Part 84 ~ In den Fängen des Jokers

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Es war ein bisschen Zeit vergangen, nachdem Vladislav mich auf meinen Wunsch hin bei meinen Eltern zurückgelassen hatte. Mir schien es als wäre ich schon seit Wochen hier, dabei handelte es sich lediglich um ein paar Tage. Ich dachte, es wäre leichter, einfach auf Abstand zu gehen. Dass dann alles schlagartig besser werden würde. Anfangs war das auch so. Allerdings hatte ich immer dieses Gefühl, dass etwas fehlte. Trotzdem wollte ich weiterhin ohne ihn bleiben. Ich musste meinen Kopf frei bekommen. Und das gelang mir nur, wenn Vladislav nicht da war.
Es gab Phasen, in denen mir alles über den Kopf wuchs. Phasen, in denen ich am liebsten den ganzen Tag nur im Bett gelegen hätte. Die größte Ablenkung bestand darin, stundenlang Videos auf TikTok zu schauen. Irgendwie fühlte ich mich danach jedoch noch leerer als vorher.
Das Ganze war ein Trauerspiel. Zwischen uns war so viel kaputt gegangen, dass ich das Gefühl hatte, diese Scherben würden sich nie wieder zusammensetzen lassen. Auf der einen Seite traute ich meinem Freund nicht mehr über den Weg. Jede Berührung, jeder Blick von ihm verunsicherte mich. Und auf der anderen Seite vermisste ich diesen gestörten Psychopathen auf eine komische Art und Weise.
Irgendwann konnte ich mir das nicht mehr mit ansehen. Ich musste meinen Hintern hochbekommen, und wieder anfangen zu leben. Und was konnte da am meisten Abhilfe schaffen? Richtig, eine Shoppingtour.
Also suchte ich in meiner App nach dem nächstbesten öffentlichen Verkehrsmittel, welches mich in die Stadt befördern sollte, und machte mich dann fertig.
Als ich die Tür öffnete und einen Schritt nach draußen setzte, hielt ich kurz inne. Es war schon ein Weilchen her, dass ich einen Fuß nach draußen gewagt hatte. Und dann auch noch alleine! Das war ein besonderer Moment. Nach ein paar tiefen Atemzügen schloss ich die Haustür hinter mir, warf meine Haare zurück und marschierte dann los.
Bereits von weitem erblickte ich wieder diese Schwarzen Autos, in denen Vladislavs Leute hockten.
„Hey!", bremste mich einer von ihnen aus, als ich über die Straße gehen wollte.
„Du sollst auf deinem Grundstück bleiben.", befehligte der große, dunkel gekleidete Mann mit Augen, welche so Schwarz wie die Nacht waren. Sein Gesichtsausdruck machte deutlich, dass er es ernst meinte.
„Sagt wer?", stellte ich mich ihm mutig entgegen. Wenn es Vladislavs Leute waren, würden sie mir nichts tun.
„Der Boss.", antwortete der bärtige Mann mit rauchiger Stimme.
„Ist mir egal." Mit diesen Worten wollte ich einen perfekten Abgang hinlegen und an ihm vorbeirauschen, doch er wusste es zu verhindern. In Sekundenschnelle griff er nach meinem Oberarm, und zerrte mich wieder zurück, sodass ich vor ihm zum Stehen kam.
„Was soll das? Lass mich los, du Affe!", quietschte ich.
„Wenn der Boss sagt du bleibst auf deinem Grundstück, dann sorge ich dafür, dass du das auch tust."
„Dann ruf deinen Boss an und sag ihm, er soll sich hier herbewegen. Dann klären wir das!", fauchte ich ihn an. Dieser Kerl machte mich so unglaublich rasend, das war unbeschreiblich. Und meine Bahn verpasste ich wegen diesem Idiot nun auch noch.
„Er ist beschäftigt. Für so einen Kindergarten hat er keine Zeit. Du bleibst hier, und damit basta."
„Kindergarten?", wiederholte ich zornig seine Worte.
„Schön. Dann rufe ich ihn eben selbst an."
Ich nahm mein Handy in die Hand, wandte dem Kerl den Rücken zu, und klingelte dann bei Vladislav durch. Natürlich ging er mal wieder nicht ans Telefon.
„Er ist mitten im Meeting. Ich sag doch, er hat keine Zeit für sowas.", belehrte mich der Typ hinter mir.
„Das reicht. Ich gehe jetzt, von dir lasse ich mich nicht hier einsperren!" Damit wollte ich zum zweiten Mal an dem Kerl vorbei. Dieses Mal stellte er sich mir direkt in dem Weg, anstatt mich wie eben zurückzuzerren.
„Der Boss hat gesagt du sollst das Grundstück nicht verlassen, und ich sorge dafür.", leierte er seinen Spruch erneut herunter.
„Fein. Entweder lässt du mich jetzt durch, oder ich rufe die Polizei."
„Du willst diese Spielchen? Tamam. Entweder bewegst du deinen Hintern jetzt wieder ins Haus zurück, oder ich bring dich ins Hauptquartier."
Ich trotzte dem Riese entgegen, indem ich mein Handy zückte und die 110 wählte. Noch bevor ich anrufen konnte, riss er mir mein Handy aus der Hand.
„Gib das wieder her!", schrie ich ihn wutentbrannt an.
„Der Boss wird es dir aushändigen. Jetzt geh zurück ins Haus."
„Ich lasse mich weder einsperren noch entführen!"
Schnaufend vor Zorn stampfte ich an dem Affe vorbei, und wurde daraufhin gleich wieder am Arm gepackt.
„Nimm deine Hände weg!"
Plötzlich legte er seinen Arm um meinen Bauch, um mich gegen meinen Willen hochzuheben und ins Auto zu zerren. Dummerweise drückte er damit direkt auf meine Bauchwunde, was mich nur noch mehr dazu veranlasste, mich mit Händen und Füßen gegen ihn zu wehren. Irgendwann hatte er mich auf die Rückbank seines Autos befördert, knallte die Tür zu, und stieg vorne ein. Um sicher zu gehen dass ich nicht fliehen konnte, verriegelte er das Auto sofort von innen.
„Was stimmt nicht mit dir? Denkst du echt, Vladislav wird dich dafür feiern!?"
„Ich befolge nur meine Anweisungen."
Der bärtige Typ schnallte sich an, startete den Wagen, und verließ dann mit mir auf der Rückbank mein Wohngebiet.
„Als ob er es dir dankt, wenn du tust, was er sagt. Für ihn bist du doch eh nur ein Mittel zum Zweck."
„Da haben wir ja dann was gemeinsam, schätze ich.", entgegnete der Mann mit einem ekelhaft dreckigen Grinsen.
Angewidert verschränkte ich die Arme vor der Brust, und rutschte in meinem Sitz weiter nach unten. Wie konnte ich auch so dumm sein und glauben, dass die ganze Sache keinen Haken hatte.
„Geh schon.", schubste mich der Riesenaffe nach vorne, nachdem er die Tür zu Vladislavs Lagerhalle geöffnet hatte. Als ich hereintrat, staunte ich nicht schlecht. Die Lagerhalle sah von innen nun nicht mehr aus wie eine Halle, sondern wie ein echtes Gebäude. Die Fläche wurde räumlich durch Wände getrennt, und alles sah nun viel strukturierter und ordentlicher aus. Das Einzige was sich nicht verändert hatte, war der Tisch mit den rund herumstehenden Sofas links vom Eingang. Und diese hässliche Treppe, welche zu Vladislavs Büro führte.
„Ah, hoher Besuch, wa?"
Zu uns kam Milo gelaufen, welcher mich mit spöttischem Lächeln musterte.
„War da jemand nicht brav, hm?", verhöhnte er mich. Wie ich dieses Arschloch mit seinem selbstgefälligen Grinsen doch verabscheute. Wie ich das alles hier einfach nur verabscheute. Auch wenn das Hauptquartier jetzt nicht mehr so schäbig aussah wie vorher, empfand ich hier nichts als Unwohlsein.
Ich zuckte zusammen, als der Kerl hinter mir seine Hand auf meine Schulter legte.
„Setz dich zu den anderen. Der Boss müsste bald zurück sein.", befahl er. Der Boss. Jedes Mal, wenn ich dieses Wort hörte, verdrehte ich innerlich die Augen.
Fünf Minuten nachdem ich mich wohl oder übel zu den anderen Affen gesellt hatte, kam Milo um die Ecke.
„Hab gerade mit Capi geredet, er verspätet sich. Josy soll aber woanders warten."
Ein Glück, dachte ich mir. Dass ich überhaupt hier war, kotzte mich zwar an, aber so musste ich wenigstens nicht zwischen den ganzen Typen hocken, von denen einer unsympathischer aussah als der andere.
Ich stand also vom Sofa auf, zog mein Oberteil gerade, und stolzierte dann zu Milo hinüber. Sicherlich passte es ihm nicht, dass Vladislav mich nicht hier warten lassen wollte.
„Er hat gesagt, wir sollen sie einsperren, bis er da ist."
„Wie bitte?" In diesem Moment fiel mir alles aus dem Gesicht. Noch bevor ich realisieren konnte, was gerade geschah, packten mich zwei dieser Typen links und rechts unter den Armen, sodass ich nicht weglaufen konnte.
„Niemals hat er das gesagt!", protestierte ich, während ich versuchte mich zu befreien.
„Hat er. Und noch andere Dinge, aber die wirst du früher oder später schon selbst erfahren."
Mit einer Handbewegung wies er die Kerle an, mich wegzubringen.
„Viel Spaß.", rief er mir freudestrahlend hinterher, und winkte dabei.
„Das könnt ihr nicht machen!", quietschte ich, als ich den großen Metallkäfig erblickte. Mein Magen zog sich zusammen, wenn ich daran dachte, dass ich mich gleich darin befinden würde.
„Ihr verdammten Arschgeigen!", brüllte ich, völlig außer mir. Der Käfig wurde mit einem riesigen, dicken Metallschloss verriegelt, die Tür abgeschlossen, und ich mir selbst überlassen.
„Das ist doch nicht euer scheiß Ernst!", schrie ich so laut, dass meine Stimme ein Echo wiedergab. Aus meiner Wut wurde Verzweiflung, woraus sich Tränen entwickelten.
„Das kann einfach nicht wahr sein.", nuschelte ich vor mich hin, schniefte laut, und versuchte mich zu beruhigen. In diesem verdammten, ca zwei Quadratmeter großen Käfig befand sich so gut wie nichts. Alles was man hier vorfand, waren zwei Schalen. Eine war gefüllt mit Wasser, und die andere war leer. Was zum Teufel war das hier? Ein Hundezwinger? Oder eine Art Knast für die, die es sich mit Vladislav verscherzt hatten? Stand ich nun wieder an genau demselben Punkt, wie vor ein paar Wochen? Täuschte mich mein Gefühl tatsächlich nicht, und ich war nun wieder in den Fängen des Jokers? Warum passierte immer mir so ein Mist? Wie konnte ein Mensch so verdammt viel Pech haben?
Völlig fertig mit den Nerven raufte ich mir die Haare, lehnte mich an das Gitter an, und ließ mich dann langsam nach unten rutschen. Nun hockte ich auf eiskaltem, dreckigen Boden, eingesperrt in einen ausbruchssicheren Hundekäfig, und wartete auf die Dinge die da noch kamen.
Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was Vladislav dieses Mal mit mir anstellen würde. Für noch so ein Drama fehlten mir die Nerven, und vor allem die Kraft. So sehr ich auch versuchte einen klaren Kopf zu bewahren, es funktionierte nicht. Während bittere Tränen auf den grauen Boden tropften und meine Haare womöglich total zerzaust aussahen, hallte nur ein einziger Gedanke immer wieder durch meinen Kopf:

Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt