Part 54 ~ Verfolgungsangst

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Ich spürte ein angenehmes, warmes Kribbeln an meinem Hals. Meine Augen waren geschlossen, während ich dieses wohltuende Gefühl genoss. Ich wusste nicht, woher es kam, aber es war unglaublich schön. Es fühlte sich an wie etwas, was ich schon lange vermisst hatte. Und dann dieser herrliche Duft dazu. Es war ein Geruch, der eine enorme Ruhe in meinem gesamten Körper ausstrahlte. Der mir zu verstehen gab, dass ich mich zu Hause fühlen konnte. Als nächstes legte sich eine Hand an meinen Hals, die meinen Kopf sanft zur Seite drehe. Das Gefühl wurde intensiver, und die Wärme in mir stieg an. Aber woher kam das? Von wem kam das?
„Vladislav?", fragte ich leise, ohne mich dafür entschlossen zu haben zu sprechen. Das Wort kam einfach über meine Lippen.
„Ja, Baby.", vernahm ich seine tiefe, knurrende Stimme an meinem Hals. Deswegen fühlte ich mich so wohl. Weil er da war. Er vergrub sein Gesicht tiefer in meiner Halsbeuge, und verteilte überall warme, sanfte Küsse. Es war so schön, dass ich ihn einfach machen ließ. Ich bewegte mich kein Stück. Nein, ich lag einfach da, und genoss das, was er da mit mir machte. Bis zu dem Zeitpunkt, wo sein Griff an meinem Hals stärker wurde. Nun drückte er meinen Kopf nicht mehr sanft zu Seite. Stattdessen brachte er mehr Kraft auf, damit ich mich nicht bewegen konnte, während er plötzlich hektischer wurde. Zuerst bewahrte ich Ruhe, doch dann verunsicherte es mich. Während er nun regelrecht über meinen Hals herfiel, wurde es kalt an meinen Beinen. Er hatte die Decke weggezogen, und sie achtlos hinter sich geschmissen. Ohne dass ich irgendeine Art von Kontrolle hatte, schob er seine Hand unter mein Top, und legte sie auf meinen Bauch. Im nächsten Moment entfernte er seine Hand von dort, und legte sie an den Bund meiner Shorts.
„Was machst du da?", brachte ich hechelnd hervor. Wieder hatte ich gesprochen, ohne mich vorher dafür entschieden zu haben. Die Worte fielen einfach so aus meinem Mund heraus.
„Ich hol' mir meine Bezahlung, Baby.", flüsterte er in mein Ohr. Im nächsten Moment war seine Hand in meinen Shorts verschwunden. Das war der Moment, in dem mir bewusst wurde, was hier abging. Plötzlich fiel mir wieder ein, dass das hier alles andere als schön war. Und seine Anwesenheit sollte mit Sicherheit nicht dafür sorgen, dass ich mich wohl fühlte. Ganz im Gegenteil.
„Nein!", stieß ich hervor. Im Unwissen darüber wie viel Kraft ich hatte, schubste ich ihn von mir herunter. Er rollte sich nach rechts auf dem Bett weg, während ich direkt aufsprang. Ich schaltete das Licht ein, und sah ihn. Wie er auf dem Bett lag – oberkörperfrei, mit diesem selbstgefälligen Grinsen im Gesicht. Jede Zelle in mir schrie mich an, wegzulaufen. Genau das hatte ich auch vor. Allerdings hatte er vorgesorgt, und die Tür abgeschlossen. Wie geisteskrank rüttelte ich am Türgriff, und hämmerte dagegen. In der Hoffnung, dass Samra mich hörte, machte ich so viel Lärm wie ich konnte. Plötzlich wurde ich umgedreht, und er presste mir seine Hand auf den Mund.
„Halt die Fresse, blyat!", fauchte er mich an. Von Angst erfüllt brach ich in Tränen aus, und versuchte, mich gegen ihn zu wehren. Ich fuchtelte mit den Händen vor mir herum – versuchte, ihn zu treffen. Versuchte, ihn irgendwie außer Gefecht zu setzen, um mich zu befreien. Doch egal was ich tat, es bewirkte nichts. Dann fiel es mir ein. Das Klappmesser in seiner Hosentasche. Mir war absolut unerklärlich, woher ich das wusste – aber ich lag goldrichtig. Ohne mich daran erinnern zu können ihm das Messer geklaut zu haben, hielt ich es plötzlich in meiner Hand. Auch er bemerkte, dass ich eine Waffe hatte, und funkelte mich an. Plötzlich ballte er seine Faust, und holte aus. Noch bevor sie mein Gesicht treffen konnte, stach ich zu.
Wir beide hielten in dem Moment die Luft an. Als ich meine Augen wieder öffnete, stand er vor mir wie versteinert. Er senkte seine Faust, und sah nach unten auf das Messer, welches in seinem Bauch steckte.
„Das war ein Fehler, du Schlampe.", knurrte er zornig, und zog es einfach so heraus, als würde es ihm nichts ausmachen.



Nach Luft schnappend schreckte ich hoch. Panisch ertastete ich die Nachttischlampe neben dem Bett, und schaltete sie ein. Während es mir unmöglich war normal zu atmen, sah ich mich um. Mein Brustkorb schmerzte durch das hektische Atmen, und ich legte meine Hand auf mein Herz. Es schlug so schnell, dass ich Angst hatte es würde kollabieren. Ich schob die Decke weg, und stieg hastig aus dem Bett aus, so als würde dort irgendein Monster drin liegen. Natürlich war da keiner. Aber dieser Traum eben war so verdammt real. Alles was ich gefühlt hatte, kam mir vor als wäre es wirklich passiert. Ich legte eine Hand an meinen Hals. Dort, wo auch seine gelegen hatte. Kopfschüttelnd trat ich einige Schritte vom Bett weg. Warum verfolgte er mich jetzt schon in meinen Träumen? Wenn doch alles was ich bis jetzt mit ihm erlebt hatte so schön war? Die Wunde die er meinem Herzen mit seinem gestrigen Auftreten zugefügt hatte, war scheinbar tiefer, als ich gedacht hatte.
Mit Tränen in den Augen ging ich ins Badezimmer. Nicht einmal über den Flur konnte ich laufen, ohne direkt das Licht einzuschalten. Die Dunkelheit, und die damit verbundene Unwissenheit ob hier nicht doch jemand war, machte mir einfach Angst.
Im Badezimmer stellte ich mich vor den Spiegel, und stützte meine Hände am Waschbecken ab. Ich kniff die Augen zusammen, und konzentrierte mich dann darauf, wieder ruhiger zu atmen. Als mir dies einigermaßen gelang, öffnete ich meine Augen wieder. Vor mir sah ich mich selbst. Mit zerzausten Haaren, bleichem Gesicht, und Augenringen. Augenringe, die so tief waren, dass sie schon krankhaft aussahen. Ich runzelte die Stirn, nachdem ich etwas bemerkt hatte. Vorsichtig drehte ich meinen Kopf nach rechts. Was zum?!
In mir stieg eine Panikwelle auf. Ich hatte einfach rote Flecken an meinem Hals. Genau dort, wo Vladislav in meinem Traum...
Nein, nein, nein. Das konnte nicht sein. Safe bildete ich mir das ein. Das ist doch komplett absurd. Ich wäre doch wach geworden, wenn...
Das würde er nicht machen. Ich hätte bemerkt, wenn er raus gegangen wäre. Oder? Oder war ich so im Tiefschlaf, dass er sich rausschleichen konnte?
Nein, so einen tiefen Schlaf hatte ich nicht. Noch nie.
Okay, ganz ruhig. Ich atmete tief ein, und dann wieder aus. Doch der Gedanke, dass er sich wirklich zu mir ins Bett geschlichen haben konnte, setzte mir zu. Es machte mir eine scheiß Angst.
Ich kämmte meine Haare, rieb mir müde die Augen, und verließ dann das Badezimmer. Zurück ins Bett? Im Leben nicht. Wieder schüttelte ich mit dem Kopf, und ging dann nach unten. Gähnend entnahm ich mir in der Küche ein Glas aus dem Schrank, und befüllte es mit Wasser. Nachdem ich es ausgetrunken hatte, konnte ich zumindest wieder etwas klarer denken. Ich wollte nicht zurück in mein Bett. Was, wenn er wiederkommen würde? Auf der Couch war auch nicht besser. Dann schoss mir der nächste Gedanke durch den Kopf. Aber das war genauso behindert. Allerdings war es besser, als Gefahr zu laufen, dass er wiederkam. Wenn er da war. Vielleicht spann ich mir da auch nur irgendetwas zusammen. Ich stellte das Glas weg, und ging mit eingeschalteter Handytaschenlampe wieder nach oben. Man, ich kam mir so bescheuert vor. Aber ich wollte nicht alleine sein, und das war der einzige Weg. Also klopfte ich ein paar Mal an die Holztür, und wartete auf eine Antwort. Natürlich bekam ich keine.
„Samra?", fragte ich vorsichtig. Erneut kam nichts zurück. Ich hatte vergessen, dass Samra im Gegensatz zu mir einen extrem festen Schlaf hatte.
„Hörst du mich?", fragte ich den auf dem Bauch liegenden Libanese, und zog an seiner Decke. Im Lichtstrahl der Handytaschenlampe hob er seinen Kopf, und kniff die Augen zusammen.
„Lan, was willst du?", motzte er genervt. Seine Stimme klang, als hätte er eine Erkältung des Todes. Durch sein übertriebenes Kettenrauchen war das aber auch kein Wunder.
„Kann ich bitte hier schlafen?", fragte ich ihn schüchtern.
„Warum?", brummte er, und legte seinen Kopf wieder ins Kissen.
„Ich hab scheiße geträumt. Jetzt hab ich irgendwie Angst."
Wieder ging sein Kopf nach oben, und er blinzelte mich an.
„Angst? Was hast du geträumt?", fragte er, und drehte sich laut grummelnd um. Dann rutschte er hoch, sodass er mit dem Rücken am Ende seines Bettes lehnte.
„Ich will nicht drüber reden." Es klickte, und schon hatte er eine angezündete Zigarette im Mund.
„Tamam, komm her. Aber mach das scheiß Licht aus, ich werd' Blind sonst."
„Sorry.", murmelte ich, als mir selbst klar wurde, dass ich ihm mit der Taschenlampe die ganze Zeit direkt in die Augen geleuchtet hatte.
Ich kroch auf sein Bett, und er hielt mir seine Decke hoch.
„Hast du was an?", fragte ich, nur um sicher zu gehen.
„Ich kann ausziehen. Soll ich?", antwortete er mit einer frechen Gegenfrage. Mit offenem Mund saß ich da, und wusste keine Antwort. Mein Gehirn war irgendwie gerade auf Energiesparmodus, sodass ich keine Ahnung hatte was ich darauf sagen sollte.
„Theoretisch dürfen wir. Du und Capi seid ja nicht mehr zusammen.", grinste er. Ungewollt bildeten sich Tränen in meinen Augen, als er diesen Satz wieder erwähnte.
„Das war Spaß, Habibi. Komm her.", sagte er nachdem er begriffen hatte, dass das in meinen Augen alles andere als Lustig war. Stumm rutschte ich zu ihm, und wollte mich eigentlich auch am Ende des Bettes anlehnen. Doch er kam mir zuvor, indem er seinen Arm um mich legte, und mich dann behutsam an ihn zog.
„Hast du Hunger?", fragte er nach einigen Sekunden Stille.
„Bisschen."
„Ich hab voll Bock auf Toast mit Nutella. Komm, mach uns. Dann kannst du hier pennen."
Solange er nur ein Toastbrot als Gegenleistung verlangte, konnte ich da noch mitgehen. Obwohl ich eigentlich nicht unbedingt noch einmal aufstehen wollte.

[...]

„Beste, wallah.", freute sich der schwarzhaarige, oberkörperfreie Riese, dem ich den Teller in die Hand drückte.
„Hier.", sagte er, und teilte sein Essen mit mir.
„Willst du mir jetzt sagen, was du geträumt hast?", hakte er erneut nach. Ich überlegte kurz, und schüttelte dann mit dem Kopf.
„Ich will nur nicht alleine sein diese Nacht. Ich fühl mich irgendwie nicht sicher in meinem Zimmer."
„Aber außer dir, mir und Capi kann hier niemand...oh." , unterbrach er sich selbst. Scheinbar hatte er verstanden, was ich nicht aussprechen wollte.

Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt