Part 64 ~ Glaub mir

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Meine Gedanken kreiselten immer noch um diese verdammte Waffe. Wie zum Teufel sollte ich sie zurückholen, wenn ich falsch lag? Der „andere" Vladislav war ein kleiner Mistkerl. Er hatte die Waffe von mir genommen und gewusst, dass ich ihm eigentlich die von Samra ausgehändigt hatte. Dass sie jetzt noch in seinem kleinen Geheimversteck war, bezweifelte ich sehr stark. Und trotzdem steuerte ich auf mein Zimmer zu. Links, rechts, einmal kurz umdrehen. Okay, ich war alleine. Vladislav schien noch unten zu sein. Wahrscheinlich dachte er, dass ich wieder zu ihm gehen würde wenn ich hier fertig war. Tja, falsch gedacht.
Ich schloss leise die Tür, und kniete mich dann vor das Bett. Meine Hände fuhren an der Unterseite des Gestells entlang, bis ich die kleine Tasche fand, in der er sie beim letzten Mal verstaut hatte.
„Mist.", flüsterte ich frustriert.
„Suchst du was?" Mich durchfuhr ein eisiger Blitz. So eine Scheiße. Wusste ich doch, dass er sie woanders hin gepackt hatte, um mir einen Schritt voraus zu sein. Okay, jetzt bloß nicht die Nerven verlieren. Alles gut.
„Ja, mir ist meine Lippenpomade unter's Bett gerollt. Denke ich, also es klang so. Aber ich sehe sie nicht." Ich schaute noch einmal extra gründlich unter das Bett, damit er es mir auch abkaufte.
„Ah!", stieß ich triumphierend hervor. Als ich mich auf dem Boden weiter nach vorne gerobbt hatte, waren von oben nur noch meine Beine zu sehen. Das waren zwei Sekunden die ich hatte, um schnell nachzudenken. Konfrontieren oder verheimlichen? Zügig entschied ich mich für die zweite Variante. Er würde mir ja sowieso nicht sagen, wo sie nun war.
„So ein Scheißding, ehrlich.", fluchte ich, während ich mich wieder zurückschob.
„Weißt du, eigentlich gefällt mir das ganz gut. Wie du da liegst." Das Schmunzeln war bei ihm nicht zu überhören. Mir wurde komisch wenn ich daran dachte, was er wahrscheinlich gerade mal wieder für perverse Filme in seinem Kopf hatte.
„Hab sie.", hechelte ich, nachdem ich mich wieder aufgerichtet hatte. Dabei tat ich so, als würde ich mir die fiktive Lippenpomade in meine Hosentasche stecken. Vladislav, der mit wenig Abstand vor mir stand, folgte entspannt meinen Bewegungen. Dass er mir schon wieder so nah war, gefiel mir gar nicht. Ihn hingegen schien das Ganze zu amüsieren. Wie immer. Auf seinen Lippen zeichnete sich ein winziges, warmes Lächeln ab. Dann hob er seine Hand. In mir breitete sich sofortige Alarmbereitschaft aus. Vladislav war nicht zu unterschätzen. Im Gegensatz zu Samra konnte ich bei ihm nicht vermuten, was in seinem Kopf abging. Seine Augen hatten etwas spöttisches, und dennoch waren es die Augen eines knuffiges Teddys. Sein Lächeln war warm, und einladend. Es wollte mir das Gefühl geben, dass alles gut ist. Andererseits war es auch irgendwie komisch. Bedrohlich. Ja, fast schon ein bisschen gestört. Er bewegte sich extra langsam, wahrscheinlich um mich nicht zu verängstigen. Damit ich Vertrauen zu ihm aufbaute. Doch mein Bauchgefühl sagte mir, dass das gespielt war. Deshalb war ich vorsichtig. Nach einem kurzen Zögern kam seine Hand schleichend näher. Näher, noch näher, noch näher. Als wäre ich ein Tier im Zoo, welches er versucht zu streicheln, ohne es zu verschrecken. Wie ein schutzloser Welpe, dem er zeigen wollte, dass er keine bösen Absichten hatte. Ich sah auf seine Hand. In mir herrschte höchste Konzentration, und meine Reflexe waren geschärft. Bereit, auszuweichen, wenn er irgendetwas dummes abziehen sollte. Auf dich fall ich nicht rein, dachte ich mir. Langsam steckte er seine Hand in meine Hosentasche. Verdammt, durch diese Berührung begann mein Bein kribbeln. Ich wusste, was er da tat. Er prüfte, ob ich ihn verarscht hatte. Zum Glück hatte ich immer eine Lippenpomade in der Hosentasche.
„Hm.", brummte er. Als er seine Hand wieder aus meiner Hosentasche zog, verschwand auch das Kribbeln in meinem Bein.
„Sehr gut.", kommentierte er, grinste etwas breiter, und legte dann seinen Kopf etwas seitlich, während er mich musterte. Das war beängstigend - denn ich wusste nicht, was er gerade dachte.
Ich versuchte mein schweres Atmen zu unterdrücken, aber es gelang mir nicht. Ich stieß ein vorsichtiges „Was?" hervor während er mich weiter betrachtete. Der Ukrainer legte seinen Kopf in den Nacken, und grinste mich dabei verschmitzt an.
„Na deine Schauspielleistung. Du wirst besser." Mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Mein Bauchgefühl hatte also Recht.
„Ich hab' nur..."
„Nee, Baby.", unterbrach er mich ruhig, und schüttelte dabei leicht den Kopf.  „Alles gut, ich versteh schon. Du willst sie ihm zurückgeben, hm?", schlussfolgerte er. Wieder einer dieser Momente in denen ich dachte: Der hat hier doch überall Wanzen versteckt. Ständig wusste er von Dingen, die ihm niemand gesagt haben konnte. Oder versteckte er sich in Ecken, um zu lauschen? Wie auch immer er das machte, er war mir damit jedes Mal einen Schritt voraus. Das war wirklich gruselig. Aber egal wie er das hinbekam, ich würde es herausfinden. Und dann würde ich ihm einen Schritt voraus sein, hoffte ich.
Als er plötzlich in die Hände klatschte, zuckte ich ungewollt auf. Seine Lippen waren aufeinandergepresst, während er seine Handinnenflächen aneinander rieb.
„Tamam, lass uns verhandeln.", sagte er entschlossen. Jetzt fing er wieder damit an.  An dem Punkt waren wir doch schon, als ich in seinem Büro war. Ging das nun alles von vorne los? Das konnte doch nicht sein Ernst sein.
„Willst du dann wieder, dass ich auf diese Weise meine Schulden bezahle?" Ein dreckiges Grinsen zierte wieder sein Gesicht. Mich überkam ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend, und ich trat einen kleinen Schritt von ihm zurück.
„Nee, ganz falsch.", winkte er ab. "Nein, ich will was anderes. Außerdem hab ich doch gesagt, dass ich mich erinnere. War ernst gemeint."
„Was willst du dann?", hakte ich ungeduldig nach. Er sollte mit der Sprache herausrücken, und nicht ewig drum herum reden.
„Guck, Baby." Er reichte mir seine Hand. Ich sah auf den goldenen Ring an seinem kleinen Finger. Das Sonnenlicht, welches durch die Fensterscheibe strahlte, wurde von ihm reflektiert. Wofür genau dieser Ring stand hatte er mich bisher nie wissen lassen. Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass er wohl bedeutete, dass man mit sich selbst im Einklang ist. Siegelring, so nannte man das Teil. Meine Informationen konnten aber auch falsch sein. Im Internet stand ja auch oft viel Mist. Wenn er irgendwann wieder er selbst war, würde ich ihn bei Gelegenheit einfach fragen. Wenn...irgendwann...Wörter, die mich daran erinnerten, dass dieser Kampf noch lange nicht fertig ausgetragen war.
„Ich mach nix.", lachte er, und kam mit seiner Hand ein Stückchen näher auf mich zu. Ich war hin- und hergerissen. Aber ich hatte keine Zeit, um jetzt eine Pro- und Kontraliste zu machen und dann zu entscheiden. Also ließ ich mich darauf ein.
Als seine Hand meine berührte, schoss dieses Gefühl durch meinen gesamten Körper. Es war nicht so wie das Kribbeln im Bein. Nein, das hier war anders. Ganz komisch, und fast nicht zu beschreiben. Gut oder schlecht, ich konnte es nicht einstufen. Das Gefühl arbeitete sich den Weg zu meinem Herz vor, und ich wurde entspannter. Doch im gleichen Atemzug sagte mein Kopf, dass ich vorsichtig sein sollte.
Wieder schenkte er mir ein warmes Lächeln. „Na siehst du, alles gut.", sagte er sanft. Dann drehte er meine Hand um, und kam einen Schritt auf mich zu.
„Entspann dich. Keine böse Absicht, vertrau mir.", redete er auf mich ein. Doch wenn ich mich fragte mit was für einer widerlichen Bezahlmöglichkeit er jetzt wieder ankommen würde, konnte ich mich einfach nicht entspannen.
„Ich geb' dir die Waffe zurück. Aber ich will Zeit. Also Zeit mit dir." Wenn ich daran zurückdachte wie er die letzten Tage mit mir umgegangen war, dann war das schon eine sehr unkonventionelle Aussage.
„Definiere.", forderte ich ihn mit skeptischem Blick auf.
„Tamam, guck. Ich will dass du bei mir im Bett schläfst, wie früher. Dass du mitkommst, wenn ich sage, ich will mit dir rausgehen. Ich will dass du aufhörst die ganze Zeit zu denken ich wäre Serienkiller."
„Fällt mir schwer, wenn du dich wie ein Psychopath benimmst."
Er drückte meine Hand etwas fester, und ich musste schlucken.
„Entweder du vertraust mir, oder Samra sieht seine Waffe nie wieder. Deine Entscheidung." Er hatte meine Hand wieder losgelassen, und sah mich nun abwartend an. Mit lässiger Haltung stand er vor mir, weniger als einen halben Meter entfernt. Ich leiß es mir durch den Kopf gehen. Das Ganze kam mir so surreal vor. Die ganze Zeit wünschte ich mir genau das. Dass es wieder so war wie früher. Dass wir wieder zusammen waren. Nun zweifelte ich alles an. War das ein Spiel? Tat er nur so, als würde er das hier ernst meinen? Oder lag es ihm wirklich am Herzen, dass alles wieder wie vorher wurde? Seit er diesen Schlag auf den Kopf bekommen hatte, empfand er nichts als Abneigung mir gegenüber. Alles was er bis jetzt tat plante er im Voraus, um mir dann einen Strick daraus zu drehen. Wie sollte ich einschätzen, ob es dieses Mal echt war? Ich konnte es nicht. Aber ich hatte Samra versprochen, dass er seine Waffe wiederbekam. Also hatte ich wohl keine Wahl, als mich auf diesen Deal mit ihm einzulassen. Um auf Nummer Sicher zu gehen, nannte ich ihm meine Bedingung. „Dann will ich die Waffe im Voraus."
Sein rechter Mundwinkel zuckte nach oben, gefolgt vom linken.
„Machen wir so.", stimmte er ein, und reichte mir erneut seine Hand. Dieses Mal ergriff ich sie, ohne zu zögern. Während wir einschlugen, fasste er hinter sich und zog etwas schwarzes hervor. Unglaublich, dachte ich. Er hatte das Ding die ganze Zeit bei sich.
Mit dem Griff in meine Richtung gedreht, hielt er mir die Pistole entgegen. Einen Moment lang hielt ich noch inne. Wenn ich sie nun berührte, war dies die endgültige Bestätigung des Handels. Es gab dann kein zurück mehr.
Wie ferngesteuert legte ich meine Hand auf die Pistole. Doch Vladislav ließ noch nicht los. 
„Denk dran.", sagte er, als mein verunsicherter Blick seinen traf. „Keine Tricks. Frag lieber nicht was mit Leuten passiert die Geschäfte mit mir machen, und dann bescheißen. Du willst nicht wissen, glaub mir." Ein widerlicher Schauer lief mir über den Rücken. Er hatte Recht: Das wollte ich tatsächlich nicht wissen. Und provozieren wollte ich es auch nicht. Das wird ein harter Weg, dachte ich mir. Obwohl ich genau das die ganze Zeit wollte, machte es mir gerade Angst. Die ganze Situation war absolut suspekt.
„Und wie lange soll das gehen?", fragte ich, während wir noch immer gemeinsam die Waffe hielten.
„Ganz einfach: Bis du mir glaubst. Bis du von selbst bei mir sein willst, so wie vorher. Ich bin nicht mehr der böse Capi." Ein letztes Mal sah ich in seine leuchtenden, braunen Augen. Dann nickte ich ihm zu, und er überließ mir die Waffe.
„Du wirst nicht bereuen, glaub mir mal." Mit diesem Satz trat er einen Schritt zurück, und ließ mich dann alleine.

Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt