Part 61 ~ Schauspiel

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„Hast du gelauscht?", fragte ich den vor mir stehenden Libanese mit brüchiger Stimme.
„Nein. Nicht direkt. Also ich hab nur ein, zwei Wörter gehört." Ich nickte stumm, und lief an ihm vorbei.
„Wo willst du hin?", fragte er brummend.
„Gästezimmer. Da kann ich die Tür abschließen." Ich dachte an Vladislavs Worte zurück.
Er kommt immer, wenn du schläfst.
Ein  unangenehmes Kribbeln breitete sich in meinem Bauchraum aus, als mir  dieser Satz durch den Kopf hallte. Ob es nur eine leere Drohung war oder  er es ernst meinte, konnte ich nicht einschätzen. Aber nachdem er  bereits mitten in der Nacht in meinem Zimmer war, um sich den Schlüssel  zurückzuholen, ging ich lieber auf Nummer sicher.
„Du kannst auch bei mir schlafen. Ich kann auch abschließen."
  Ich drehte mich zu Samra um. Er sah kurz an mir herunter, und schaute  mir dann wieder in die Augen. Es war dieser Blick von ihm, den ich nur zu gut kannte. Dieser Blick, der mich  überreden sollte, >ja< zu sagen. Zugegeben: Irgendwie hätte ich tatsächlich gerne bei  ihm geschlafen. Aber es war keine gute Idee. Und das wussten wir beide,  wenn wir ehrlich waren.
„Damit du sie ficken kannst?", ertönte  plötzlich Vladislavs Stimme am anderen Ende des Flurs. Samras  Gesichtszüge veränderten sich sofort, doch er drehte sich nicht um.
„Das machen wir nicht.", kommentierte ich, und sah zu dem im Türrahmen lehnenden Ukrainer.
„Musst dich nicht vor mir rechtfertigen. Juckt mich nicht, mit was oder wem du fickst."
„Was mischst du dich dann ein?", fragte ich leicht erzürnt.
„Nur so, weil's Spaß macht." Lachend drehte er sich um, und warf die Zimmertür hinter sich zu.
„Was nun?", fragte mich Samra, der immer noch darauf hoffte, dass ich zusagte.
„Ist lieb gemeint, ich weiß das. Aber besser nicht, okay?"
„Ich will dich nicht ficken, wallah. Wenn es das ist."
  „Nein, das ist es nicht. Es ist einfach nicht so gut im Moment.  Trotzdem danke." Mit diesen abschließenden Worten ließ ich ihn alleine,  und verkroch mich ins Gästezimmer. Als die Tür endlich abgeschlossen  war, atmete ich auf. Hier fühlte ich mich erst einmal sicher. Erschöpft  ließ ich mich auf das Bett fallen, und kullerte mich dann in meine Decke  ein. Obwohl ich müde war, hatte ich Schwierigkeiten einzuschlafen. Viel  zu sehr musste ich an Vladislav denken. An all das, was bisher  geschehen war. Würde er sich jemals wieder erinnern? Oder sollte das  jetzt für immer so bleiben? Hatten wir überhaupt eine Chance, dass alles  wieder so werden konnte wie früher?

Am  nächsten Morgen verließ ich das Gästezimmer wieder. Mein Gesicht war  mit tiefen Augenringen verziert, und meine Haut war blass. Noch blasser,  als sie sonst immer war. Dieser ganze Stress schlug mir nicht nur auf  die Nerven, sondern machte sich auch körperlich bemerkbar.
Ich war  so im Tran, dass ich nicht bemerkte, dass ich gar nicht allein im  Badezimmer war. Erst als die Duschtür aufging, vernahm ich eine weitere  Person.
„Auch schon wach?", fragte mich Vladislav fröhlich. Ich  reagierte nicht auf seine Frage, und begann, mir die Zähne zu putzen. Er  tapste barfuß zum Waschbecken, und griff nach seinem Deo.
„Mach mal  Haare und so. Sonst denken deine Eltern du bist Penner.", kommentierte  er, während er sich einer Chemie-Dusche unterzog.
„Meine Eltern?", fragte ich verwirrt. Was hatte er jetzt mit meinem Eltern?
„Naja, wenn sie zum Essen kommen, nachher."  Ich sah ihn mit großen Augen an. Wovon redete er jetzt schon wieder?
  „Ach, hab ich noch nicht erzählt? Hab sie zum Mittagessen eingeladen. Die waren  ja noch nie hier und so. Muss doch guten Eindruck als Schwiegersohn  machen."
„Spinnst du?!", fuhr ich ihn an. Er grinste noch viel breiter als eben, während er sein Deospray wegstellte.
  „Zieh dir was Schönes an, Prinzessa.", sagte er charmant, und lief  rückwärts an mir vorbei, um seinen Blick noch einen Moment länger an mir  haften zu lassen. Kaum war ich alleine, kam der nächste ins Bad.
„Moin.", grummelte Samra.
„Wusstest du, dass er meine Eltern eingeladen hat?", konfrontierte ich ihn direkt.
„Was?", fragte mich der Libanese verwundert. So müde wie er aussah wusste er bestimmt nicht mal, welcher Tag heute war.
  „Er hat meine Eltern eingeladen, zum Essen. Ich dreh noch durch." Ich  packte meine Zahnbürste weg, und fuhr mir durch die Haare. Das durfte  doch alles nicht wahr sein.
„Ja, aber mittlerweile geht's doch mit ihnen, oder?", fragte Samra beschwichtigend.
„Ja, schon. Sie wissen aber nichts von der ganzen Amnesie-Geschichte."
„Hmm."
  „Ich rufe sie an, und sag ab. Irgendwas wird mir schon einfallen." In  meinem Kopf legte ich mir schon die perfekte Ausrede zurecht, während  ich wieder ins Gästezimmer lief. Ich zog mein Handy aus der Hosentasche,  und suchte direkt den Namen meiner Mutter in meiner Kontaktliste, um  sie anzurufen.
„Das lässt du mal." Mir wurde das Handy von hinten aus der Hand gerissen.
„Was soll das?", fragte ich aufgebracht, und drehte mich um. Verdammt, ich hätte die Tür abschließen sollen.
„Deine Eltern kommen, fertig.", entgegnete Vladislav streng.
„Sie denken, wir sind zusammen."
„Das sollen sie auch weiterhin denken."
„Warum musstest du sie dann einladen?"
„Ich muss dir nicht erklären warum ich was mache. Spiel einfach mit, dann ist alles gut."
  „Ich soll vorspielen, dass wir zusammen sind und alles super läuft? Ist das dein Ernst?!" wetterte ich hysterisch, und schubste ihn von mir weg.
„Entweder machst du was ich sage, oder du siehst sie heute zum letzten Mal." Damit war er fertig, und drehte sich um.
  „Wenn du vorhast trotzdem abzusagen...lass lieber. Zu deiner eigenen Sicherheit."  Er drückte mir mein iPhone in die Hände, und verließ dann das Zimmer.
Fassungslos blieb ich vor dem Bett stehen, und sah auf den Flur hinaus.  Das konnte er nicht ernst meinen. Bitte, das musste ein dummer Scherz  sein.
Ich stellte mir die Frage: Sollte ich sie trotzdem anrufen  und sie irgendwie vorwarnen? Aber wie sollte ich ihnen sagen, dass sie  in Gefahr waren, ohne ihnen zu sagen, dass sie in Gefahr waren? Mit  Sicherheit würde er sie überall finden, egal was ich jetzt organisieren  würde, um sie woanders hinzubringen.
„Scheiße.", flüsterte ich zu  mir selbst, während ich mir die Stirn rieb. Die Situation war  aussichtslos. Ich musste meinen Eltern eine glückliche Beziehung  vorgaukeln, wenn ich sie beschützen wollte.
Kopfschüttelnd lief ich die Treppen herunter. Dort traf ich auf Samra, der immer noch das Kissen im Gesicht hatte.
„Wann kommen sie?", fragte er kauend, während er über seiner Schüssel Cornflakes hing.
„Keine Ahnung.", seufzte ich, und setzte mich ihm gegenüber.
„Iss mal." Er schob mir eine leere Schüssel und die Milchpackung zu.
„Mir ist der Hunger vergangen." Meine Ellenbogen stützte ich auf dem  Tisch ab, während ich mir nachdenklich die Haare nach hinten strich.
„Können wir nicht einfach wegfahren? Ganz weit weg? Er würde meinen  Eltern dann bestimmt absagen. So könnte ich ihm den Wind aus den Segeln  nehmen."
„Und wenn nicht, willst du den mit deinen Eltern alleine hier lassen? Würde ich nicht riskieren."
„Kannst du nichts machen?", fragte ich ihn aus meiner Verzweiflung heraus.
„Würde nichts bringen, glaub mir." Konsequent stand er auf, räumte  seine Sachen weg, und suchte sich dann seine Zigarettenschachtel aus der  Küchenschublade heraus. Ohne ein weiteres Wort zu dem Thema schloss er  die Terassentür auf, und zog sie dann hinter sich zu.
„Danke, dass  du es wenigstens versucht hast.", murmelte ich sarkastisch. Augenrollend  erhob ich mich wieder, und räumte den Rest vom Tisch ab. Nachdem ich  von Samra wohl keine Hilfe erwarten konnte, musste ich mir wohl selber  einen Kopf machen. Was, wenn ich einfach mit Vladislav rede? Versuchen  konnte man es doch.
Mit schwitzigen Händen lief ich die Treppe nach  oben. Scheinbar hielt er sich noch immer in unserem gemeinsamen Zimmer  auf, denn von dort vernahm ich leise Geräusche. Ohne dass er mich  bemerkte schlich ich mich an. Halb hinter dem Türrahmen versteckt  beobachtete ich, wie er irgendetwas in unserem Bett suchte. Zuerst sah  er unter der Bettdecke nach.

Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt