Part 50 ~ Auszeit

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Ich komme mir so unglaublich feige vor. Ich wollte mich Vladislav entgegen stellen, um ihn wieder zurück zu holen. Aber ich konnte es nicht. Keine Ahnung, warum ich es nicht gemacht habe. Ich glaube, ich will es einfach nicht wahrhaben, dass er jetzt so ist. Ich will nicht wahrhaben, dass seine Art mir Angst macht. So sollte das einfach nicht sein. Aber von nichts kommt nichts...ich kann hier herumsitzen und heulen, oder ich tu endlich was. Ich habe nur leider keine Ahnung, wo ich anfangen soll. Wenn ich an unsere letzte Begegnung zurückdenke, tut mein Herz immer noch weh. Mein Kopf fühlt sich einfach leer, und gleichzeitig voll an. Ich kämpfe so sehr mit meinen Gefühlen, dass ich keinen klaren Gedanken fassen kann, um einen Plan zu machen. Einen Plan, wie ich mich ihm entgegenstellen soll.

„Was machst du da? Schreibst du Tagebuch?", fragte Granit, der sich neben mich auf's Hotelbett fallen ließ. Er schlug lässig die Beine übereinander, und schnappte mir dann einfach das Buch aus der Hand.
„Ey, das macht man nicht!", schimpfte ich empört. Aber ehe ich es ihm wegnehmen konnte, hatte er den Text schon überflogen.
„Du bist kein Feigling, Josy.", sagte er, und gab mir das Buch zurück.
„Doch, bin ich. Ich verkrieche mich hier, während ich eigentlich daran arbeiten sollte ihm zu helfen."
„Ja, schon. Aber du musst erstmal Kopf frei kriegen, verstehst du. Ist doch normal, dass alles grade zu viel ist."
„Ich bin jetzt seit zwei Tagen hier. Und alles was ich gemacht habe, war rumzuheulen."
„Dann hör auf dich selbst zu bemitleiden, und krieg den Arsch hoch."
Mit leichter Verwunderung sah ich ihn an. Auch wenn es hart klang – er hatte Recht.
„Samra hat übrigens angerufen. Wollte wissen, wann du da bist."
„Und was hast du gesagt?"
„Dass wir so in 20 Minuten losfahren." Ich nickte, und packte mein Tagebuch in meinen Rucksack.
„Hat er sich bei dir gemeldet? Ihr zwei seid doch auch manchmal zusammen unterwegs.",fragte ich den Albaner.
„In letzter Zeit nicht. Aber ich hab' von anderen gehört, dass er viel mit diesem Typ da unterwegs ist. Hab' nur keine Ahnung wo. Die nehmen gerade alles auseinander."
„Ja, er ist mit Milo unterwegs. Wie meinst du das, die nehmen alles auseinander?"
„Wir haben immer mal so kleine Dinger gemacht, um unauffällig zu bleiben. Also nebenbei, verstehst du? Aber so wie ich gehört hab, konzentriert er sich gerade hauptsächlich darauf, alles und jeden zu ficken der sich ihm in den Weg stellt. Ich glaube, der will komplett allein den Markt übernehmen."
„Oh..."
„Das Problem dabei ist, dass er sich auf dünnem Eis bewegt. Wenn er so weiter macht, dauert es nicht lange bis die Bullen ihn hochnehmen. Wenn du ihm den Kopf waschen willst, beeil dich. Sonst packen sie ihn in die Zelle. "
Erst jetzt wurde mir klar, wie ernst die Lage eigentlich war. Ich musste unbedingt zurück, und mich um ihn kümmern. Vielleicht war ich wirklich die Einzige, die ihn zur Vernunft bringen konnte. Umso schlimmer war es, dass ich hier herum hockte und nichts tat.
„Guck mal.", sagte Granit, der hinter mir stand, als ich die Sachen in meinen Rucksack stopfte. Ich drehte mich zu ihm um, und schaute zu ihm hoch.
„Das wichtigste ist, dass du stark bleibst. Lass dir nicht anmerken, dass du Angst hast. Machs' wie bei Samra."
„Das ist was völlig anderes."
„Nein, ist es nicht. Genau das gleiche."
„Vladislav scheißt auf mich. Ihn interessiert es nicht, ob er mir wehtut. Ihn würde es nicht mal interessieren, wenn ich Tod wäre. Das ist ja das, was mir Angst macht."
„Zeig ihm, dass du keine Angst hast. Guck, wie viel du schon durchgemacht hast."
„Das ist leichter gesagt...bei Samra weiß ich, dass er mich niemals tödlich verletzen würde. Aber bei Vladislav...ich weiß nicht, es ist völlig anders. Also nicht nur, dass er sich nicht an mich erinnert. Er ist ein komplett anderer Mensch. Sonst weiß ich fast immer was er denkt, wenn ich ihn ansehe. Aber wennich ihm jetzt in die Augen gucke, sehe nur Leere. Verstehst du, wie ich das meine?"
„Ich weiß schon. Trotzdem musst du ihm die Stirn bieten, wenn du zu ihm durchkommen willst."
„Du sagst das so leicht, Granit." Ich drehte mich wieder zu meinen Sachen um. Granit legte plötzlich beide Hände auf meine Schultern, und drehte mich wieder zu sich um. Er verstärkte den Druck ein wenig, und sah mich direkt an.
„Hast du Angst vor mir?", fragte er völlig ernst.
„Nein."
„Dann guck mir in die Augen, und sag mir das." Ich wollte direkt antworten...aber ich konnte nicht. Ich hatte wirklich keine Angst vor ihm. Aber ich fühlte mich plötzlich verunsichert.
„Sag es, Josy.", forderte er mit ruhiger Stimme, und rüttelte dabei einmal sanft an mir.
„Ich hab' nicht..."
„Was?", unterbrach er mich streng. Ich schluckte, und sammelte meine Gedanken.
„Ich hab' keine Angst vor dir.", sagte ich leise.
„Was?", fragte er mich erneut. Langsam kam ich mir bescheuert vor.
„Ich hab' keine Angst."
„Ich hab' dich nicht verstanden.", sagte er in einer aggressiveren Tonlage als eben.
„Man, ich hab keine scheiß Angst vor dir okay?!", brüllte ich, während ich ihn von mir weg schubste.
„Geht doch. Genauso machst du das bei Capi.", sagte er zufrieden, klopfte mir einmal lobend auf den Rücken, und wandte sich dann ab.
„Aber...", stammelte ich, doch er ging nicht weiter darauf ein.
„Mach dich fertig, Samra wartet.", warf er mir zu, und schnappte sich dann seine Jacke. Hastig packte ich die letzten Sachen zusammen, und verließ dann gemeinsam mit ihm das Hotelzimmer. 

Nachdem Granit mich bei Samra abgegeben hatte, fuhren wir wieder in Richtung Heimat. Es herrschte eine unangenehme Stille. Samra war dagegen, als ich ihm sagte, dass ich raus müsse. Er wollte nicht, dass ich irgendwelche Dummheiten machte. Aber Granit war einer unserer engsten Freunde. Diese Tatsache, und weil ich ihm gedroht hatte abzuhauen wenn er mich nicht lassen würde, haben ihn letztlich umgestimmt.
„Hast du dir was überlegt?", fragte er mit seiner typisch-rauchigen Stimme, die immer wieder so klang als wäre er gerade eben erst aus dem Bett gefallen.
„Ja." Ich sah aus dem Fenster. Das was Granit gesagt hatte, schwirrte mir immernoch durch den Kopf. Ich wollte nicht, dass sie Vladislav ins Gefängnis stecken.Wäre er er selbst, würde er ebenso alles daran setzen, um das zu verhindern. Aber so wie er sich jetzt verhielt, arbeitete er darauf hin, dass es nicht mehr lange dauern würde. Ich musste ihn aufhalten, bevor er sich selbst noch mehr schaden konnte.
„Ich muss mit ihm reden."
„Und was willst du sagen?", fragte er, mit starrem Blick auf die Straße.
„Die Wahrheit. Vielleicht erinnert er sich, und wenn es nur Bruchstücke sind."
„Gibt da aber ein Problem.", wandte der Libanese ein.
„Seitdem er neulich mit Milo weg ist, war er nicht wieder zu Hause."
„Dann muss ich ihn irgendwie finden."
„Meine Leute sind schon dran."
„Danke."
Samra hielt den Wagen auf einem Burgerking Parkplatz an, und schaltete de Motor ab.
„Ich sag' dir ehrlich, Josy." Lässig zündete er sich eine Kippe an, und rutschte auf seinem Sitz ein Stück nach unten, um gemütlicher da zu sitzen.
„Ich will nicht, dass du mit ihm alleine bist." Ich drehte mich ein Stück zu ihm, und sah dabei zu, wie er elegant den Rauch aus dem leicht geöffneten Fenster pustete.
„Ich muss aber mit ihm reden, Samra. Uns läuft die Zeit davon. Wenn ich noch länger warte, kann ich nur noch mit ihm reden, wenn im Knast Besuchszeit ist."
Mit leicht zusammengekniffenen Augen sah er zu mir herüber. Dann zog er an seiner Zigarette, und sah wieder nach vorne.
„Erinnerst du dich an Khai?", fragte er, nachdem einige Sekunden Stille herrschte.
„Wo ich schon weg war, hat Capi doch gemacht dass sich die Freunde von dem in die Hose scheißen, als sie euch angreifen wollten." Ich ahnte nichts gutes. Aufmerksam beobachtete ich, wie er seine Kippe nach draußen ab aschte.
„Die wollten sich dann nochmal rächen. Jetzt liegen die alle im Krankenhaus." Mir lief es eiskalt den Rücken herunter.
„Angeblich sind die angefahren wurden oder sowas. So sagen sie zumindest." Nun richtete er sich wieder auf, und schnipste seine Zigarette aus dem Fenster. Dann drehte er sich in meine Richtung, und sah mir direkt in die Augen.
„Ich weiß, dass das kein Unfall war. Das waren Capi und Milo, wallah. Die haben nur genug Leute die dafür sorgen, dass das nicht rauskommt." Er schniefte laut, und startete den Wagen dann wieder.
„Das waren keine Verletzungen, wie wenn sich jemand schlägt. Das waren kranke Verletzungen. Sowas kommt nicht allein durch angefahren werden." Mein Blick ging nach unten. Das was er sagte, sorgte dafür dass mir schlecht wurde.
„Willst du jetzt immernoch mit ihm reden?", fragte er. Mein Körper zitterte leicht. Ich konnte nicht glauben, dass Vladislav zu so etwas in der Lage war. Das konnte nicht sein. Oder vielleicht doch?
„Ich muss mit ihm reden. Und ich mach das auch." Er wollte etwas darauf erwidern, doch wurde davon abgehalten. Sein Handy klingelte, und er hob mit gerunzelter Stirn ab.
„Sag an.", brummte er nur. Während er zu hörte, sah er zu mir. Gestikulativ sagte er mir, dass ich ihm mein Handy geben sollte. Nachdem ich es entsperrt hatte, öffnete er die Notizen und tippte etwas ein.
„Nein, passt. Ich meld' mich. Danke, Habibi." Dann legte er auf, und hielt mir mein Handy hin.
„Er hat Versteck aufgebaut. Wenn du bereit bist, fahren wir los.", sagte er. Ich schluckte schwer, und nahm das Handy entgegen. Immernoch leicht zitternd nahm ich das Handy wieder zurück, und sah auf das Display. Die Adresse die dort stand, kam mir irgendwie bekannt vor. Aber ich konnte sie nicht zuordnen. Zumindest zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt