Part 73 ~ Ablenkung

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Als ich ihm zum zweiten Mal in die Augen sah, wusste ich ganz genau, was er dachte. Die Eifersucht war ihm regelrecht ins Gesicht geschrieben. Theoretisch hatte er aber keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Das konnte man aus zweierlei Sicht betrachten. Einerseits würde ich niemals untreu werden. Und andererseits waren wir im Augenblick ja nicht mal richtig zusammen. Es war so ein Zwischending. Obwohl, nicht einmal das. Eigentlich war das zwischen uns...es war einfach nichts. Nach dem was passiert war und was er getan hatte, war es einfach nicht wie vorher. Ich würde es als kalt bezeichnen, doch vielleicht sah er das nicht so. Denn als er vor mir stand und die Haustür aufschloss, war sein Blick ganz anders als eben. Ich sah die Reue in seine Augen. Wie er überlegte, welche Worte er wählen sollte. Von mir aus brauchte er gar nichts zu sagen, denn ich würde ihm sowieso nicht zuhören.
Wie groß der Knacks in unserer Beziehung war bemerkte ich, als ich sein Gesicht näher betrachtete. Sein blaues Auge rief die Bilder in mir wieder hoch, die ich bis jetzt verdrängt hatte. Wie sein Gesicht aussah, als wir in diesem Gebäude gefangen waren. Wie viele Wunden er hatte, nachdem er von Khalils Leuten zugerichtet wurde. Auf der einen Seite brach es mir das Herz, mir vorzustellen, dass ihm jemand so schreckliche Dinge angetan hatte. Aber auf der anderen Seite dachte ich daran, was er mir antun wollte. Nein, was er mir angetan hatte. Und damit meine ich nicht nur das, was zum Schluss passiert ist. Damit meine ich alles, jedes Ding. Unter anderem seine scheiß Psycho-Spielchen, mit denen er mich wahnsinnig gemacht hatte. Mein Magen krampfte sich leicht zusammen, und ich musste schlucken. Wer stand hier gerad vor mir? War es Vladislav, oder seine andere Persönlichkeit? Woher sollte ich wissen, wen ich vor mir hatte?
„Wir müssen reden.", sagte er sanft. „Bitte." Seine braunen Augen leuchteten hoffnungsvoll auf. Doch so ruhig und zaghaft er sich mir gegenüber auch verhielt – es änderte nichts an meiner Einstellung. Je länger ich ihn anschaute, desto unbehaglicher wurde mir. Weil es den ganzen Schmerz in mir wieder nach oben holte.
Kopfschüttelnd wandte ich den Blick ab.
„Baby, bitte. Komm schon.", bettelte er, nachdem ich ihm den Rücken zugewandt hatte. Entgegen seiner Erwartung bekam er allerdings keine Reaktion von mir.
„Du kannst nicht ewig davor weglaufen!", rief er nun mit kratziger Stimme. Ich hörte, wie verletzt er war. Wie sehr er sich bemühte, zu verstecken, dass auch er den Tränen nah war. Aber ich war mir nicht sicher, ob das Schauspiel war. Also ignorierte ich ihn weiter. Das nächste Geräusch, welches ertönte, war die knallende Haustür. Der Mann sollte das beruflich machen, dachte ich mir.
Mein Hals begann zu brennen, und ich amtete tief durch. Ruhig bleiben, Josy. Du heulst jetzt nicht. Nicht vor Samra. Dieser stand nämlich auch noch da – ich hatte ihn nur bis jetzt ausgeblendet.
„Ey.", brummte der Libanese plötzlich neben mir.
„Lass mich einfach.", wies ich ihn mit gebrochener Stimme ab. Doch er ließ nicht locker, und stellte sich ausbremsend vor mich.
„Man, warte doch mal ne Sekunde.", stöhnte er genervt auf. Ich rollte mit den Augen, und schaute trotzig an ihm vorbei. Dass er nun sah, dass ich kurz vorm Heulkrampf stand, regte mich auf. Ich wollte nicht, dass er das sah. Was musste man tun, um einfach mal alleine sein zu können? Was verstand er denn an >lass mich in Ruhe <nicht? 
„Hör zu, lass uns einen Kompromiss machen."
Ich schniefte leise, während ich ihn immer noch mit meinem Blick mied. Ich hörte ihm nicht mal richtig zu. Meine Konzentration lag gerade darauf, nicht zu heulen. Und auf dem kleinen heruntergefallenen Blatt, welches ich starr beobachtete, um nicht zu ihm hochzugucken. Die Wut in meinem Bauch ließ alles andere unwichtig erscheinen.
„Ich fahr dich in die Stadt, und du kannst alleine in die Apotheke." Nun schaute ich ihn doch an. Meinte er das ernst? Oder hatte ich mich verhört? Ne, der hatte das wirklich gesagt. Oha. 
„Aber." Er machte seinen Oberkörper gerade und drückte seine Brust durch, um eine dominante Haltung vor mir einzunehmen. „Ich bleib in der Nähe. Ich lass dich nicht aus den Augen. Also ich bin da, aber du bemerkst mich nicht. So Ghostmäßig."
In diesem Moment wusste ich gar nicht, was ich sagen sollte. Mit vielen Dingen hatte ich gerechnet...aber damit sicherlich nicht. Ich hatte so viele Gefühle auf einmal in mir, dass ich überfordert war. Also nickte ich einfach.
„Los.", brummte er, und lief an mir vorbei zu seinem Auto. Während ich ihm hinterher trottete, fragte ich mich, ob das jetzt tatsächlich das war, was ich wollte. Eigentlich nicht. Eigentlich wollte ich komplett alleine sein. Aber dass er sich auf sowas einließ, war eine Seltenheit, also gab ich mich damit zufrieden. Man kann ja nicht alles haben, oder?
„Mal auf Ernst.", sagte er, nachdem ich die Autotür zugezogen hatte. „Du musst mit ihm reden."
Wieder rollte ich mit den Augen. „Lass das bitte meine Sorge sein.", seufzte ich nur. Das war nicht das, was er hören wollte. Man merkte an seiner Reaktion, als er die Musik so laut aufdrehte, dass man sein eigenes Wort nicht mehr verstand. Gut, ich wollte sowieso nicht reden. Passte doch.



Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt