Part 92 ~ Hops

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Die ganze Zeit über hatte ich Vladislav misstraut. Scheinbar hatte mich mein Instinkt doch nicht getäuscht. Das Schlimmste an dem Ganzen war ja noch, dass ich mich wieder auf ihn eingelassen hatte. Sogar zwei Mal, um genau zu sein. Ich hatte mich auf den Joker eingelassen, hatte zugelassen, dass er mir näherkommt. Verdammt, ich hab mit ihm geschlafen, obwohl diese blöde, eingebildete Hure nur wenige Stunden vorher zwischen seinen Beinen hing. Der Gedanke daran verknotete meinen Magen so stark, dass ich das Gefühl hatte ich musste mich übergeben. Auf beiden Knien hockte ich, hielt mich am kühlen Metall der Gitterstäbe fest die uns umgaben, und riss mich zusammen, um nicht wirklich noch hier her zu kotzen.
„Alles okay?", hörte ich Samras Stimme hinter mir, kurz bevor er seine warme Hand behutsam auf meinen Rücken legte.
„Nein, nichts ist okay. Gar nichts.", schniefte ich, und hievte mich dann zur Seite, sodass ich nun auf dem Boden saß.
„Komm schon, sag es. Hau raus.", murmelte ich, während ich die Knie an meine Brust drückte und das Kleid über meine angewinkelten Beine streifte.
„Was soll ich sagen?", brummte der Libanese, welcher sich zu mir nach unten gesellt hatte. Mir stieg der Duft seines Parfums in die Nase, als er sich mit dem Rücken am Käfig anlehnte und dabei leise schnaufte.
„Meckere mich voll, weil ich wieder Mal einen Alleingang gestartet und dich ausgetrickst habe. Auf diese Gelegenheit wartest du doch schon, seitdem ich mit deinem Auto an dir vorbeigezogen bin."
„Wir klären das später.", sagte er nur.
„Es wird aber kein Später geben. Für dich vielleicht, aber für mich definitiv nicht. Du hast ihn doch gehört." Am Ende des Satzes konnte ich einen weiteren Wasserfall an Tränen nicht verhindern. Es sprudelte einfach so aus mir heraus, ohne dass ich es wollte.
„Steck mal den Kopf nicht so in den Sand. Es wird ein später geben, safe."
„Nein, wir sind am Arsch. Und ich bin schuld. Ich hab dich mit reingezogen, ohne mich wären wir beide jetzt nicht hier.", schluchzte ich.
„Man, jetzt krieg dich mal wieder ein. Wenn es um Capi geht, riskierst du jedes Mal, ohne nachzudenken dein Leben, um ihn zu retten. Warum gibst du jetzt sofort auf, wenn es um deins geht?"
„Weil ich nicht er bin."
„Und? Bist du jetzt weniger wert, nur weil du kein bekannter Rapper bist, oder was?", redete er auf mich ein. Ich reagierte darauf nur mit einem schulterzucken.
„Wallah Josy, du bist nicht weniger wert als Capi oder ich."
„Aber ich bin doch eh nur sein Anhängsel.", weinte ich.
„Cüs, ich hab das doch nur gesagt, um dich fertig zu machen.", entschuldigte er sich auf seine komische Samra-Art.
Nachdem ich meinen Tränenfluss stoppen konnte, hob ich schniefend meinen Kopf und blickte geradeaus. Samra, der wortlos neben mir saß und scheinbar am Grübeln war, tat es mir gleich.
„Stimmt das, was Khalil erzählt hat?", fragte ich ihn, nachdem einige von Stille erfüllte Sekunden verstrichen waren.
„Nein."
Meine Stirn runzelte sich, und ich sah den Rapper prüfend an.
„Du weißt doch gar nicht, was er gesagt hat."
„Weil es egal ist, Josy. Der lügt doch eh, bei jedem Satz."
„In der Halle neulich hat er nicht gelogen."
„Kurz bevor er dich abgestochen hat?"
Über meinen Rücken fuhr ein unangenehmer Schauer, als Samra diesen Satz verlauten ließ.
„Ganz genau."
„Man, müssen wir das wirklich jetzt ausdiskutieren?", stöhnte er auf, und erhob sich dann wieder nach oben.
„Ja, müssen wir." Auch ich kämpfte mich mühsam wieder auf meine Beine zurück, um mit ihm auf einer Ebene zu sein. „Wenn das hier unsere letzten Minuten sind, würde ich das gerne geklärt haben, bevor es zu spät ist."
„Wir werden noch genug Zeit zum Reden haben, glaub mir mal."
„Was macht dich da so sicher?!", fuhr ich ihn nun an. Seine Lässigkeit, und die Ansicht, dass das hier alles ja gar nicht so schlimm wäre, brachte mich regelrecht auf die Palme. „Wir sind komplett am Arsch, siehst du das nicht?!"
„Nein, Josy!" Nun wurde auch er lauter. „Weil ich im Gegensatz zu dir nicht einfach alles hinschmeiße und das hier dem Schicksal überlasse! Scheiße, wie oft muss ich es dir noch erklären? Ich akzeptiere keine Niederlagen, und du solltest das auch nicht tun! Wallah, wenn ich jedes Mal aufgegeben hätte als alles ausweglos schien, würde ich jetzt nicht hier stehen!"
Anstatt zu antworten, wandte ich mich kopfschüttelnd ab.
„Ich hab einfach keine Kraft mehr, Samra. Ich hab so viel, so oft gekämpft, und jedes Mal verloren. Immer wenn irgendetwas gut geht, dauert es nicht lange, bis alles wieder zusammenbricht. Sag mir, wie soll man da die Fassung behalten? Als Vlad nicht er selbst war, ist ein Teil in mir zerbrochen. Es hat so lange gedauert, bis ich es wieder in seiner Nähe aushalten konnte. Ich hab..." Der Kloß im Hals hinderte mich für einen Moment daran, weiterzusprechen. Wieder flossen die Tränen unkontrolliert aus meinen Augen heraus, und meine Hände begannen zu zittern.
„Ich hab mit ihm geschlafen, verdammt. Und jetzt erfahre ich nicht nur, dass diese...diese Schlampe kurz vorher zwischen seinen Beinen hing, sondern dass er die ganze Zeit über weiterhin der Joker war? Kannst du dir auch nur annähernd vorstellen, wie dreckig ich mich gerade fühle?", schluchzte ich.
„Du weißt, dass Capi dich niemals bescheißen würde."
„Capi nicht. Der Joker schon. Oh mein Gott. Wenn er erst in ihr drin war, und dann in mir...dann habe ich ja ihre DNA in mir!" Erneut kam es mir hoch, und ich musste mir die Hand vor den Mund halten.
„Der Joker ist weg, Josy."
„Ach ja? Wie kannst du dir da so sicher sein?"
„Ich weiß es einfach."
„Und hast du irgendwelche Beweise dafür?"
„Nein. Hab doch gesagt, ich weiß es einfach.". entgegnete er schulterzuckend.
„Toll."
„Hast du denn Beweise dafür, dass er noch da ist?", verdrehte er meine Frage, während er die Gitterstäbe untersuchte.
„Willst du mich verarschen? Ich hab das Foto gesehen, das ist doch Beweis genug!"
„Jeder kann so ein Foto fälschen, Josy. Wallah ist easy, bekomm sogar ich hin."
Mir ging nicht in den Kopf, weshalb Samra so entspannt an die ganze Sache heranging. Wenn der Joker noch immer Besitz von Vladislav ergriffen hatte, standen wir wieder ganz am Anfang. Wieso zum Teufel beunruhigte ihn das nicht? War es ihm schlichtweg egal, ob er nun Vladislav oder der Joker war? Verließ er sich so unumstritten auf sein Bauchgefühl, dass er daher keinen Gedanke daran verschwenden wollte? Oder interessierte es ihn einfach nicht, weil er ein Egoist war?
„Dann frage ich mich aber trotzdem, wo er ist."
„Keine Ahnung."
„Naja entweder hat er dich dann verascht, oder du spielst mir was vor."
„Josy.", stöhnte er genervt auf, während er hockend an einem der Gitterstäbe herumfummelte. „Wie oft denn noch? Ich bin nicht dein Feind. Und Capi auch nicht. Vielleicht hatte er seine Gründe, um mich anzulügen, vielleicht labert Khalil aber auch einfach Scheiße, und Capi war hier."
„Und wenn Khalil ihm was angetan hat?"
„Dann können wir im Moment auch nichts dran ändern."
Mir fiel alles aus dem Gesicht, und ich starrte ihn fassungslos an. Als er bemerkte wie bodenlos ich seine Antwort aufgefasst hatte, sah er kurz unbeeindruckt zu mir, und widmete sich dann wieder seinem...was auch immer er da tat.
„Hör zu. Jetzt gerade ist es erstmal wichtig, dass wir hier herauskommen. Um Capi kümmern wir uns schon noch, tamam? Wenn wir jetzt hier herumstehen und uns Gedanken machen was jetzt oder später passiert sein könnte, hilft das keinem von uns weiter. Also verdräng dieses komische Bild von Capi für einen Moment, heb dir deine anderen Sorgen für später auf und hilf mir, diese behinderte Stange wegzudrücken."
Einen Augenblick lang betrachtete ich ihn noch, und ließ seine Worte einsickern. Er hatte Recht. Mich mit meinen Sorgen zu befassen, brachte uns jetzt auch nicht voran.
„Halt die Stange fest. Ich guck, ob ich da durch passe."
Irgendwie hatte Samra es geschafft, mehrere Schrauben zu entfernen, sodass wir einen Metallstab des Käfigs an der unteren Seite nach außen drücken konnten.
„Scheiße, ich pass nicht durch.", fluchte er. „Ich muss noch einen abschrauben."
In dem Moment als Samra den gelösten Stab wieder in die gleiche Position wie vorher gebracht hatte, ging die Tür der Halle auf, und Khalil kehrte zurück.



[...]


Vladislav

Mein Schädel fühlte sich an, als wäre er mehrmals gegen eine Betonwand gedonnert. Während ich mich langsam aufrichtete, musste ich immer wieder kurz innehalten und tief Luft holen, weil sich alles um mich herum drehte wie auf einem behinderten Karussell. Diese dreckige Luft die ich einatmete, stank so übertrieben widerlich, dass ich zusätzlich noch versuchen musste meinen Mageninhalt drin zu behalten. Wonach zum Teufel roch das hier? Dieser Gestank brachte mich ehrlich an meine Grenzen. Ich war vieles gewohnt, wallah ich hab so viele ekelhafte Orte gesehen. Aber dieses Drecksloch hier toppte alles, was ich bisher erlebt hatte.
Jeder verdammte Atemzug fühlte sich an, als würde sich meine Lunge von innen heraus selbst auffressen.
„Ey!", brüllte ich in die Dunkelheit, und klopfte dabei gegen das verdreckte, eingestaubte Gitter, welches mich hier einsperrte. Ich hatte absolut keine Ahnung, wo ich mich befand und wie ich hierhergekommen war. Und trotzdem weckte irgendetwas an diesem Ort meine Erinnerungen. Vielleicht war es dieses hässliche Gitter, oder dieses fette abgenutzte Schloss, was die Tür zugesperrt hielt. Selbst dieses Mini-Fenster mit den rostigen Metallstäben und der abgedunkelten Scheibe, welches zumindest ein kleines bisschen Licht in diesen scheiß Kerker warf, kam mir bekannt vor. Somit wusste ich wenigstens schonmal, dass wir Tag hatten.
„Hallo!", brüllte ich wieder, in der Hoffnung, dass mich irgendjemand hörte. „Macht diese scheiß Tür auf, nahui!"
Immer wieder trat ich gegen das Gitter, und rüttelte daran. Abgesehen davon, dass mich das unheimlich viel Kraft kostete und ich danach erst einmal verschnaufen musste, brachte mir das allerdings nichts.
„Ich schwöre, ich fick euch alle, wenn ich euch kriege!", schrie ich mit rauer Stimme. Mein Hals fühlte sich staubtrocken an. Als hätte ich seit Tagen nichts mehr gegessen oder getrunken. Demnach entschied ich mich, meine Stimme vorerst zu schonen. Während ich begann mir zu überlegen wie ich hier herauskam, ertönte plötzlich ein knarrendes  Geräusch, und ein Lichtstrahl erhellte die Fläche vor mir. Ich erkannte eine Treppe, die zur rechten Seite nach oben führte, circa zwei Meter entfernt von meinem Gefängnis.
Egal wer da jetzt runterkommt, ich werde ihn ficken.
Es folgten kleine, langsame Schritte, die sich mir näherten. Ein Schatten bildete sich gegenüber von mir ab, welcher von Sekunde zu Sekunde kleiner wurde.
Ist das etwa?...
Tatsächlich. Ein kleiner, verängstigt aussehender Junge trat in mein Sichtfeld, und starrte mich mit seinen großen, dunkelbraunen Augen an. Er erinnert mich ein bisschen an mich selbst, als ich diesem Alter war.
„Hey, Kleiner.", sprach ich, so sanft wie möglich, um ihn nicht zu verschrecken. „Wie heißt du?"
„Ich darf nicht mit Fremden reden.", antwortete er leise, und betrachtete mich von oben bis unten.
„Ist schon okay, deine Mama hat recht, sprich nicht mit Fremden. Aber guck, ich verrate dir meinen Name, tamam? Ich bin Vladislav."
Er schaute mich unwissend an, und sah dabei immer wieder an mir herunter. Ich selbst hatte mich noch nicht betrachtet, konnte mir aber durch einen Blick nach unten erklären, warum er mich so ungläubig musterte. Mein blauer Anzug war an den Hosenbeinen mit Dreck und etwas Blut besudelt. Ist das mein Blut, nahui? Egal, ist gerade nicht wichtig. Konzentrier dich, Vlad.
„Du weißt, wie ich heiße. Guck, ich bin eingesperrt, ich kann dir nix tun.", sagte ich, und hob ergebend meine Hände nach oben. „Bitte, sag mir wie du heißt. Ist unfair, wenn du meinen Namen kennst, ich deinen aber nicht. Auf Ehre, bitte.", redete ich auf ihn ein.
„Nail.", antwortete er daraufhin.
„Nail, wallah so ein schöner Name. Jetzt weißt du wie ich heiße, und ich weiß wie du heißt. Ich bin jetzt also kein Fremder mehr, hm?"
Der Kleine Junge schüttelte zaghaft mit dem Kopf.
„Tamam. Nail, bitte, du musst mir helfen. Ich komm hier nicht alleine raus."
„Ich darf dir nicht helfen."
„Wer sagt das?"
Nail drehte sich mit prüfenden Blicken in Richtung Treppe, und schaute dann wieder zu mir.
„Sie haben gesagt, du bist Sheytan."
„Wer? Nail, sag mir, wer. Wo bin ich hier?", fragte ich ihn erneut, doch ich bekam keine Antwort. Stattdessen zuckte der Junge erschrocken zusammen, drehte seinen Kopf wieder zur Tür, und rannte dann wie angestochen nach oben.
„Nein!", rief ich ihm noch hinterher, doch er war schon weg.
„Pizdets, Blyat!", fluchte ich laut, und trat dabei zum widerholten Mal überaggressiv gegen dieses verfickte Gitter. Als die Tür wieder ins Schloss fiel, erlosch somit auch meine Lichtquelle, und ich war wieder auf mich allein gestellt.

Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt