Part 56 ~ Leere Versprechungen

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„Geh doch ran.", seufzte ich verzweifelt. Es war nun schon das siebte Mal, dass ich versuchte Samra zu erreichen. Es machte mich wahnsinnig, dass wir auseinander gegangen waren, ohne die Diskussion beendet zu haben. Kurz gesagt: Ich hatte einfach ein schlechtes Gewissen. Samra war verletzt, und das war meine Schuld. Was, wenn er heute gar nicht mehr wiederkommen würde?
Schnaufend legte ich mein iPhone mit dem Display nach unten auf den Küchentisch.
Überraschend öffnete sich die Tür, woraufhin ich direkt aufsprang.
„Samra.", stieß ich erleichtert hervor, als ich ihn um die Ecke kommen sah. Er schaute mich kurz an, und hing dann seinen Autoschlüssel an den Haken.
„Wegen vorhin.", setzte er an, und kam zu mir gelaufen.
„Nein, warte. Lass mich erst was sagen.", unterbrach ich ihn aufgeregt. Ich wollte unbedingt loswerden, was mir die ganze Zeit auf dem Herzen lag.
„Ich war behindert vorhin. Keine Ahnung warum."
„Samra, ich..."
„Du brauchst dich nicht rechtfertigen. Lass einfach drauf scheißen.", unterbrach er mich.
„Samra.", widerholte ich mich und stellte mich ihm in den Weg, als er an mir vorbei wollte.
„Guck mal.", sagte ich sanft, und nahm seine Hand. So wie bei unserem letzten Gespräch auch öffnete ich sie, und drückte vorsichtig mit meinem Daumen in seine Handinnenfläche. Ja ich weiß, das war irgendwie cringe. Aber es ab mir Kraft, ihm zu sagen was ich sagen wollte.
„Ich wollte dich nicht verletzen. Also ich wollte nicht, dass du so von mir denkst. Deswegen bin ich so schnell abgehauen, als wir im Bett waren..." Okay, das letzte klang komisch, stellte ich stirnrunzelnd fest.
„Ich wollte dir keine falschen Signale senden. Deshalb bin ich dann rausgegangen. Auch wenn Vladislav und ich gerade nicht zusammen sind..." Ich musste kurz schlucken, nachdem ich den letzten Satz begonnen hatte. Das so auszusprechen, tat weh.
„...heißt das nicht, dass sich etwas geändert hat. Ich liebe ihn immer noch, und..."
„Er dich aber nicht.", fiel er mir ins Wort.
„Ja, aber doch nur momentan. Nur so lange, bis er sich wieder erinnert. Bis er wieder er selbst ist. Bis dahin warte ich. Aber darum geht es auch gerade gar nicht. Es geht darum, dass ich dir das Gefühl gegeben hab', dass ich dich nur benutze. So ist das nicht, wirklich. Du bedeutest mir extrem viel, Samra. Aber nicht auf die Art. Nicht so, wie du es von mir erwartest."
„Was machst du da die ganze Zeit mit meiner Hand?", fragte er, so als hätte er mir gar nicht zu gehört. Mir stieg leichte Röte ins Gesicht, Aber ich wollte seine Hand nicht loslassen.
„Keine Ahnung, irgendwie beruhigt mich das.", gestand ich. Ruckartig schnappte seine Hand zu, sodass er nun meine fest hielt. Zuckend wollte ich mich im ersten Moment losreißen, doch dann vertraute ich ihm irgendwie. Jetzt tat er das gleiche mit meiner Hand, was ich die ganze Zeit mit seiner gemacht hatte. Und ich musste feststellen, dass sich das irgendwie gut anfühlte.
„Ich erwarte gar nichts von dir." Anders als ich annahm, hatte er mir doch zugehört. Er sah mir tief in die Augen, und verstärkte den Druck auf meine Handfläche, ohne mir dabei weh zu tun.
„Scheiß einfach auf die Kette, bitte." Er ließ meine Hand wieder los, und lief an mir vorbei.
„Samra, warte mal.", hielt ich ihn auf. Er blieb mit dem Rücken zu mir stehen, und drehte seinen Kopf leicht nach rechts, um mir mit einem Ohr zuzuhören.
„Ich hab' die Kette weder abgenommen, noch verloren." Er zog eine Augenbraue nach oben, während er sich vollständig zu mir drehte.
„Ich hab letzte Nacht von Vladislav geträumt. Dass er in meinem Zimmer war, und..." Ich musste kurz schlucken. Das alles war mir unangenehm. Ich wollte nicht unbedingt vor Samra erzählen, was da letzte Nacht genau los gewesen ist.
„Er war halt einfach in meinem Zimmer. In meinem Bett. Ich dachte erst, dass es nur ein Traum war. Aber als ich im Bad war, hab ich einen roten Fleck an meinem Hals gesehen. Deswegen wollte ich bei dir schlafen. Ich hatte Angst."
„Was hat er gemacht in deinem Traum?", fragte er neugierig.
„Ähm...naja, so Sachen eben. Ich fand das erst schön, aber dann hab' ich gemerkt, dass es nicht richtig ist. Ich hab' ihn von mir weg geschubst, und er kam hinterher. Dann hab ich auf einmal sein Messer in der Hand gehabt, und zugestochen. Aber den hat das Null interessiert, er hat es einfach wieder herausgezogen. Dann hat er gesa... warum grinst du so blöd?", fragte ich verwirrt, nachdem ich mit selbst unterbrochen hatte.
Du hast ihn abgestochen?",fragte er amüsiert.
„Es war ein Traum, keine Ahnung. Das ist nicht lustig, Samra.", mahnte ich ernst.
„Sorry, ja. Red' weiter." Er gab sich Mühe, nicht zu grinsen, und ging dann zurück in die Küche, wo er sich mit verschränkten Armen an die Arbeitsplatte lehnte.
„Naja, das war's schon. Aber was ich damit sagen will weißt du, oder?", fragte ich ihn mit großen Augen.
„Dass ich aufpassen muss, dass du mich nicht auch abstichst?", scherzte er.
„Nimm mich doch mal ernst!", entfuhr es mir.
„Woher hattest du den Schlüssel?"
„Hat er in der Küche liegen lassen, glaub' ich."
„Toll, dann war das seiner. Warum gibst du mir seinen Schlüssel? War doch klar, dass ihn das wütend macht."
„Darüber hab ich nicht nachgedacht."
„Samra.", mahnte ich. Ich kauft ihm nicht ab, dass er wirklich nicht darüber nachgedachte hatte. Er rollte mit den Augen, und drehte sich zum Küchenschrank um, wo sich das kleine Körbchen mit Tabletten herausnahm. Es knisterte laut, und dann packte er das Körbchen wieder weg.
„Was hast du da?", fragte ich ihn mit gerunzelter Stirn, stellte mich neben ihn, und schaute dann was er sich da geholt hatte.
„Capi's Vorrat. Ist jetzt meiner.", freute er sich, und wedelte mit dem transparenten Tütchen voller grüner Blüten vor meiner Nase herum. Danach drehte er mir den Rücken zu, und öffnete die Tüte. Er roch intensiv an dem grünen Zeug, und lächelte dann zufrieden.
„Er war letzte Nacht in meinem Zimmer, Samra. Er hat sich die Kette geholt. Es muss so gewesen sein."
„Dann lass ihm doch den Schlüssel. Scheiß drauf, scheiß auf den Schlüssel. Ist eh besser, wenn du das vergisst glaub ich."
„Wie...was? Du hast ihn mir geschenkt. Warum soll ich das vergessen? Das bedeutet mir was, Samra. Ich sag das nicht nur so, ich meine das ernst."
„Du checkst es nicht.", sagte er plötzlich todernst. Mit dem Tütchen in der Hand drehte er sich wieder zu mir.
„Ich meine, dass das eh eine scheiß Idee war."
„Aber du... du hast gesagt, ich bin frei. Du hast gesagt, Khalil hat kein Interesse mehr an mir. Du hast gesagt, ich darf rein und raus wann ich will!" Mir stiegen ungewollt Tränen in die Augen.
„Khalil ist nicht das Problem."
„Was dann?" Er sah mich an, legte den Kopf für eine Sekunde schief, und wandte den Blick dann ab.
„Du lässt mich jetzt nicht stehen!", Schrie ich ihn hysterisch an, als er mir vorbei wollte.
„Pass auf wie du mit mir redest. Ich bin nicht Capi, merk dir das.", gab er gefühlskalt von sich. Ich war so wütend auf ihn. Warum tat er das? Warum schenkte er mir erst die Freiheit, und nahm sie mir dann wieder weg? Was hatte ich ihm getan, das sein Handeln rechtfertigen könnte? Meine Hände zitterten, als ich sie zu Fäusten ballte.
„Ich hol mir den Schlüssel zurück, das schwöre ich.", sagte ich scharf zu dem drei Köpfe größeren Libanese, welcher mich unbeeindruckt mit seinem Tütchen in der Hand ansah.
„Wirst du nicht.", entgegnete er lässig.
„Verlass dich drauf." Sauer und verletzt war ich diejenige, die ihn nun stehen ließ.
„Ey, was ist mit Essen? Ich hab Hunger.", rief er mir hinterher. Unglaublich, wie er in dieser Situation noch Essen im Kopf haben konnte. Ich knallte die Tür hinter mir zu, und rieb mit Zeige- und Mittelfinger über meine Schläfen. Während ich mit verschwommener Sicht auf mein Bett starrte, fiel mir etwas auf. Ein kleines Detail, welches ich bis jetzt übersehen hatte. Ich schniefte einmal leise, und ging zu Vladislavs Seite des Bettes. Auf seinem Nachttisch-Schränkchen lag ein kleiner, weißer Zettel. So einen, den er mir schon einige Male hinterlassen hatte, bevor er mal wieder für unbestimmte Zeit weg war. Ich setzte mich auf das Kingsize Bett, und nahm den Zettel an mich.

Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt