Part 43 ~ Lost

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Langsam öffnete ich die Augen. Was war passiert? Wo war ich? Was für einen Tag hatten wir? Kurz blieb ich einfach liegen und überlegte. Aber ich hatte keine Ahnung. Oh mein Gott, ich wusste gar nichts. Vorsichtig drehte ich meinen Kopf, um mehr sehen zu können. Bis eben war ich noch etwas benommen. Jetzt klarte meine Sicht langsam auf. Ich sah mich um. Wieder lag ich in einem Krankenhauszimmer. Moment, Stopp. Was war mit Kareem? War das alles gar nicht passiert? Hatte ich das geträumt? Nein, niemals. Das war zu realistisch. Oder vielleicht doch?
Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr Angst bekam ich. In meinem Arm steckte wieder eine Flexüle, die mit einer Infusion verbunden war. Ich erinnerte mich an exakt die selbe Situation. Mir viel es schwer, mich zu bewegen. Erst jetzt bemerkte ich, wie mir wieder alles weh tat. Bei genauerem hinsehen stellte ich fest, dass die Flexüle an einer anderen Stelle war als die letzte. Weiter oben sah ich die Einstichstelle der vorherigen Nadel. Und die Ränder des Pflasters, welches Kareem mir darauf geklebt hatte. Also war das alles kein Traum gewesen. Die Verbände befanden sich auch noch an den selben Stellen meines Körpers. Nach und nach wurde ich beweglicher. Mit viel Kraft schaffte ich es, meinen Kopf aufzurichten. Immernoch drehte sich alles ganz leicht. Aber ich konnte klar sehen. Und so wie es aussah, war ich alleine im Zimmer. Dachte ich. Dann bemerkte ich, dass jemand neben meinem Bett stand.
"Hey.", klang seine Stimme durch meine Ohren. Sofort bildeten sich Tränen in meinen Augen. Endlich war ich wieder bei ihm. Ich weiß, wir hatten uns heute schon gesehen. Trotzdem hatte ich ihn bis jetzt einfach unheimlich vermisst. Ich wollte seinen Namen sagen, aber ich brachte keinen Ton hervor. Meine Kehle war wie ausgetrocknet, und ich fing an zu husten.
"Warte.", kam es von dem Ukrainer, der sich direkt ran machte mir ein Wasserglas zu reichen.
"Langsam, Prinzessin.", sagte er sanft, als ich das Glas beinahe fallen ließ. Die Kraft war einfach noch nicht so richtig da. Vorsichtig hielt er es mir an den Mund, sodass ich trinken konnte.
"Danke.", krächzte ich. Er stellte es auf den kleinen Tisch neben dem Bett. In dem Moment als er sich zu mir auf das Bett setzten wollte, klingelte sein Handy.
"Muss kurz raus.", brummte er stirnrunzelnd.
"Nein! Nicht rausgehen. Bitte, Vladislav.", bettelte ich mit schwacher Stimme, und schaffte es ihn an seiner Jeans leicht fest zu halten. Er sah mich mit einem ganz komischen Blick an. Keine Ahnung, ob es so ein enttäuschter Blick war, oder eher ein überraschter Blick. Es war ganz merkwürdig.
"Ich bin nicht Capi.", sagte er. Jap, da war definitiv Enttäuschung in seiner Stimme. Moment, was?
Das konnte doch nicht sein. Ich hatte ihn doch...
Ich rieb mir über die Augen, und öffnete sie dann wieder. Oh mein Gott. Tatsächlich, vor mir stand Samra. Wie konnte das sein? War ich jetzt schon so durch im Kopf, dass ich halluzinierte? Erneut verschwamm meine Sicht. Aber nicht weil mir schwindelig wurde. Sondern weil ich ein einfach unwillkürlich begann zu weinen.
Samra drückte den Anrufer auf seinem Handy weg, und steckte das Telefon dann in seine Hosentasche. Er setzte sich auf mein Bett, und sah mich an.
"Wo ist er?", fragte ich ihn traurig.
"Er musste zu einem Termin. Das war wichtig."
"Was für ein Termin?"
"Mit diesem Chef da von Adidas. Ging nicht zu verschieben, hat er gesagt."
"Aber ich will zu ihm.", schniefte ich leise.
"Beruhig dich erstmal.", redete er sanft auf mich ein.
"Lass.", mahnte der Libanese, als ich es mit viel Anstrengung schaffte die Infusion anzuhalten. Im nächsten Zug entfernte ich die Klemme für die Sauerstoffsättigung von meinem Finger.
"Was wird das?" Ich ignorierte seine Frage, und schob meine Decke weg. Gleich darauf wirkte Samra meinem Vorhaben entgegen, und deckte mich wieder zu. Als ich erneut wieder wegschieben wollte, reichte es ihm.
"Lan, jetzt chill mal!", fuhr er mich wütend an, und packte meine Handgelenke.
Mit großen Augen sah ich ihn an. Ohne dass ich es wollte bildeten sich schon wieder Tränen in meinen Augen, weil er mich angeschrien hatte. Direkt lockerte er seinen Griff, und ich rieb eingeschüchtert über meine Haut, die er eben noch unsanft berührt hatte.
"Kann ich nach Hause?", murmelte ich deprimiert und müde zugleich.
"Noch nicht."
"Warum?"
"Weil du noch nicht darfst."
"Warum?"
'"Weil wir warten müssen."
"Warum?" Er atmete ein, und schnaufte dann laut und langsam wieder aus.
"Weil Kareem das so will."
"Kareem? Also läuft die Abmachung noch? Aber ich darf dich doch nicht sehen, warum bist du dann hier?" Ich verstand gar nichts mehr. Mein Kopf begann wieder zu stechen, und ich musste mich zurücklegen.
"Ich hab keine Ahnung, wallah. Er hat angerufen und mir gesagt, dass er dich hier her gebracht hat. Ich sollte herkommen und bleiben, bis er sagt dass wir gehen können."
"Ich versteh nicht so ganz.", gestand ich leicht verzweifelt.
"Keine Ahnung.", antwortete er nur schulterzuckend.
Einige Minuten lief Samra einfach nur im Zimmer hin und her. Die Gedanken in meinem Kopf überschlugen sich regelrecht. Warum durften wir noch nicht gehen? Was hatte er noch vor? Aber viel wichtiger: Stand unser Deal noch?
"Warum guckst du so komisch?.", fragte Samra. Dass er mich ansah während ich mir den Kopf zerbrach, hatte ich gar nicht mitbekommen.
"Ich hab Angst.", beichtete ich mit brüchiger Stimme. In dem Moment als er etwas darauf erwidern wollte, klopfte es an der Tür. Kurz sahen Samra und ich uns an, bevor unsere Blicke auf die Person fielen, die gerade das Zimmer betrat.
"Ah, du bist wach.", stellte Kareem fest. Er gab Samra ein Augenzeichen, dass er kurz rausgehen sollte. Zögerlich folgte er seiner Anweisung, und ließ mich mit ihm alleine.
"Wie geht's dir?", fragte Kareem in ruhigem Ton, und kam zu meinem Bett. Wie Samra eben setzte er sich zu mir, und sah mich an.
"Geht.", antwortete ich kurz. Nervös spielte ich mit meiner Bettdecke herum.
"Ich wollte noch kurz mit dir reden, bevor ich gehe." Vorsichtig drehte ich meinen Kopf nach links, um ihn anzusehen.
"Was denkst du?", kam es unerwarteter Weise von ihm. Er erkannte die Angst in meinem Blick. Ich schluckte schwer, und sammelte dann meine Kräfte um zu antworten.
"Dass alles umsonst war." Mehr bekam ich nicht raus. Zwar schaffte ich es die Tränen zurück zu halten, aber das Zittern in meiner Stimme konnte ich nicht unterdrücken.
"Habibi.", grinste er leicht. So schnell wie sein Lächeln erschien, so schnell war es auch wieder verschwunden.
"Du hast dich an die Abmachung gehalten. Dass das alles so schief gelaufen ist, ist nicht dein Verschulden. Sondern das deines Freundes." Hä? Wieso war es jetzt auf einmal Vladislav's Schuld? Hatte ich etwas verpasst?
Plötzlich ging die Tür auf, und Samra stolperte herein. Gefolgt von ihm kamen zwei Männer, die die Tür schlossen und ihn dann an den Armen packten. Erschrocken richtete ich mich im Bett auf. Wieder grinste Kareem leicht. Er erhob sich von meinem Bett, und sah zu dem Libanese, der durch die zwei Schränke die ihn fest hielten keine Chance hatte, sich loszureißen.
"Normalerweise würde ich dich jetzt dafür bluten lassen, dass du versucht hast unseren Deal zu Verhindern.", sprach Kareem an Samra gewandt.
"Aber wenn ich das mache, verletze ich Josephine. Also sei ihr dankbar. Würde ihr nicht so viel an dir liegen, hättest du dafür Stiche kassiert." Er schnippste, und die beiden Männer ließen ihn los. Nun drehte er sich wieder zu mir um. Mein Herz war immernoch am rasen. Ich hatte mich vor Schreck so an der Bettdecke fest gekrallt, dass meine Hände bereits weh taten.
"Ihr könnt jetzt gehen. Ich hoffe, wir sehen uns wieder." Kareem zwinkerte mir mit einem charmanten Lächeln zu, und drehte sich dann mit dem Rücken zu mir. Zusammen mit seinen zwei Leuten ging er nach draußen. Samra, der ihnen hinterher sah und schwer atmete, strich sich wütend seinen Pullover gerade.
"Bastarde.", schimpfte er.
"Alles gut?", fragte ich ihn besorgt.
"Jaja. Lass uns abhauen.", antwortete er genervt und zornig zugleich. Mit gerunzelter Stirn lief er zu meinem Schrank, und suchte meine Klamotten heraus. Alles was ich trug, war meine Unterwäsche und dieser dünne Krankenhauskittel, der hinten offen war.
"Zieh dich an, dann fahren wir.", befahl er trocken.
"Hat Vladislav gesagt, wann er..."
"Lan, jetzt nerv mich mal nicht die ganze Zeit! Er kommt wieder, wenn er mit seinem Termin fertig ist, kapiert? Zieh dich an jetzt, oder ich mach's.", motzte er ungehalten, und klatschte die Klamotten auf mein Bett. Okay, nicht heulen. Der ist einfach nur angepisst wegen Kareem. Nicht. Heulen.
Meine Hände zitterten, weil ich so aufgewühlt war. Ich strengte mich an, nicht noch einmal zu weinen. Wie verdammt schwer das ist, weiß glaube ich jeder.
Als ich mich aufsetzte, schoss mir sofort wieder dieser Schmerz durch den Körper. Meine Arme taten weh, meine Knie, meine Beine...einfach alles. Noch einmal schluckte ich die Tränen herunter, und stellte mich hin. Trotz schwacher Beine schaffte ich es, in meine Hose zu kommen. Samra hingegen lief wieder die ganze Zeit im Zimmer hin und her, und sah im Sekundentakt zu mir herüber.
"Lan was brauchst du so lange?", nörgelte er.
"Es tut weh, okay? Und ich häng hier noch dran.", verteidigte ich mich heiser. Er fluchte irgendetwas auf arabisch, und kam dann zu mir.
"Wie macht man den Scheiß ab?", fragte er, und wies auf die Infusion.
"Ich muss die Flexüle raus machen.", antwortete ich und begann, das Pflaster abzupiepeln. Scheinbar dauerte ihm das zu lange, und er drängte mich mit seiner Hand weg.
"Da muss was drauf!", quietschte ich, doch er hatte sie bereits herausgezogen. Angewiedert schmiss er einfach alles in den Müll, und drückte dann kurzerhand ein Pflaster auf die Einstichstelle. Keine Ahnung wo er das jetzt her hatte, aber egal. Er schnappte sich meinen Pullover, und wollte ihn mir anziehen.
"Ich mach das selbst." Einige Sekunden sahen wir uns in die Augen, bis ich begriff, dass er nicht locker lassen würde. Also gab ich nach, und zog das Krankenhaushemd aus. Eilig beförderte er mich in meinen Pullover, und zog mir meine Schuhe an, während ich mein Oberteil gerade zog.
"Los. Ich will aus dieser Drecksbude hier raus.", sagte er genervt, als ich aufstand.
"Warte.", Mir wurde schwindelig. Kurz musste ich mich an ihm fest halten, und tief durchatmen.
"Ich kann nicht so schnell.", sagte ich leise.
"Nicht!", fiepste ich, als er seine Arme unter meine Beine legte und mich hoch hob.
"Halt einfach die Klappe, und halt' dich fest.", meckerte er. Mit dem Fuß drückte er den Türgriff nach unten, und schleppte mich dann nach draußen. Wieder starrte uns jeder an. Weil es mir so unangenehm war wie eine Braut durch die Flure getragen zu werden, vergrub ich mein Gesicht einfach an seiner Brust. Mit egal, ob das komisch war. So wie er hier raus wollte, wollte ich einfach nur nach Hause. Nein, ich wollte zu Vladislav. Alles was ich wollte, war endlich wieder bei ihm zu sein.

Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt