Part 83 ~ Abstand

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„Bitte Baby, lass mich schlafen.", grummelte Vladislav, nachdem ich bereits zum zweiten Mal versucht hatte, ihn zum Aufstehen zu bewegen. Mit verschränkten Armen stand ich neben unserem Bett, und verlor nach und nach die Geduld.
„Es ist schon halb eins, wie lange willst du denn noch schlafen?"
„Keine Ahnung man, ich bin einfach noch müde.", nörgelte er, und vergrub sein Gesicht im Kopfkissen.
„Entweder stehst du jetzt langsam auf, oder ich geh alleine los."
„Nein, nix gibt's. Du gehst nirgendwo alleine hin."
„Dann krieg deinen Hintern hoch. Ich brauche diese blöden Pflaster, sonst entzündet sich der Scheiß noch."
„Tamam, Vorschlag. Du machst mir Frühstück, und dann steh ich auf."
Er zog sein Kissen weg, und sah mich mit müden Augen an.
„Von mir aus. Aber ich bin nicht deine Bedienstete, damit das klar ist. Normalerweise kannst du dir dein Frühstück auch selber machen."
„Oh, seit wann so frech, hm?" rief er beleidigt, und sah mich dabei direkt an. Ich hingegen rollte nur mit den Augen, und ließ ihn dann alleine. Wie sauer ich auf ihn war, hatte er scheinbar noch immer nicht kapiert.

[...]

„Perfekt. Wallah du solltest das beruflich machen.", grinste Vladislav, welcher es nun wenigstens geschafft hatte, sich im Bett aufzurichten.
„Halt einfach die Klappe und iss.", seufzte ich, während ich mich neben ihn setzte.
„Ey, rede mal nicht so. Du kannst böse auf mich sein und alles, aber werd nicht frech."
„Weil du der Mann von uns beiden bist?", provozierte ich ihn.
„Ja, richtig. Und weil du mich brauchst."
Er wies mit seinem Brötchen in Richtung meines Bauches, um zu verdeutlichen was er mir sagen wollte.
„Und..."
Er schob sich das letzte Stückchen in den Mund, und stellte den Teller dann beiseite.
„...weil ich immer noch Capi bin. Und mit Capi legt man sich nicht an, verstanden?" Seine Mundwinkel zuckten amüsiert nach oben, während er mich kauend betrachtete. In seinen braunen Augen tanzten kleine Feuerfunken, welche seine Angriffslustige Stimmung verdeutlichten.
„Drohst du mir?", fragte ich daraufhin mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Würde ich niemals.", schmunzelte er, und setzte sich dann an den Bettrand.
„Der Joker schon.", platzte es aus mir heraus. Sorry, aber das konnte ich mir einfach nicht verkneifen. Dieses Thema hatte mich die ganze Nacht lang vom Schlafen abgehalten. Während Vladislav durch den Alkohol wie ein Baby geschlummert hatte, saß ich neben ihm und zerbrach mir den Kopf über seine Worte im Auto.
Ich sah, wie Vladislav seine Hände in die Matratze krallte. Sein mir zugewandter Rücken spannte sich an, und sein Kopf ging nach oben.
„Wieso fängst du jetzt damit an?" Es war ihm sofort anzumerken, wie wütend ihn dieser Name machte.
„Weil ich dir immer noch nicht traue. Scheinbar sind meine Zweifel ja nicht ganz unberechtigt."
Der halbnackte Ukrainer stand auf, ließ seine Fingerknochen allesamt auf einmal knacken, und lief dann mit geballten Fäusten zur Tür.
„Was hast du vor?", fragte ich alarmiert.
„Klartext mit Kalazh reden. Dieser dreckige kleine..."
„Stopp!", rief ich, als er bereits den Türgriff nach unten gedrückt hatte.
„Du wartest hier, ich klär das. Wenn ich zurück bin, fahren wir los wegen deinem Bauch."
„Warte doch mal!", versuchte ich ihn zu bremsen, doch er hatte die Tür bereits aufgerissen und war drauf und dran, nach unten zu stampfen.
„Kalazh hat mir das nicht erzählt! Das warst du, du Idiot!", brüllte ich ihn an. Er stoppte mitten auf dem Gang, und kam dann langsam zurück gelaufen.
„Was?", fragte er, und zog dabei mit ernster Miene eine Augenbraue nach oben. Daraufhin kam er wieder näher, was mich dazu veranlasste zurückzuweichen. Ohne mich dabei aus den Augen zu verlieren, schloss er die Tür hinter sich.
Du hast mir das erzählt." Je näher er aufrückte, desto unkontrollierter wurde meine Atmung. Seine gesamte Konzentration war in diesem Augenblick auf mich gerichtet.
„Warum sagst du mir das nicht?", fragte er mit vorwurfsvollem Unterton.
„Vielleicht, weil du mir nie zuhörst?!", quietschte ich entrüstet. Als ob es jetzt meine Schuld war, dass er das alles falsch interpretiert hatte.
„Du lässt mich ja kaum zu Wort kommen! Stattdessen hüpfst du hoch und willst direkt irgendjemanden umbringen, der nichts getan hat! Wie wäre es, wenn du in Zukunft einfach mal nachfragst, anstatt im Monolog irgendwelche voreiligen Schlüsse zu ziehen?!"
Mit gesenktem Kopf und finsterer Miene musterte er mich. Seine Augen glühten förmlich vor Zorn, und wieder ballte er die Fäuste. Sein Frust musste ins unermessliche gestiegen sein, als er festgestellt hatte, dass er sich tatsächlich selbst verraten hatte.
„Du hast im Auto einfach damit angefangen, und direkt Kalazh beschuldigt. Dabei wissen wir beide, dass Kalazh im Gegensatz zu dir nie jemanden im Stich lassen würde."
„Hör auf zu reden.", spuckte er mir zu, doch ich ließ mich davon nicht abhalten. Obwohl mein Herz bereits viel zu schnell schlug und meine Hände schwitzig waren, machte ich weiter.
„Kalazh würde seine Freundin mit Sicherheit nicht im Stich lassen, wenn sie ihn braucht."
Vladislav kam langsam auf mich zugelaufen, und drängte mich somit weiter nach hinten. Irgendwann kam ich nicht mehr weiter, und spürte die kühle Wand an meinem Rücken.
„Nur um irgendein bescheuertes Spiel zu spielen, live zu sein und sich dabei die Kante zu geben.", fügte ich hechelnd hinzu.
„Du traust dich, so mit mir zu reden?" Nun kochte er regelrecht vor Wut.
„Ich kann reden wie ich will.", trotzte ich ihm entgegen. Mein Herz pochte mittlerweile so laut, dass es ohrenbetäubend war. Die Art, wie er vor mir stand...der Ausdruck in seinem Gesicht. Seine Augenbraue, die er beim sprechen immer wieder nach oben zog. All das löste dieses Kribbeln in meinem Bauch aus. Es war wieder diese Art Rausch, nur irgendwie viel intensiver.
„Aber nicht mit mir, Prinzessa." Der Rapper war mir nun so nah, dass ich kaum noch Platz zum atmen hatte. Jeder Muskel in seinem Körper war angespannt, und brannte scheinbar nur darauf, mir zu demonstrieren wie viel Kraft er hatte.
„Wir wissen beide, dass ich Recht habe.", brachte ich heiser hervor.
„Ist das so, ja?" Sein Gesicht näherte sich meinem in Zeitlupe. Vladislav legte seine warme Hand an meine Wange, und rückte dann so weit auf, dass ich sein Shirt an meinem halbnackten Bauch spürte. Mein Herz klopfte schnell und unregelmäßig, wodurch mein Kreislauf drohte zusammenzubrechen.
„Du weißt, ich liebe dich, Baby.", flüsterte er gegen meine Lippen.
„Dann verhalte dich auch so.", presste ich schwer atmend hervor. Seine Hand, welche eben noch an meiner Wange ruhte, fuhr nun ganz langsam an meinen Hals. Er umfasste ihn mit leichtem Druck, und hob meinen Kopf dabei an.
Im nächsten Moment spürte ich seine weichen, warmen Lippen auf meinen. In mir kam ein Gefühl auf, welches ich schon lange nicht mehr gespürt hatte. Es ließ mich für einen Moment all meine Sorgen und Ängste vergessen. Als auch Vladislav bemerkte wie locker ich wurde, drückte er sich stärker gegen mich. Ich war völlig überfordert mit meinen Händen, und legte sie daher einfach an seine Hüften. Verdammt, wie ich das vermisst hatte. Auch er legte seine Hände an meine Seiten, und fuhr mit seinen Küssen weiter hinab, bis er an meinem Hals angekommen war. Im ersten Moment genoss ich seine Nähe und das, was er da tat. Doch als er dann anfing, schneller zu werden, machte mich das nervös. Plötzlich verunsicherte mich die Situation. Ich begann mich zu fragen, ob das alles Taktik war. Ob es der Joker war, der wieder die selbe Masche abzog wie damals hinter der Shishabar. Und während ich mich daran zurückerinnerte, schossen mir diese Bilder wieder in den Kopf. Vladislav, wie er vor mir stand. Mit der Waffe in der Hand, welche ich zum verhandeln benutzen wollte. Wie er sie sich an die Stirn gehalten hatte. Und zu guter Letzt noch sein Lächeln, als Vanessa auf seinem Schoß posierte.
„Stopp." ,stöhnte ich, während ich versuchte ihn an den Schultern von mir wegzudrücken. Doch der Ukrainer war so im Modus, dass er sich nicht von mir beirren ließ.
„Vladislav, hör auf!", versuchte ich es erneut. Vergeblich. Panik stieg in mir auf, und ich bekam keine Luft. Es fühlte sich an, als würde ein schwerer Stein auf meinem Brustkorb liegen, welcher mir das atmen erheblich erschwerte.
„Hör auf!", schrie ich nun, und schubste ihn mit einem kräftigen Stoß von mir weg.
Eintausend kleine Fragezeichen zierten sein Gesicht, als er nun mitten im Raum stand, sich mit dem Daumen über die Lippen strich, und mich ansah.
„Ich kann...kann das nicht.", röchelte ich. Meine Lunge brannte, während mein ganzer Körper am Zittern war.
„Was ist los? Was hast du?", fragte er verwundert, und kam einen Schritt auf mich zu.
„Nicht!", quietschte ich, woraufhin er mit erhobenen Händen zurückwich.
„Hab ich was falsch gemacht? Sag mir, was hab ich gemacht?" Er verstand scheinbar die Welt nicht mehr. Ich ehrlich gesagt auch nicht. Eine Sache wurde mir aber in diesem Moment klar.
„Ich kann das so nicht. Das mit uns beiden. Aktuell kann ich es einfach nicht."
In Vladislavs braunen, glasigen Augen bildeten sich kleine, funkelnde Tränen. Mir zerbrach es das Herz, ihn so zu sehen. Dennoch war ich mir sicher, dass es das beste war, wenn wir Abstand voneinander hielten. Zumindest eine Zeit lang.
„Bitte, gib mir noch eine Chance. Ich schwöre, ich mach alles was du willst. Du kannst mich hassen und so, aber bitte gib uns nicht auf. Wallah, ich überleb das nicht.", schniefte er.
„Es tut mir leid, ehrlich. Aber ich brauche Zeit."
„Baby, bitte man. Mach nicht diese mit mir. Ich liebe dich, verstehst du das nicht?", redete er auf mich ein. Den Abstand zwischen uns hatte er schnellstens wieder eingeholt. Vladislav griff nach meiner Hand, und drückte sie gegen seine Brust.
„Merkst du, wie schnell das pocht? Läge mir nichts an dir, würde es nicht so machen. Ich schwöre dir, ich bin wieder der alte. Nicht der böse Capi, ich bin der gute. Wallah, ich bin der gute." Seine Stimme versagte zum Schluss, und wurde dann durch seine Tränen erstickt. Noch nie hatte ich ihn so verzweifelt erlebt, wie in diesem Augenblick.
„Wenn du mich wirklich liebst, dann gib mir die Zeit, die ich brauche."
Ich befreite meine Hand aus seinem Griff, und wandte dann den Blick ab.
„Bitte, bring mich zu meinen Eltern."
„Aber da kann ich dich nicht beschützen."
„Was ist dir wichtiger? Mich zu beschützen, oder unsere Beziehung?"
Der Ukrainer sah mich mit schmerzerfüllten Blicken an.
„Deine Sicherheit wird für mich immer an erster Stelle stehen.", sagte er dann. Dieser Satz löste eine Gänsehaut auf meinem gesamten Körper aus.
„Dann sorg dich nicht nur um meine körperliche Sicherheit, sondern auch um meine seelische."
Nun war ich diejenige, die seine Hand nahm.
„Wenn du mich zwingst hier zu bleiben, gehe ich kaputt. Ich brauche eine Weile Abstand, um auf das alles klarzukommen."
„Ich kann dir doch aber helfen, damit klarzukommen."
„Vladislav, du hast versucht mich umbringen zu lassen. Nicht nur das. Erinnerst du dich, als ich bei dir war, in deinem Büro? Was du mit mir machen wolltest? Was du mit mir gemacht hast?"
Sein Blick ging auf meinen Hals, an dem sich die verheilte Schnittwunde befand. Ebendiese Wunde, welche er damals mit seinem Messer wieder aufgerissen hatte. Ich erinnerte mich an mein blutverschmiertes Oberteil. Wie ich weinend neben der Tür zu Halle saß, nachdem er mit mir fertig war.
„Erinnerst du dich daran, als wir uns im Hinterhof der Shishabar getroffen haben? Und an das, was du danach getan hast? Das sind alles Dinge, die sich in meinen Kopf gebrannt haben. Und jedes Mal, wenn ich dir in die Augen sehe, kommen sie wieder hoch. Jedes Mal,wenn du mich berührst, fängt meine Haut an zu brennen. Allein wenn ich manchmal an dich denke, zieht sich in mir alles zusammen."
„Ich weiß, Baby. Ich hab das alles mitbekommen. Und ich schwöre dir, es hat mich innerlich gefickt. Weil ich nichts machen konnte, außer zuzusehen. Ich hatte keine Kontrolle über meinen Körper, aber ich war die ganze Zeit da. Ich hab dich einmal sogar gewarnt, weißt du nicht mehr?"


Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt