milo auf.
Wieder wollte ich auf ihn los, aber Samra wirkte dagegen.
"Lass los!", forderte ich aufgebracht.
"Und dann? Was willst du machen, ihn treten? Lass ihn doch labern."
"Keine Ahnung, warum du die noch hier wohnen lässt.", kam es von Vladislav, welcher kopfschüttelnd an uns vorbei zog.
"Die war bis gestern noch deine Freundin, du Arschloch!", brüllte ich ihm hinterher. Ich hätte damit gerechnet, dass er einfach gegangen wäre. Aber da hatte ich falsch gedacht.
"Was war das?", fragte er mit mahnendem Blick, und sah mich vom Flur aus an.
"Du hast schon richtig gehört.", schnaufte ich, während Samra mich immernoch umpackt hielt.
"Lass sie los.", wies er den Libanese an. Der Griff lockerte sich, und Samra gab mich frei. Vladislav steckte sich eine Kippe in den Mund, zündete sie an, und kam auf mich zu.
"Hör zu, Schlampe. Mir Latte, was gestern war oder vorgestern oder letzte Woche. Du interessierst mich null, kapierst du das? Es juckt mich nicht wer du bist, was du machst, und ob ich deine Gefühle verletze oder nicht."
Mit einem Schnapp nahm er mein Kinn zwischen seine Finger, und hielt so meinen Kopf nach oben.
"Du bist nicht mehr als Dreck für mich. Wenn du nochmal frech mit mir redest, zeig ich dir, wer ich wirklich bin." Er nahm einen tiefen Zug von seiner Kippe, und pustete mir dann rücksichtslos den Rauch ins Gesicht. Dann ließ er mein Kinn los, und wandte mir den Rücken zu.
"Bring der Bitch respekt bei, bevor ich es tu'.", warf er Samra zu. Dann fiel die Tür in's Schloss, und er war weg.
"Alles gut?", fragte Samra hinter mir, und legte seine Hand auf meine Schulter. Wütend schlug ich sie weg.
"Lass es einfach.", stieß ich schwer atmend hervor. Mein Herz tat so weh, dass mein gesamter Brustkorb brannte.
"Ich bin immernoch auf deiner Seite, Josy."
"Ach, bist du das? Irgendwie merk' ich nichts davon."
"Ey, dank mir kannst du hier weiter wohnen!", reagierte er beleidigt.
"Ja, stimmt. Danke, Samra. Tut mir leid, dass ich so undankbar bin und das nicht zu schätzen wusste.", antwortete ich ihm mit Sarkasmus.
"Was ist jetzt dein Problem? Ich kann doch nix dafür, wenn er so zu dir ist." Ich schnaufte, und schüttelte dabei verständnislos den Kopf.
"Du kannst nichts dafür, ja. Aber du scheinst auch null Interesse daran zu haben, dass er sich wieder erinnert. Aber warum auch? Immerhin ist er zu dir ja normal, also ist es nicht dein Problem, stimmt's?"
Nun schien er zu verstehen, was ich meinte.
"Josy."
"Weißt du was? Tu ruhig weiter so, als wäre alles wie immer. Sei ganz normal zu ihm, so wie er auch normal zu dir ist. Eigentlich wollte ich mich von ihm fern halten, so wie er drauf ist. Aber wahrscheinlich wäre genau das der Fehler."
"Was willst du jetzt machen?", fragte er, als ich ihn stehen lassen wollte.
"Das, was der Arzt gesagt hat. Ich versuche, sein Gedächtnis wieder zu holen."
"Er wird dir wehtun, wenn du ihn weiter provozierst.", warnte mich der schwarzhaarige Riese.
"Und? Ich bin es doch schon gewohnt.", antwortete ich ihm ernst. Er verstand sofort, dass ich ihn selbst damit meinte. Samra hatte mir schon so oft weh getan. Ich glaubte, dass nichts was Vladislav machen könnte schlimmer wäre als das, was ich sowieso schon durchgemacht hatte.
"Hör mal. Ich weiß zu schätzen, dass du gesagt hast, dass ich trotzdem weiter hier wohnen darf, wirklich. Aber ich werde nicht hier rumsitzen und warten, dass sein Gedächtnis von alleine irgendwann wieder kommt. Also entweder hilfst du mir, oder du lässt es halt bleiben.", sagte ich, in einem etwas ruhigeren Ton. Als er nichts darauf erwiederte, drehte ich mich um, und wischte die Red Bull - Pfütze vom Boden auf. Dann ging ich zum Waschbecken und wusch mir die Hände, um mir daraufhin etwas zu essen zu machen.
Ich stand einige Minuten mit dem Rücken zu ihm an der Küchentheke, und sah somit nicht was er hinter mir tat. Plötzlich spürte ich einen Windzug, und wie er sich von hinten ganz leicht gegen mich drückte.
"Ich kann ihn nicht einschätzen. Du musst damit rechnen, dass es ekelhaft wird." Ich spürte seine Fingerspitzen an meinem Hals, als er mir die Haare nach hinten legte.
"Aber ich helf' dir, so gut ich kann. Wenn jemand sein Gedächtnis zurückholen kann, dann du.", flüsterte er. Dann ließ er mich alleine.

Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt