Part 15 ~ Schwachpunkt

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"Ich komme im Auftrag von jemandem.", sagte der Mann, dessen Arm auf meiner Schulter mich bewegungsunfähig machte.
"Du kannst dir sicher denken, warum ich hier bin.", fügte er grinsend hinzu und betrachtete Vladislav, der sich gerade alle Mühe gab nicht loszubrüllen.
"Ich hab Keine Ahnung, was du von mir willst.", knurrte er angespannt.
"Wallah? Lustig, Namik hat mir erlaubt deinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, wenn du dich dumm stellst.", sagte er mit ruhiger Stimme. Er griff selbstsicher nach der Gabel, die vor mir auf dem Tisch lag und drehte sie elegant mit seinen Fingern.
"Ich bin zwar kein Arzt, aber ich denke mal es ist nicht gerade ungefährlich wenn man so ein Teil im Bein stecken hat.", lächelte er und ließ seine Hand unter dem Tisch verschwinden. Ich sah nach unten auf mein Bein, das von meinem Kleid nur teilweise verdeckt war. Vladislav wollte unbedingt dass ich es anziehe, wenn ich mit ihm essen gehe. Jetzt bereute ich, dass ich mich dazu überreden lassen hatte.
Seine Hand ging zu meinem Knie, und meine Atmung wurde schneller. Ich spürte das kalte, spitze Metall auf meiner Haut und krallte mich ängstlich am Tisch fest, während ich versuchte die Aufmerksamkeit der anderen Gäste nicht nicht auf mich zu lenken. Er fuhr mit der Gabel ganz leicht an meinem Oberschenkel nach oben, bis er ungefähr im letzten Drittel angekommen war. Dort richtete er die Gabel auf, sodass die spitze Enden sich ganz leicht in meine Haut drückten. Ich schluckte und sah hilfesuchend zu Vladislav, dessen Haltung tausendmal angespannter war als meine.
"Ich kann mir vorstellen, dass das heftig wehtut. Aber wir müssen das ja nicht unbedingt ausprobieren. Es liegt bei dir, Capi. Kannst du dir jetzt vielleicht denken, warum ich hier bin? Oder muss ich nochmal nachhelfen?", fragte der Kerl und übte leichten Druck auf die Gabel auf, wodurch ich ungewollt aufstöhnte.
"Ich schwöre bei Gott, wenn sie einen Kratzer hat reiß ich dir den Kopf ab.", drohte der Ukrainer mit tiefer Stimme.
"Ah, dann funktioniert dein Gehirn jetzt wieder? Schön.", sagte er gespielt begeistert und richtete sich ein Stück auf.
"Ich würde dir übrigens raten, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Sonst nehmen meine Jungs und ich den ganzen Laden hier auseinander. Dich und deine Freundin inklusive.", sagte er amüsiert und drückte mich mit seinem Arm auf meiner Schulter  provokativ ein paar mal an sich heran.
"Ich hab euch schonmal gesagt, dass ihr keinen scheiß Cent von mir kriegt. Ich schulde euch nichts, gar nichts. Also hör auf mir auf die Eier zu gehen, nimm deine dreckigen Hände von meiner Freundin weg und verpiss dich, bevor ich dir die Gabel so lange in den Arsch schiebe bis sie oben wieder rauskommt.", knurrte Vladisav leise, aber mit unglaublich viel Aggression in der Stimme. Der Typ neben mir schnaufte auf, und fing dann an leise zu lachen.
"Deine Art zu denken gefällt mir.", kam es von ihm, und endlich nahm er die Gabel von meinem Oberschenkel weg. Ich atmete erleichtet auf, und versuchte mich gerade hinzusetzen - durch den männlichen Arm auf meiner Schulter fiel mir das allerdings nicht so leicht, wie es normalerweise wäre.
"Das ändert nur leider nichts daran, dass du deine Rechnung noch begleichen musst. Und genau deswegen...", sagte er, nahm seinen Arm endlich von mir weg und griff in seine Hosentasche.
"...habe ich vorgesorgt. Ich war nämlich vor ein paar Tagen bei einem netten Pärchen zu Hause, die ich unterwegs kennen gelernt habe. Und zufälligerweise kennen sie die Mutter von dem guten alten Samra, was für ein lustiger Zufall oder?", sprach er und öffnete seine Galerie auf dem iPhone. Als ich realisierte dass das Haus auf den Fotos das meiner Eltern war, blieb mir die Luft zum Atmen weg. Mir lief es eiskalt den Rücken herunter, und ich schaute sprachlos auf die Bilder der Wohnung meiner Eltern, die der Kerl neben mir begeistert vorzeigte.
"Wusstet ihr, dass Samra wie ein Sohn für die beiden ist? Ist schon sehr süß. Umso trauriger, dass das Mädchen was für ihn bestimmt sein sollte an jemand anderes vergeben ist. Warst du schonmal bei den Eltern deiner Freundin, Capi? Ich glaube, die mögen dich nicht so besonders. Also ich persönlich bin auch der Meinung, dass er und sie viel besser zusammenpassen würden. Was denkt ihr so darüber?", fragte er, als würden wir hier ein komplett normales Gespräch unter Freunden führen.
"Was hast du mit meinen Eltern gemacht?", fragte ich den unbekannten, angsteinflößenden Typ neben mir, dessen Augen funkelten während ich ihn ansah. Er hatte sichtbar Spaß daran, mit uns zu spielen.
"Bis jetzt noch nichts. Aber da dein Seelenverwandter der Meinung ist ihm kann man nicht drohen, mussten wir eben was anderes finden womit wir ihn überreden können uns unser bereits zugesichertes Geld zu geben.", antwortete er und lächelte mich dabei charmant an.
"Ich habe euch nie irgendwelches Geld zugesichtert.", fauchte Vladislav, wodurch der Typ wieder zu ihm sah.
"Mach was du willst, Capi. Du hast eine Woche Zeit. Wenn du dann immernoch noch nicht  gezahlt hast, werde ich den beiden höchst persönlich einen Besuch abstatten. Und wenn das dann immernoch nicht deutlich genug war, werden wir uns das holen was dir am meisten bedeutet.", sagte er und legte seine Hand auf meinen Oberschenkel. Ich rutschte erschrocken auf dem Stuhl zurück, als sich die Wärme seiner riesigen Handfläche auf meiner Haut ausbreitete.
"Wir sind immer offen für Spaß, wie du weißt.", fügte er hinzu, legte ein verführerisches Lächeln auf und drückte seine Hand leicht zusammen, während ich die Luft anhielt. Doch zu meinem Glück zog er seine Hand wieder weg und stand dann endlich auf.
"Also, eine Woche. Einhundertachtundsechzig Stunden. Die Zeit läuft, tick tack.", sagte er amüsiert, und verließ dann fröhlich unseren Tisch. Als er endlich weg war zog ich hektisch mein Kleid wieder über meinen Oberschenkel, und versuchte möglichst nicht zu hyperventillieren.
"Alles gut Baby?", fragte Vladislav besorgt, während er immernoch mit seiner Wut kämpfte.
"Ja...nein...keine Ahnung. Ich will gerade einfach hier weg.", gab ich durcheinander von mir. Er nickte stumm, und eine Sekunde später kam der Kellner mit unserem Essen. Er stellte es vor uns ab, wünschte uns einen guten Appetit und war dann auch schon wieder verschwunden.
"Du musst erstmal was essen.", warf Vladislav mir gut gemeint zu.
"Dieser Typ hat gerade meine Eltern bedroht. Wie soll ich jetzt noch irgendwas hiervon runterbekommen?", fragte ich ihn mit bebender Stimme.
"Baby, guck mich an.", sagte er sanft, nahm meine Hand und drückte sie liebevoll. Ich unterdrückte meine Tränen und richtete schniefend den Kopf nach oben. Schmerzerfüllt sah ich in seine leuchtenden, braunen Augen, die auf unerklärliche Weise irgendwie eine beruhigende Wirkung auf mich hatten.
"Wir finden eine Lösung, tamam? Mach dir keinen Kopf, deinen Eltern passiert nichts. Ich lass mir was einfallen. Aber iss jetzt bitte was, ich will nicht dass du umfällst.", sprach er leise. Ich schniefte ein letztes mal, nickte entschlossen und nahm dann die Gabel in die Hand, die eben fast in meinem Bein gesteckt hätte. Zaghaft lud ich die Nudeln auf meine Gabel auf, und steckte sie mir dann in den Mund. Vladislav lächelte mir ermutigend zu, während ich mich zwang das Essen zu zerkauen. Mir war im Moment einfach zum kotzen zumute, wenn ich daran dachte dass meine Eltern in Gefahr waren. Bevor ich es herunterschluckte, sah ich mich im Restaurant um. Weiter hinten erblickte ich den Kellner von eben, der sich mit jemandem unterhielt. Vladislav, der meine Blicke verfolgt hatte drehte sich um und visierte das an, was ich ebenfalls beobachtete. Der Kellner unterhielt sich mit jemandem. Aber es war nicht irgendjemand - sondern der Typ von eben. Während der Kellner mit dem Rücken zu uns stand, konnten wir dem fremden direkt ins Gesicht sehen. Er bemerkte unsere Blicke, holte etwas aus seiner Hosentasche und hielt es in die Luft, damit wir es sahen. Es sah von weitem aus wie ein ein kleines, grünes Fläschchen. Genauer beschreiben konnte ich es allerdings nicht, da sie ziemlich weit weg standen. Dann zwinkerte er in unsere Richtung, und verschwand mit einem Grinsen im Gesicht aus dem Lokal.
"Spuck aus!", kam es plötzlich von Vladislav, der sich blitzschnell zu mir gedreht hatte und nach seiner Serviette griff. Ehe ich fragen konnte was los war, hatte er sich schon zu mir über den Tisch gebeugt und mir die Serviette vor den Mund gepresst.
"Nicht schlucken, ausspucken! Yalla!", fuhr er mich an und klopfte mir auf den Rücken. Ich begann ungewollt zu husten und spuckte das zerkaute Essen in die Serviette, die er mir hinhielt.
"Alles gut, hat sich nur verschluckt.", sagte er zu den anderen Gästen im Restaurant, die uns mit erschrockenen Blicken anstarrten. Ich wollte nach meinem Colaglas greifen, doch Vladislav kam mir zuvor. Ungeschickter Weise schmiss er es um, anstatt es woanders hinzuschieben - die Cola lief somit direkt über meinen Schoß. Ich rutschte mitsamt dem Stuhl zurück, schaffte es mich von dem Hustenanfall zu befreien und sah an mir herunter. Vladislav hingegen starrte mich sprachlos an und wartete auf meine Reaktion.
"Ich...ich geh kurz aufs Klo.", sagte ich völlig überfordert mit der ganzen Situation und rauschte an ihm vorbei.
Mit viel Schwung riss ich die Tür zum Badezimmer auf, stellte mich ans Waschbecken und stütze mich darauf ab. Erst jetzt konnte ich richtig durchatmen und darüber nachdenken, was gerade passiert war. Keine Ahnung was der elende Bastard mir ins Essen gemischt hatte - aber Vladislav hatte mir anscheinend gerade das Leben gerettet. Ich versuchte meine Atmung zu beruhigen, und sah mich im Spiegel an. Mein Kleid war voll mit Cola, und an meinen Mundwinkeln hing noch Soße von den Nudeln. Ich drehte den Wasserhahn auf, wusch meine Hände, und befeuchtete dann mein Gesicht mit kaltem Wasser, um wieder etwas klar denken zu können. Wieder stützte ich meine Hände am Waschbecken ab, schloss die Augen, und konzentrierte mich darauf mich zu beruhigen.
"Alles gut?", hörte ich plötzlich jemanden direkt hinter mir. Ich erschrak, und mein ganzer Körper zuckte zusammen als ich seine Hand auf meiner Schulter fühlte.
"Hey Baby, alles gut. Ich bins nur.", sagte Vladislav leise und strich mir sanft über den Rücken.
"Ich habe dich nicht reinkommen hören. Ich hätte doch gehört, wenn die Tür aufgegangen wäre. Wie hast du das gemacht?", fragte ich noch verwirrter als eben, während ich ihn im Spiegel ansah.
"Ich bin ganz normal durch die Tür rein. Baby, guck her.", sagte er und drehte mich zu sich um. Er nahm mein Gesicht in seine Hände, und sah mir direkt in die Augen.
"Das ist viel für dich gerade, ich versteh das. Aber du musst dir keine Sorgen machen, solange ich bei dir bin. Ich werde nicht zulassen, dass dir oder deinen Eltern irgendwas passiert. Ich schwöre, ich meine es ernst.", sagte er besänftigend.
"Und wie? Du hast es doch selbst gehört. Er will das Geld."
"Der Hurensohn und sein Lutscher-Clan kriegen keinen einzigen Cent von mir. Ich lasse die nicht gewinnen."
"Aber meine Eltern..."
"Denen wird nichts passieren. Guck, selbst wenn ich denen die Kohle gebe - die werden nicht aufhören. Die wollen mich ficken, aber das schaffen sie nicht. Deswegen ziehen sie dich mit rein. Samra hatte Recht, du bist mein Schwachpunkt Baby. Aber das heißt nicht, dass sie deswegen Eier spielen können. Niemand spielt mit mir und gewinnt. Das hat es noch nie gegeben, und wird es auch nie geben tamam? Wenns sein muss fick ich den ganzen Clan alleine."
"Das wäre Selbstmord.", flüsterte ich leise.
"Nicht, wenn ich gewinne.", wiedersprach er und drückte mir einen langen, liebevollen Kuss auf die Stirn.
"Lass uns abhauen.", sagte er, nahm meine Hand und verließ dann mir die Damentoilette.
Wir gingen wieder nach draußen, und ich nahm mit geschlossenen Augen die Frische Luft in meine Lungen auf. Es tat gut, als der Wind gegen meinen Körper prallte und mir bewies, dass ich noch am Leben war. Dadurch fühlte ich mich nicht mehr so eingeengt, wie eben als wir noch im Restaurant waren.
"Gehts?", fragte Vladislav, der immernoch meine Hand hielt. Ich nickte, und öffnete dann wieder meine Augen.
"Komm, Prinzessa." sagte er ernst, aber dennoch sanft.
Gemeinsam liefen wir in Richtung Parkplatz, während ich mir in meinem Kopf schon die schlimmsten Szenarien ausmalte, was meinen Eltern alles passieren könnte. Völlig versunken in meine Gedanken bemerkte ich gar nicht, wie Vladislav plötzlich stehen blieb. Erst als ich seinen Blick sah bemerkte ich, dass etwas nicht stimmte. Wortlos zog er mich an sich, und verschwand unauffällig mit mir in eine kleine Gasse. Dort drückte er mich gegen die Wand, presste mir seine Hand auf den Mund und symbolisierte mir mit seinem Finger auf den Lippen, dass ich ruhig sein sollte. Zuerst verstand ich nicht, was los war. Doch dann hörte ich eine bekannte Stimme, die immer näher auf uns zu kam.

Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt