Part 89 ~ Herz gegen Verstand

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„Meinst du, ich kann das so anziehen?"
Meine Mom nickte zustimmend, und reichte mir ihre schwarze, dünne Strickjacke mit den Dreiviertelärmeln.
„Ich hatte die auch an, zur Silberhochzeit. Die ist wirklich schön."
„Ja, aber sie ist schwarz. Das ist für eine Hochzeit doch eher unpassend, oder?"
Sie zuckte mit den Schultern. „Ist doch egal, du trägst sie eh nicht die ganze Zeit. Nur, wenn es abends etwas kälter wird. Wobei, wir sind ja die ganze Zeit drinnen. Wahrscheinlich brauchst du sie nicht einmal, aber ich würde sie trotzdem mitnehmen."
„Nagut.", stimmte ich ein, während ich sie sorgfältig zusammenlegte.
„Und Vladislav, hat er schon was zum Anziehen?"
„Ja, er hat noch einen blauen Anzug zu Hause. Er hat mir ein Foto geschickt, es ist genau die gleiche Farbe wie die von meinem Kleid. Das passt also perfekt zusammen." Ein kleines, glückliches Grinsen konnte ich mir bei dem Gedanke daran, wie wir beide farblich abgestimmt dort erscheinen werden nicht verkneifen.
„Wie schön. Hussein hat auch einen blauen Anzug, hatte er erwähnt. Dann geht ihr also alle im Partnerlook."
„Wie, der geht da auch hin?", fragte ich entsetzt.
„Natürlich geht er auch hin. Er gehört doch sozusagen mit zur Familie."
Meine Mutter betrachtete mich verwundert, als ich genervt mit den Augen rollte.
„Wieso, hast du ein Problem mit ihm?"
„Ich glaube eher, er hat ein Problem mit mir."
„Du übertreibst wieder.", winkte sie genervt ab. War ja klar, dass sie sowas nicht hören wollte, wenn es um negative Aspekte an ihrem ach so lieben Hussein ging. Manchmal fragte ich mich wirklich, ob sie seine oder meine Mutter war. Vielleicht wurde da bei der Geburt irgendetwas vertauscht? Vielleicht sind das gar nicht meine Eltern? Während ich so darüber nachdachte, musterte ich meine Mutter ganz genau. Ihre kurzen, dunkel gelockten Haare. Und dieser typische Gesichtsausdruck den ich bei mir selbst kannte, wenn ich etwas nicht hören wollte. Jap, das war definitiv meine Mutter. Da gab es keine Zweifel.
„Ich übertreibe nicht, Mama.", warf ich mit spitzem Unterton in ihre Richtung. „Er ist einfach total gestört, wie so ein richtiger Psychopath. Immer schubst er mich herum, drückt mir blöde Sprüche, und schießt mir irgendwelche Drohungen entgegen."
„Josy, Hussein ist ein lieber Junge. Ich weiß nicht, was da zwischen euch nicht stimmt, aber vielleicht solltet ihr das klären."
„Klären? Weißt du, wie oft ich das schon versucht habe? Mit ihm kann man einfach nicht reden."
„Du bist aber auch nicht immer einfach, Josy."
Wieso mache ich mir überhaupt die Mühe?
„Schon gut, vergiss es.", winkte ich ab, und zu meinem Glück beließ es meine Mutter dabei. Es hatte absolut keinen Sinn, mit ihr darüber zu sprechen, weil sie nichts Schlechtes über Samra kommen lassen würde. Ach, wenn die wüsste. Man musste den echt mal filmen und es ihr dann vorspielen, damit sie ihre Rosarote Brille abnahm.
„Kannst du bitte die Tür aufmachen?", fragte sie, nachdem ein lautes Klopfen unser Gespräch gestört hatte. Seufzend legte ich die Strickjacke auf den Tisch, und schlurfte dann zur Tür. Am liebsten hätte ich das Brett direkt wieder zugeschlagen.
„Was willst du schonwieder hier?", zischte ich dem Libanese zu, welcher sich regelrecht an mir vorbeidrängte. Eigentlich wollte ich ihn ja gar nicht erst reinlassen, aber ihn schien das nicht zu interessieren.
„Wo isn deine Mom?", fragte er, ohne meinem wütenden Blick und der abwertenden Haltung Aufmerksamkeit zu schenken.
„Hier!", rief sie, und kam mit etwas Blauem in der Hand zu uns gelaufen. Es sah wohl so aus, als trüge sie Samras Anzug.
„Frisch gebügelt, wie neu."
„Boah, krass. Ich danke dir, wirklich.", sagte er daraufhin mit so unschuldig süßer und lieblicher Stimme, dass ich mich fragte, wer da gerade vor mir stand und was er mit dem echten Samra angestellt hatte.
Ich kann mir das nicht länger mit ansehen, das ist ja abartig.
„Mama, hast du den Autoschlüssel gesehen?", unterbrach ich Samras Geschleime, während ich erfolglos die Küche durchstöbert hatte.
„Ja, den hat Papa. Er musste noch einmal weg, wollte irgendetwas erledigen."
„Mist.", fluchte ich leise.
„Wohin willst du?", mischte sich der gespielt nette schwarzhaarige sofort ein. War ja klar, dass er da sofort mitreden musste.
„Das geht dich gar nichts an.", war die pampige Antwort, die er von mir erhielt.
„Josy, es reicht. Er hat dich höflich gefragt."
Wie ich es hasste, wenn meine Mutter mir vor anderen sagte wie ich mich verhalten sollte. Ich war alt genug, um selbst zu entscheiden, wie ich wem gegenübertreten wollte.
Wieder einmal rollte ich genervt mit den Augen, und presste dann ein schlecht gelauntes „Nach Hause, das Kleid für die Hochzeit holen." hervor.
„Ich kann dich fahren.", schlug er vor. Klar, das würde ihm so passen. Aber nicht mit mir. Ich wollte mich nicht von Samra abhängig machen, sondern meine Sachen alleine klären.
„Ich warte lieber, bis Papa wiederkommt. Danke." Ich warf ihm ein provokatives, gefälschtes Grinsen zu und drehte mich dann von beiden weg.
„Und wie willst du reinkommen, ohne Schlüssel?"
„Vlad wird mir schon aufmachen."
„Capi ist nicht da."
„Dann warte ich eben, bis er zu Hause ist."
„So wie es sich angehört hat, kommt er morgen erst wieder heim."
Darf ich ihn bitte schlagen?
„Wenn er so nett ist und dir anbietet dich zu fahren, dann lass dir doch helfen.", mischte sich meine Mutter wieder ein. Nachdem ich ihr allerdings meinen wütenden Todesblick zugesendet hatte, zog sie händehebend mit einem „Ach, klärt das unter euch." davon.
Geht doch, warum nicht gleich so?
„Komm, ich fahr dich."
„Natürlich. Damit du mir dann im Auto irgendwas antun kannst. Ich bin nicht dumm, ich weiß, was du vorhast."
„So? Was macht dich da so sicher?"
„Dein Blick reicht mir schon."
Das war nicht nur so daher gesagt. Sein Blick war wirklich mehr als eindeutig, das erkannte man an dem aufgeregten, angestachelten Funkeln in seinen schwarzen Augen. Ich wusste genau, dass er das nette nur vorspielte, um sich dann in Ruhe an mir rächen zu können.
„Du kannst fahren.", sagte er plötzlich, und hielt mit seinen Autoschlüssel entgegen.
Okay, damit hätte ich absolut nicht gerechnet. Was sage ich jetzt?
Völlig verblüfft und wie angewurzelt stand ich da, und schaute zwischen ihm und dem Autoschlüssel hin und her.
„Das ist nett von dir, aber ich glaube, ich nehme lieber ein Taxi.", würgte ich ihn ab. Diesen Triumph, mich verarscht zu haben, wollte ich ihm nicht geben. Wenn ich mittlerweile etwas gelernt hatte, dann dass man nicht alles und jedem trauen sollte.
„Nö, ist nicht. Ich blockiere so lange die Tür, bis du dich von mir fahren lässt."
„Du weißt schon, dass ich auch aus dem Fenster abhauen kann?", lachte ich ihm entgegen.
„Sicher. Klettere ruhig raus, ich warte dann auf dich, um dich zu kidnappen."
Ich war mir nicht sicher, ob er das ernst meinte, bis er anfing zu grinsen.
„Ich hab keine Chance alleine hier wegzukommen, oder"', fragte ich seufzend.
„Nope."
„Ehrlich, ich check das nicht. Als wir im Wald waren hast du mich komplett runtergesaut, und jetzt machst du einen auf nett und willst mich fahren?"
„Sei doch froh, dass ich nett zu dir bin.", entgegnete er daraufhin nur schulterzuckend.
„Ich bin nicht dein Mülleimer, bei dem du jedes Mal deinen Frust abladen kannst."
„Man, du weißt doch, wie ich bin. Ich bin halt kompliziert lan, ich kann doch auch nix dafür."
„Ja, ich weiß wie du bist. Und solange du deine Stimmungschwankungen nicht unter Kontrolle hast, werde ich auch definitiv nicht zurückkommen."
„Du kannst nicht ewig bei deinen Eltern wohnen, Josy.", sagte er, und kam dabei ein paar Schritte näher. Um ihm zu signalisieren, dass er mir fernbleiben sollte, trat ich sofort einen Meter nach hinten.
„Das liegt nicht in deiner Entscheidung." Er sah mich mit seinen dunklen, fast schon flehenden Augen an. Aber auch wenn er es sich noch so sehr wünschte, ich würde nicht zurückkommen, wenn ich noch nicht bereit dafür war.
„Ehrlich gesagt bin ich ganz froh darüber, dass ich Abstand von euch beiden, und gerade auch von dir habe. Nachdem du mir gestern wieder gezeigt hast, dass ich mehr Angst vor dir als vor Khalil haben sollte."
„Lan, nein. Das war scheiße, okay? Das weiß ich. Keine Ahnung, was da mit mir los war gestern. Ich war nicht ganz ich selbst."
„Doch, du warst total du selbst. Genau das ist es, was mir Sorgen macht. Ich habe keine Ahnung, wie weit du gehen würdest."
„Nein, wallah Josy, ich bin nicht so. Mein Kopf war gefickt gestern, nach der vorherigen Nacht und allem drum herum war ich einfach durch."
„Tut mir leid, aber das ist keine Entschuldigung.", antwortete ich kopfschüttelnd.
„Sorry, wallah. Ich hab übertrieben", gab er daraufhin mit traurigem Hundeblick von sich. Ich hatte mir fest vorgenommen, konsequent zu bleiben. Doch wenn er mich so ansah, konnte ich ihm nicht weiter die kalte Schulter zeigen. Also rollte ich mit den Augen, und drehte mich dann zum Treppenaufgang um.
„Ich hol kurz meine Sachen, dann können wir los. Aber Samra, eine Sache." Er sah mich mit unschuldigen Blicken an, während ich zu ihm zurückstolziert kam. Absichtlich trat ich nah an ihn heran, damit meine Mutter nichts hiervon mitbekam.
„Ich schwöre, wenn du irgendwie komisch wirst," Mein Finger tippte drohend auf seine Brust, während ich ihm tief in die Augen schaute. „Rufe ich die Bullen. Nur eine kleine merkwürdige Sache die du abziehst, und ich drücke auf den grünen Hörer."
Der Libanese sah mich zuerst reaktionslos an, während er mir genauso tief in die Augen blickte wie ich ihm. Dann griff er sanft nach meinem Zeigefinger, mit welchem ich demonstrativ gegen seine Brust getippt hatte, um ihm deutlich zu machen, wie todernst ich das meinte.
„Wallah Habibi, ich mach nix. Jetzt nimm deinen Finger lieber von mir weg, sonst fress ich den."
Er legte ein diabolisches Grinsen auf, woraufhin ich meine Hand schnell von ihm wegzog.
„Dünnes Eis.", mahnte ich, woraufhin sein Grinsen noch größer wurde.


Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt