Part 28 ~ Benebelte Sinne

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"Du kannst so nicht heim fahren.", mahnte ich lachend, nachdem wir unsere Sitze wieder in die richtige Position gebracht hatten, und Vladislav den Wagen startete.
"Ich kann alles, wenn ich will."
"Und wenn uns die Polizei anhält?"
"Hast du vergessen, wer ich bin?"
"Nein. Aber deshalb kannst du ja trotzdem nicht machen was du willst."
"Baby, vertrau mir mal. Wenn die mich anhalten, dann höchstens für Autogramm." Von sich selbst überzeugt legte er den Gang ein, und fuhr dann los.
"Schon ein bisschen eingebildet.", sagte ich leise zu mir selbst - mit der Absicht, dass er es hörte.
"Ey.", meckerte er lachend. Ich schnaufte grinsend, und sah dann aus dem Fenster. Wir fuhren wieder aus dem Wald hinaus. Schade, irgendwie gefiel es mir hier. Besser gesagt gefiel es mir, mit ihm hier zu sein. Ohne Samra oder irgendjemanden, der uns ständig voneinander trennte.
"Alles gut?", fragte er, nachdem ich eine Zeit lang schweigend vor mich hin geträumt hatte.
"Warum machen wir sowas nicht öfter?", fragte ich ihn etwas traurig.
"Weil nicht immer so Zeit ist, verstehst du." Er legte seine warme, große Hand auf meinen Oberschenkel.
"Wenn du nie Zeit hast, bist du dann immer ehrlich mit deinen Prioritäten?" Er sah mich überrascht an. Dann ging sein Blick wieder zurück auf die Straße. Gekonnt ignorierte er meine Frage. Ein Zeichen, dass ich damit ins schwarze getroffen hatte.
"Ich hab Hunger. Lass irgendwo essen.", lenkte er vom Thema ab, und kniff leicht in meinen Oberschenkel.
"Fressflash?", grinste ich, und griff nach seiner Hand. Er nickte bestätigend, und lenkte den Wagen wieder in Richtung Stadt. Unsere Finger verschränkten sich ineinander, und ich lehnte mich im Sitz enstspannt zurück. Im Augenwinkel sah ich, wie sich ein kleines Grinsen auf seine Lippen schlich.

"Wenn ich dich nur so zum essen kriege, dann musst du jetzt öfter kiffen.", scherzte der Ukrainer, als wir beide vollgefressen in der Garage des Hauses parkten.
"Mir egal, solange du dabei bist.", entgegnete ich, während wir aus seinem Mercedes ausstiegen.
"Du weißt doch, Baby. Ich bin auch bei dir, wenn ich nicht bei dir bin. Verstehst du das?", fragte er, und nahm meine Hand.
"Ich weiß nicht so recht, wie ich das interpretieren soll.", gestand ich ihm ehrlich. Er zog mich erst an sich heran, und schob mich dann rückwärts, bis ich mit dem Rücken an seinem Mercedes lehnte.
"Scheißegal. Hauptsache, du weißt das.", murmelte er besorgniserregend ernst.
"Okay.", versicherte ich ihm. Es schien ihm außerordentlich wichtig zu sein, dass ich mir diesen Satz einprägte. Ich spürte, wie seine Finger an meinem rechten Arm nach unten strichen - so lange, bis er bei dem Armkettchen ankam, das er mir geschenkt hatte.
"Niemals abmachen.", flüsterte er, und kam meinem Gesicht näher.
"Warum ist dir das so wichtig?" Er sah mir in die Augen. Wow, diese Augen. Ich hatte beinahe vergessen, wie schön sie waren.
"Mach einfach, was ich sage.", hauchte er gegen meine Lippen, und küsste mich dann. Sofort schmeckte ich wieder das Weed, das wir vorhind zusammen geraucht hatten. Obwohl ich wusste dass das Schwachsinn war, hatte ich das Gefühl, dass ich allein durch den Geschmack heute zum zweiten mal high werden würde.
"Ich liebe dich, Baby.", murmelte er gegen meine Lippen. Ehe ich darauf reagieren konnte, küsste er mich erneut. Dieses mal waren seine Bewegungen intensiver. Ich fühlte, dass er mehr wollte. Allein schon an der Art, wie er mein Handgelenk fest hielt. Aber er zwang sich, seinem Drang zu wiederstehen.
"Warum hälst du dich so zurück?", fragte ich ihn leise. Er öffnete seine Augen, und sah mich an. Wir beide atmeten beschleunigt, und unsere Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt.
"Mach ich nicht.", wiedersprach er stirnrunzelnd.
"Doch. Du willst, aber du machst es nicht. Warum?" Seine Augen funkelten leicht auf. Er sah kurz nach nach unten, und dann wieder zu mir. Langsam beugte er sich herunter, und drückte sein Gesicht in meine Halsbeuge. Ich spürte seinen Atem auf meiner Haut, und hielt mich mit einem Arm in seiner Schulter fest. Mein rechter Arm würde leicht von ihm gegen die Autotür gedrückt.
"Weil ich mich nicht unter Kontrolle hab', Baby.", knurrte er gegen meinen Hals. Mich durchfuhr eine kleine Gänsehaut.
"Ist das gut oder schlecht?"
"Schlecht, Baby. Ich muss erst runterkommen."
"Wie meinst du?", fragte ich verwirrt. Er schnaufte gegen meinen Hals, und legte seine Hand auf mein Kinn. Dann drehte er meinen Kopf leicht zur Seite, damit er mehr Platz hatte.
Er verteilte kleine, heiße Küsse auf meinem Hals. Sein Bart kitzelte ganz leicht auf meiner Haut, und ich spürte wie er durch die Nase ausatmete. Obwohl mir sein komisches Verhalten irgendwie Angst machte, konnte ich nicht anders als zu genießen, was er da gerade tat. Er wanderte mit seinen Küssen nach oben. Als ich seinen Atem in meinem Ohr spürte, bekam ich wieder eine Gänsehaut.
"Ich bin nicht ich selbst gerade. Ich will dir nicht weh tun.", hauchte er gegen meine Wange.
"Ich versteh nicht so richtig.",
"Musst du auch nicht." Er kam wieder nach vorne, und legte seine Lippen auf meine. Für einige Sekunden verblieben wir so, bis er sich von mir löste.
"Lass rein gehen. Wird kalt langsam.", sagte er, nahm mich an der Hand und führte mich zur Hauseingangstür. Immernoch war ich wie benebelt von seinen Küssen, und ließ mich einfach von ihm hinterherziehen. Es brauchte tatsächlich einige Sekunden, bis ich wieder klar denken konnte.
Fluchend durchsuchte er seine Hosentaschen, doch wurde nicht fündig.
"Suchst du den hier?", kommentierte ich, und zog seinen Schlüssel aus meiner Hosentasche.
"Warum hast du den?", fragte er minimal gereizt.
"Du hast ihn an der Tür stecken lassen, Samra hat ihn mir gegeben, du hast ihn gestern Abend in die Schublade gelegt...schon vergessen?" Er nahm mir den Schlüssel ab, und steckte ihn ins Schloss.
"Was glaubst du denn, wie ich hier raus gekommen bin nachdem du mich stehen gelassen hast?"
"Ich dachte, Samra hat dich rausgelassen.", antwortete er schulterzuckend.
"Nein, ich hab mich rausgeschlichen. Und wollte ohne ihn wegfahren, aber er hat's gemerkt. Egal." Wir gingen zusammen nach drinnen, und Vladislav schloss wieder ab. Den Schlüssel steckte er dieses mal direkt in seine Hosentasche, um ihn nicht wieder zu vergessen.
"Vlad..."
"Endlich!", wurde ich unterbrochen. Vor uns stand ein fröhlicher Granit mit weit ausgestreckten Armen. Er kam auf uns zu, und umarmte Vladislav brüderlich.
"Happy Release, Bruder.", sagte Granit.
"Ich küss dein Herz. Dir auch, Habibi.", antwortete Vladislav grinsend. Ich stand da und wusste nicht, was ich sagen sollte. War heute echt schon Release? Und ich hatte das vergessen? Das konnte doch nicht sein...
"Hallo, Prinzessin.", riss mich Granit aus meinen Gedanken, und umarmte mich herzlich. Ich erwiederte seine Begrüßung, und er ging wieder zu Vladislav. Die beiden unterhielten sich, während sie sich eine Kippe ansteckten, und verschwanden dann nach draußen auf die Terrasse.
"Was vergessen?", fragte Samra, der mit verschränkten Armen an der Spüle lehnte und mich angrinste. Die Terassentür hatten die beiden zu gemacht, sodass wir nicht hören konnte was sie draußen beredeten. Demnach konnten sie auch nicht hören, was wir sprachen.
"Heute ist sein großer Tag, und du hast es vergessen. Also hätte ich ne Freundin, und die würde mein Release verpennen...uff."
Mein Herz schlug immer schneller. War er deshalb so komisch drauf? Aber eigentlich hätte er doch gute Laune haben müssen, wenn heute Release ist. Hab ich ihm das echt versaut, weil ich nicht wusste dass es heute ist? Mir wurde schlecht.
"Denk mal nicht, dass er dir sagen wird wie enttäuscht er ist. Er wird dich das noch spüren lassen, glaub mir mal.", redete der Libanese auf mich ein, während ich Vladislav durch die Balkontür beobachtete. Er unterhielt sich angeregt mit dem Albaner, und zog nebenbei an seiner Kippe.
"Spätestens dann wird dir bewusst, wie krass du ihn verletzt hast."
"Erzähl nicht.", versuchte ich Samras Schuldzuweisungen abzuwimmeln, und sah woanders hin. Plötzlich spürte ich, wie er hinter mir stand. Er legte von hinten seine Hand auf mein Kinn, und zwang mich nach draußen zu schauen.
"Siehst du, wie traurig er ist? Nur weil er lacht, heißt das nicht, dass er gut drauf ist."
War das wirklich so? War er wirklich enttäuscht wegen mir? Ich wollte nicht, dass er wegen mir traurig war. Ich wollte generell nicht, dass er irgendwie traurig war. Wie konnte ich das nur vergessen? Ich legte meine Hand auf Samras Unterarm, um seine Hand von meinem Kinn wegzuziehen. Zwar konnte ich mein Kinn frei bekommen, aber sein Arm war immernoch vor meinem Körper. Ich weiß nicht, was mich in dem Moment mehr beschäftigte. Die Tatsache, dass ich Vladislavs Release vergessen hatte - oder Samra, der seinen Unterarm leicht gegen mein Schlüsselbein drückte, und mich somit näher an ihn heran zog.
"Bin mal gespannt, wie du das wieder hinbiegen willst.", sprach er leise, und legte sein Kinn auf meinem Kopf ab. Meine Hand lag immernoch auf seinem Arm, während wir die Jungs beobachteten. Sie standen mit dem Rücken zu uns. Ich war mit den Gedanken gerade so weit weg, dass mich Samras Nähe nicht mal störte. Normalerweise würde ich ihn von mir wegdrücken. Doch in diesem Moment konnte ich mich einfach nicht darauf konzentrieren. Alles was ich dachte, war: Ich muss unbedingt mit Vladislav reden. Alleine. Ich musste mich entschuldigen. Ich musste wissen, ob er wirklich sauer war. Oder halt enttäuscht, keine Ahnung. Man, warum ausgerechnet heute? Hätte es nicht nächste Woche sein können, sodass ich es vorher mitbekommen hätte? Je länger ich Vladislav beobachtete, desto mehr verspürte ich den Drang loszuheulen. Er tat mir so leid, das ging gar nicht. Wie musste das für ihn sein, wenn seine eigene Freundin ihn nicht unterstützt?
"Meinst du echt, dass er sauer ist?", fragte ich den Libanese, dessen warmen Atem ich auf meinem Haaransatz spüren konnte.
"Safe.", sagte er mit kratziger Stimme. Dadurch dass sein Kinn immernoch auf mir lag, brummte mein ganzer Körper als er sprach. Versehentlich krallte ich mich in dem Moment etwas fester in seinen Unterarm, woraufhin er ihn nach oben zog. Nun lag er direkt auf meiner Kehle. Ich wollte ihn wegdrücken. Aber meine Sorge, dass Vladislav traurig wegen mir war, war gerade irgendwie größer. Als es kühl an meinem Kopf wurde bemerkte ich, dass er sich nicht mehr auf mir abstütze. Keine Ahnung, was er da gerade hinter mir machte. Mein Blick ging zu Granit. Er schaute ziemlich ernst. Angeregt gestikulierte er mit den Händen, während Vladislav ihm zunickte. Man, ich hätte so gerne gewusst worüber die da sprachen.
"Warum ist er so krass wütend, wenn er heute Release hat?"
"Capi ist nicht Capi, wenn er auf der Straße ist.",gab Samra hinter mir von sich.
"Wie?"
"So, wie ich sage."
Als er sich bewegte merkte ich, wie nah er mir eigentlich war. Wieder wollte ich etwas sagen, doch meine dämlichen Schuldgefühle waren einfach stärkter. Es machte mich fertig. Ich musste einfach mit ihm reden, wenn er wieder reinkommt. Aber was sollte ich sagen? Sorry, dass ich dein Release vergessen habe? Klingt richtig überzeugend. Man, warum war ich auch so dämlich und hab' da nicht drauf geachtet? Wegen meiner Dummheit hab ich jetzt Stress, der hätte vermieden werden können.
Ich zuckte zusammen, und wurde wieder aus meiner Trance herausgerissen. An meinem Hals spürte ich einen sanften Schmerz an der Stelle, wo die Narbe von Samras Klappmesser war. Als er seinen Arm bewegte, blitzte der Schmerz wieder kurz auf. Und erneut zuckte ich zusammen.
"Samra.", stöhnte ich leise.
"Hmm.", knurrte er gegen meinen Hals. Moment, was?
"Was machst du da?!", fragte ich ihn erschrocken. Ich war so in Gedanken abgedriftet, dass ich ihn völlig ausgeblendet hatte.
"Nix.", antwortete er ruhig. Sein Bart strich an meinem Hals hoch. Dann an meinem Ohr vorbei. Und mein Herz kollabierte beinahe.
"Kannst du mich loslassen?", fragte ich mit einem leichten Zittern in der Stimme, nachdem ich meine Nervosität versucht hatte herunter zu schlucken.
"Vielleicht."
Dieses mal versuchte ich wirklich, seinen Arm wegzudrücken. Aber er hielt mit Leichtigkeit dagegen an. Vladislav nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette, und drückte sie im Aschenbecher aus.
"Sam..." Ehe ich seinen Name aussprechen konnte, hatte er seinen Arm bereits von mir entfernt.
"Chill, Prinzessin.", kam es nun wieder arrogant von ihm. Stirnrunzelnd drehte ich mich zu ihm um, doch er schlenderte bereits mit dem Rücken zu mir gedreht zum Küchentisch.
"Was so..."
"Ich kümmer mich noch darum. Also richtig, nicht so wie andere. Der spielt nie wieder Eier, wenn ich mit dem fertig bin.", sprach Vladislav an Granit gerichtet, während beide wieder in die Küche kamen.
"Geil. Aber mach so richtig mies, damit der das kapiert.", stachelte ihn Granit an.
"So mit antäuschen, oder richtig?"
"Beides. Wallah, der wechselt das Land vor Angst.", lachte Granit, und der Ukrainer freute sich ebenfalls.
"Vladislav.", sagte ich, und griff nach seiner Hand. Sein Blick haftete noch kurz an Granit, und dann sah er mich an.
"Hast du 'ne Minute?", fragte ich ihn leise. Bitte, lass mich jetzt nicht stehen.
"Eigentlich nicht, Baby. Ich muss kurz weg, und du musst duschen.", grinste er, und drückte meine Hand ganz leicht.
"Hä, warum?", fragte ich verwirrt.
"Wir gehen in Shishabar nachher, bisschen Release feiern. Ich muss vorher schnell was erledigen, in der Zeit kannst du dich fertig machen.", antwortete er.
"Warte!", hielt ich ihn auf, als er meine Hand los ließ und zur Tür steuerte. Noch einmal drehte er sich zu mir um.
"Baby, nachher ok? Geh duschen und so, mach dich in Ruhe fertig. Ich komm dann wieder, dann reden wir. Aber ich muss weg jetzt." Er drückte mir einen schnellen Abschiedskuss auf die Stirn, und verließ dann mit Granit das Haus.
"Bis nachher.", rief Granit uns noch zu, und dann war die Tür wieder versperrt.
"Ich sag ja, er lässt es dich spüren.", gab Samra seinen Kommentar ab, und richtete sich vom Küchentisch auf. Ehe ich argumentieren konnte, war er schon auf dem Weg nach oben. Vielleicht machte ich mir auch einfach zu viele Sorgen. Vielleicht sagte Samra das nur, um mir eins auszuwischen. Und vielleicht sieht Vladislav das gar nicht so eng, wie ich befürchte. Aber was, wenn Samra wirklich Recht hatte? Wenn alles stimmte, was er gesagt hatte? Wenn ich so darüber nachdachte, wurde mir erneut schlecht. Ich musste mit ihm reden, wenn er wieder kommt. Ich musste einfach wissen, ob das wirklich stimmte. Und ich musste mich entschuldigen, unbedingt. Sonst würde ich nie wieder ruhig schlafen können.

Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt