Part 12 ~ Endlose Nacht

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Ich öffnete Samras Zimmertür und blicke Granit ins Gesicht, der mich mit einem ungewöhnlich vorwurfsvollen Blick musterte.
"Capi hat gesagt, ich soll ein Auge auf dich haben.", sagte er, nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen hatte.
"Wieso, wo ist er?"
"Im Studio. Ist vorhind stinksauer abgehauen, gleich nachdem du hoch bist.", antwortete er und folgte mir, als ich in mein Zimmer lief. Natürlich war er wieder abgehauen. So, wie er es immer tat. Ach, warum beschwere ich mich eigentlich? Vielleicht ist es auch besser so. Ich hätte keine Kraft, mich heute nochmal mit ihm in die Haare zu kriegen.
"Willst du darüber reden?", fragte Granit, der mit verschränkten Armen im Türrahmen lehnte und mich beobachtete.
"Normalerweise ja. Aber ehrlich gesagt bin ich gerade einfach zu müde, um mich jetzt nochmal mit dem ganzen Scheiß auseinander zu setzen.", antwortete ich ihm, während ich meine Sachen für die Dusche zusammensuchte. Ich packte mir alles auf den Arm und steuerte dann auf die Tür zu. Doch er blieb einfach stehen und blockierte mir somit den Ausgang.
"Was war das eben mit Samra?", fragte er mit ernster Miene.
"Wir haben geredet. Es gab noch einiges zu besprechen.", antwortete ich müde.
"Geredet. Und deshalb schließt ihr ab?"
"Samra hat abgeschlossen, weil ich Angst hatte dass Vladislav reinkommt. Er hätte sich sonst unnötig aufgeregt.", sprach ich schulterzuckend und wollte an ihm vorbei, aber er machte seinen Rücken gerade und stellte sich vor mich wie ein Türsteher.
"Was soll das?", fragte ich ihn verunsichert, da er sich sonst nicht so verhielt.
"Ich habe Ohren, die funktionieren. Ihr habt euch angeschrien, und dann war Ruhe. Jeder normal denkende Mensch kann sich ausmalen, was da drinnen abgegangen ist.", schlussfolgerte er streng und musterte mich mit diesem Blick, den ich nur zu gut von Vladislav kannte.
"Granit, ich schwöre dir du irrst dich. Auch wenn Vladislav und ich gerade eine Meinungsverschiendenheit haben - ich liebe ihn. Du weißt, dass es nie jemand anderen für mich geben wird. Ich könnte es nicht ertragen, wenn sein Herz brechen würde. Bitte, glaub mir dass da nichts gewesen ist. Du kennst mich."
"Ich kenne aber auch Samra. Und ich weiß, was er für dich empfindet - und wie überzeugend er sein kann."
"Das heißt aber nicht, dass es mir genauso geht. Meine Gefühle für Samra sind nur Freudschaftlich. Mehr nicht."
Er sah mich analysierend an, atmete laut hörbar durch die Nase ein und aus, und lockerte seine Haltung dann ein kleines bisschen.
"Ich würde dich niemals anlügen, Granit. Dich nicht. Du bist der einzigste, der genau weiß was in mir vorgeht. Und du weißt, was in Samra vorgeht. Darum müsstest du eigentlich wissen, dass ich Vladislav niemals betrügen würde.", sagte ich leise und sah ihm in die Augen. Er hielt kurz Blickkontakt, und schien dann einzusehen dass ich es ernst meinte.
"Ich würde es nicht einmal in Erwägung ziehen, dich anzulügen. Du bist der einzigste Freund, den ich momentan habe. Der einzige neutrale Freund, der trotz dem ganzen Durcheinander hier sieht, was wirklich vor sich geht. Dich auch noch zu verlieren könnte ich nicht ertragen." Meine Stimme versagte zu Schluss, weil sich in meinen Augen Tränen bildeten. Ich wollte nicht schonwieder heulen. Dennoch konnte ich es nicht vor ihm verbergen.
"Du hast Recht. Ich hab vorschnell geurteilt.", gestand er lockerte seine Haltung.
"Du bist mir zu wichtig, als das ich es riskieren würde dich zu verärgern.", sagte ich mit gebrochener Stimme, während sich sein strenger Gesichtsausdruck ebenfalls auflockerte.
"Schon okay.", entgegnete er leise, legte seine Hand auf meinen Hinterkopf und drückte mich liebevoll gegen sich.
"Du weißt, du kannst immer zu mir kommen, wenn was ist", brummte er gegen meinen Haaransatz.
"Ich weiß. Danke.", schniefte ich leise gegen sein Shirt und schaffte es zu verhindern, dass ich eine weitere Träne verlor.
Er ließ wieder von mir ab und strich noch einmal über meinen Kopf, bevor er etwas sagte.
"Geh duschen. Ich sage Capi nichts hiervon.", flüsterte er, und machte mir dann den Weg frei.

Frisch geduscht und bettfertig öffnete ich die Badezimmertür. Der Flur war komplett dunkel, und es herrschte Stille im ganzen Haus. Normalerweise störte mich die Dunkelheit nicht, aber in diesem Moment machte sie mir irgendwie Angst. Obwohl ich wusste dass Granit und Samra in ihren Zimmern waren und hier kein ungebetener Gast hereinkommen könnte, fühlte ich mich trotzdem irgendwie extrem unwohl. Ich nahm mein Handy und leuchtete den Flur ab. Natürlich war hier niemand. Wieso sollte auch jemand im Flur stehen?
Seufzend trat ich aus dem Bad und schlurfte in mein Zimmer zurück. Ich schloss die Tür hinter mir, räumte meine Sachen weg und ließ mich dann in das große King Size Bett fallen.
Zuletzt online gestern, 20:34.
Scheinbar hatte er sein Handy ausgemacht. Es würde mich nicht wundern, wenn er jetzt drei Tage lang verschwunden wäre und dann irgendwann zu einer komplett unchristlichen Zeit ins Haus geschlendert kommt. So war er eben.
Ich legte das Handy beiseite, zog mir die Decke bis zum Kinn und schloss die Augen.
So lag ich dann eine halbe Stunde da. Verdammte dreißig Minuten, in denen mein Kopf einfach nicht die Fresse halten wollte. Ich stöhnte genervt auf, schob die Decke von meinem Körper herunter und setzte mich an den Bettrand. Es war nicht so, dass ich nicht müde war. Ganz im Gegenteil: ich war todmüde. Aber so sehr ich es wollte, ich konnte nicht schlafen. Nicht, wenn mir so viele Gedanken durch den Kopf schwirrten. Also entschloss ich mich, wieder aufzustehen. Vladislav hatte mir mal erzählt, dass er sich von irgendwo Schlaftabletten klargemacht hatte. Wenn ich sie finden würde, könnte ich vielleicht ein bisschen Ruhe finden. 
Ich tapste leise nach unten in die Küche, und leuchtete mir wieder den Weg mit meiner Handytaschenlampe. Im Schrank suchte ich dann nach dem kleinen Körbchen, wo die Jungs ihre ganzen Sachen gebunkert hatte.
Nach wenigen Minuten hatte ich das ganze verdammte Ding ausgeschüttet und durchwühlt, aber nichts gefunden.
"Kann man dir helfen?" Ich zuckte zusammen, und war für einen Moment wie erstarrt. Obwohl ich nichts schlimmes tat, fühlte ich mich als hätte man mich beim klauen erwischt.
"Ich glaube nicht dass Capi begeistert wäre wenn er rausfindet, dass du seinen Stoff klaust.", flüsterte mir jemand ins Ohr und drückte sich ganz sanft gegen mich.
"Ich klaue keinen Stoff. Alles was ich suche, ist eine verdammte Schlaftablette.", rechtfertigte ich mich und setzte meine verzweifelte Suche fort.
"Da wirst du hier wohl kein Glück haben, Prinzessin." Ich stoppte meine Bewegungen, und drehte mich dann langsam um.
"Wenn du weißt wo sie sind, dann sag es.", sprach ich leise zu dem Libanesen mit dem blauen Auge, der sich mal wieder viel zu nah an mich herangeschoben hatte.
"Warum so angepisst?", fragte er gespielt überrascht. Da ich keine Lust auf diese Unterhaltung hatte, rollte ich einfach mit den Augen und wollte an ihm vorbei. Jedoch griff er nach meiner Hand, und brachte mich damit zum stehen.
"Capi bunkert die nicht hier. So wie ich ihn kenne, hat er sie in irgendeiner Klamottenschublade versteckt, damit sie keiner nimmt.", sagte er nun mit normaler Stimme.
"Danke.", entgegnete ich, und Samra stellte das Körbchen wieder zurück an seinen Platz.
"Nimm die aber lieber nicht. Die hauen dich um. Wenn er vor morgen Abend wieder da ist, wird er das merken. Er versteht da keinen Spaß.", erklärte er und schloss die Schranktür.
"Wenn du willst, können wir auf meinem Balkon chillen. Bin auch schlaflos.", schlug er vor und ging an mir vorbei.
"Was ist auf einmal los mit dir?", fragte ich ihn überrascht, und beobachtete wie er sich zu mir umdrehte.
"Hm?", brummte er mit unschuldigem Blick.
"Warum bist du plötzlich so nett?"
"Hab vielleicht ein oder zwei Tablettchen zu viel genommen. Mein Kopf macht gerade irgendwie, was er will. Gewöhn dich also nicht daran, das ist nur vorrübergehend." Er drehte sich wieder um und ging vorneweg nach oben in sein Zimmer. Wortlos folgte ich ihm und blieb vor der Schwelle zu seinem Raum stehen.
"Was, denkst du ich lock dich in eine Falle?", fragte er amüsiert, als er bemerkt hatte dass ich sein Zimmer noch nicht betreten hatte.
"Ich weiß es nicht. Möglich wär's.", antwortete ich ernst. Er grinste, schnaufte kurz leise auf und nahm sich dann seine Bettdecke. Mit Schwung warf er sie zu mir, und ich fing sie auf bevor sie auf dem Boden landen konnte.
"Zieh lieber über. Ist kalt draußen." Er schweifte mit seinem Blick kurz an meinem Körper nach unten, grinste, und drehte sich dann zur Balkontür um. Mein Schlafanzug bestand aus kurzen Shorts und einem Top, dessen Ausschnitt etwas weiter war. Ich schluckte leicht, wickelte mich in die Decke ein und verdeckte somit meinen Oberkörper. Hätte er mir nicht die Decke gegeben, hätte ich mich später noch unwohler gefühlt, als ich es sowieso schon tat.
"Jetzt komm her, ich schubs dich schon nicht runter.", forderte er mich auf, und blieb in der Balkontür stehen.
"Versprochen?", fragte ich ihn leicht ironisch, als ich an ihm vorbei ging. Anstatt zu antworten grinste er allerdings nur dämlich, und zog die Tür hinter sich zu.

"Also. Warum habt ihr gestritten? Du und Capi?", kam es von ihm, als wir uns beide hingesetzt hatten und in den Himmel starrten.
"Das leidige Thema.", antwortete ich seufzend, und kuschelte mich in seine Decke ein.
"Du bis zu langweilig im Bett?", grinste er, woraufhin ich nach seiner Malboro-Schachtel auf dem Tisch griff und ihn damit abwarf. Sie prallte an seinem Oberarm ab und fiel zu Boden, wo er sie dann wieder aufob in auf den Tisch zurück legte.
"Also hab ich Recht?", lachte er, und brachte mich damit ebenfalls zum grinsen.
"Selbst wenn es so wäre, wärst du der letzte mit dem ich darüber reden würde."
"Tamam, war ja nur Spaß lan.", sagte er, immernoch grinsend und spielte mit seinem Feuerzeug in der Hand herum.
"Er macht sich Sorgen, wegen Kareem."
"Zu Recht. Kareem sollte man nicht unterschätzen."
"Bevor wir nach Paris gefahren sind, hat er mir was versprochen. Er hat gesagt, ich würde mehr Freiheiten haben. Ich dürfte vielleicht sogar alleine in die Stadt, wenn einer irgendwo in der Nähe bleibt. Als du verschwunden warst, durfte ich alleine zu Hause bleiben. Er hat mir seinen Schlüssel anvertraut. Aber durch das, was heute passiert ist..."
"Verliert das alles seine Gültigkeit.", schlussfolgerte er.
"Ich weiß, er meint es nur gut. Aber ich will nicht wieder bei Null anfangen.", sagte ich und betrachtete die einzelnen Sterne, die am klaren Nachthimmel leuchteten.
"Du hast mit Kareem verhandelt, Josy. Er ist ein Hurensohn - aber er steht zu seinem Wort. Er hätte uns laufen lassen und damit seinen Teil der Abmachung eingehalten. Ich weiß nicht, ob er sich ruhig verhält nachdem die anderen ihn überwältig haben. Wenn wir Pech haben, lässt er das nicht auf sich sitzen und wird einfordern dass du hälst, was du versprochen hast.", erklärte er. Ich schluckte schwer und zog die Decke weiter nach oben, weil mir durch die Gänsehaut leicht kalt geworden war.
"Hör zu, wir werden nicht zulassen dass das passiert okay? Bis jetzt konnten wir Khalil auch von dir fern halten. Mehr oder weniger. Zur Not haben wir immernoch Grano und viele andere, die uns den Rücken stärken wenn es darauf ankommt. Auch wenn es nicht so aussieht - wir sind viel weiter vernetzt, als du glaubst. Unsere Kontakte gehen weit über Berlin hinaus. Trotzdem müssen wir aufpassen, und können dich nicht einfach so alleien draußen herumspazieren lassen. Du bist viel zu leichte Beute."

"Was wäre, wenn es andersrum sein würde?", fragte ich ihn nach einigen Minuten Stille.
"Was?"
"Wenn du an meiner Stelle wärst. Würdest du dich einsperren lassen?", fragte ich ihn, und sah ihn dabei an. Er spielte wieder mit seinem Feuerzeug und sah in die Ferne.
"Siehst du.", sagte ich, und stand von dem Balkonstuhl auf.
"Warte.", stoppte er mich und schnappte sich ein Stück der Decke, in die ich immernoch eingewickelt war. Er stand ebenfalls auf, und zog mich mit der Decke an seinen Körper heran.
"Gib ihm nicht die Schuld. Er handelt nur aus Liebe. Weil er dich beschützen will. So wie ich.", sagte er mit kratziger Stimme, und suchte wieder Blickkontakt.
"Samra...", sagte ich leise, als er seinen Arm um meinen Körper legte um mich noch näher an sich heranzuziehen.
"Bitte, mach das nicht. Das ist falsch."
"Ich weiß."
"Dann hör auf damit. Ich habe dir bereits gesagt, wie ich dazu stehe. Und das wird sich auch nicht ändern."
"Deine Lügen werden immer besser, Joslyn.", sagte er knurrend, als ich mich von ihm wegdrückte.
"Das sind keine Lügen, Samra. Das ist die Wahrheit."
"Dann beantworte mir eine Frage.", sagte er streng, und drängte mich dazu weiter nach hinten zu gehen. Ich spürte die Balkontür im Rücken, und nichtmal eine Sekunde später stand er wieder direkt vor mir.
"Wenn du die Wahrheit sagst...", fing er an, zog die Decke an meinen Schultern nach unten und legte seine warmen Hände beidseitig an meinen Hals.
"Warum überschlägt sich dein Herzschlag, wenn ich das hier mache?", führte er seinen Satz fort und nahm eine Hand weg, um eine Haarsträhne hinter mein Ohr zu streichen.
"Weil ich Angst habe.", antwortete ich flüsternd, mit stockendem Atem.
"Wovor?", flüsterte er zurück und sah mir in die Augen, wodurch die Nervosität in meinem Körper nur noch mehr anstieg.
"Vor dir." hauchte ich. Er fuhr mit seiner Hand an meinem Kiefer entlang, und legte sie unter mein Kinn, um es anzuheben. Sein Blick war undeutbar. Ich konnte nicht sagen, was gerade in ihm vorging. Alles was ich in seinen dunklen Augen sah, war Leere.
"Das solltest du auch.", flüsterte er bedrohlich, und ich spürte wie es mir eiskalt den Rücken herunter lief.

Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt