Part 45 ~ Sichtwechsel

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Josy

In Vladislav's Decke eingekuschelt lag ich auf der Couch. Meine Augen konnte ich kaum offen halten. Dennoch behielt ich den Libanese auf der anderen Couch im Auge. Keine Ahnung warum ich nicht wollte, dass er wegging. Irgendwie machte es mir Angst, alleine zu sein. Immerhin wusste ich vor ein paar Stunden nicht einmal, ob ich je wieder zu Hause ankommen würde. Und nachdem Khalil uns im Krankenhaus aufgelauert hatte, war ich innerlich noch aufgewühlter als vorher.

"Du Idiot.", ertönte Khalils Stimme, als Samra plötzlich stehen blieb. Bis dahin wusste ich nicht, warum er es so eilig hatte aus diesem Krankenhaus zu verschwinden. Nun wurde mir klar, dass er bereits wusste, das Khalil auf uns wartete. Nur deswegen war er so ungeduldig. Er wollte verhindern, dass genau das passierte, was nun der Fall war. Wir saßen in der Falle.
"Dachtest du echt du kannst dich verpissen? Einfach so? Lächerlich.", hörte ich Khalil sagen.
"Verzieh dich, du Ratte. Es gibt hier nix zu holen für dich." Bei jedem das Wort von Samra kam, vibrierte sein gesamter Oberkörper. Ich klammerte mich fester an seinen Pullover, einfach um mich sicherer zu fühlen. Es half mir, nicht in Panik zu geraten.
"Gib sie mir, Samra. Sonst nehm' ich sie mir.", forderte er in todernster Stimmlage. Ich konnte seinen Herzschlag hören. Er verschnellerte sich leicht, während ich Schritte um uns herum warnahm.
"Sie ist verletzt. Wie arm bist du, das auszunutzen?", fragte Samra seinen Gegenüber. Es war mir ein Rätsel, wie er es schaffte so ruhig zu bleiben. Bei jeder noch so kleinen Sache schoss er direkt an die Decke. Aber in diesen Minuten, in denen sich die Lage gerade zuspitzte, blieb er ungewöhnlich ruhig.
"Wieso sollte mich das interessieren? Du hast sowieso verloren. Gib sie, bevor sie noch mehr verletzt wird." Wieder hörte ich, wie sich etwas um uns herum bewegte. Samras Griff um meinen Körper verfestigte sich. Ich kniff die Augen fest zusammen und konzentrierte mich auf seinen Herzschlag, um meinen nicht außer Kontrolle geraten zu lassen. Sein Herz schlug wieder schneller. Das war das Zeichen, dass es gleich richtig hässlich werden würde.
Es konnte doch nicht sein. Ich hatte mich durch diesen Tag gekämpft, und es bis hier her geschafft. Ich hatte mich an die Abmachung gehalten, Stress mit Vladislav und Samra in Kauf genommen, und mein Leben aufs Spiel gesetzt, damit wir diese Sache endlich geregelt bekamen. Und das sollte jetzt der krönende Abschluss sein? Alles wofür ich gekämpft hatte, sollte hiermit ein Ende finden? Das konnte nicht die Realität sein. Wo war hier die Gerechtigkeit? Wenn es wirklich einen Gott gab, wo war er dann, wenn man ihn brauchte? Wie sehr ich mir in dem Moment wünschte, Vladislav um mich zu haben. Vielleicht hätte er uns auch nicht aus dieser Situation heraushelfen können. Aber er wäre bei mir gewesen, und das hätte mich gereicht.
"Du schon wieder."
Ich atmete unhörbar auf.
"Eigentlich ist es mir egal, was für Unstimmigkeiten ihr habt.", hörte ich Kareem sagen.
"Aber ich hab versprochen, dass dem Mädchen nichts passiert, solange sie sich an die Abmachung hält. Und wie ihr wisst, stehe ich zu meinem Wort." Samras Herzschlag wurde langsam wieder normal. Ich versuchte mich ihm anzupassen, und meine Angst herunter zu schlucken.
"Bring sie nach Hause. Sie braucht Ruhe." Plötzlich setzte sich Samra in Bewegung. Endlich. Endlich würde wir nach Hause fahren können.
"Was morgen ist, geht mich nichts mehr an. Aber bis sie zu Hause ist, hälst du dich mit deinen Leuten zurück." Das ging an Khalil. Samra lief ein paar Schritte, und blieb dann stehen. Während er sich umdrehte und zu Kareem sah, schaute ich ganz kurz zu ihm nach oben.
"Ich hab' das nicht für dich getan.", ertönte es in disziplinarischem Unterton von Kareem. Nachdem Samra ihm zugenickt hatte, versteckte ich mein Gesicht wieder an seiner Brust. Jetzt, da die Gefahr abgewendet war, konnte ich mich etwas beruhigen. Und erst jetzt überkam mich wieder diese Müdigkeit. Ich hatte Schwierigkeiten, wach zu bleiben. So kam es mir vor, als wären wir innerhalb von zwei Sekunden am Auto gewesen.
Auf einmal stand ich auf beiden Beinen. Meine Augen waren geschlossen. Ich war mir nicht sicher, ob ich träumte, oder ob das gerade real war. Etwas weiter weg hörte ich, wie eine Autotür aufging. Dann hatte ich wieder keinen Boden unter den Füßen.

Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt