Part 77 ~ Wut & Verzweiflung

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Trotz meiner durch die Angst ausgelöste Starre, zitterte mein Körper wie verrückt. Diese Sekunden, in denen nichts passierte, waren am schlimmsten. Durch das grelle Fernlicht des Wagens konnte ich absolut nichts sehen. Alles was ich bis jetzt mitbekam war, wie jemand die Autotür geöffnet hatte. Danach war alles ruhig.
Als ich schon das Gefühl hatte vor Angst in Ohnmacht zu fallen, berührte mich plötzlich jemand am Arm, und ich kreischte wie angestochen auf. In diesem Moment hatte ich schreckliche Todesangst. Instinktiv wechselte mein Körper in den Verteidigungsmodus, und meine Arme wollten ziellos drauf losschlagen. Egal wohin, egal ob ich wen verletzen würde. Einfach versuchen, die Person außer Gefecht zu setzen, damit ich mich aus dieser Situation retten konnte. Bevor ich allerdings irgendwelche Anstalten machen konnte um mich zu schlagen, presste sich eine Hand auf meinen Mund. Reflexartig umgriff ich mit beiden Händen den Unterarm der Person, die mich mit dem Rücken gegen den Zaun drückte. Doch so sehr ich auch zerrte, ich bewirkte rein gar nichts damit.
„Sht, beruhig dich!", wurde ich angezischt. Da die Person mich vor dem blendenden Licht schützte, konnte ich nun endlich die Augen aufmachen. Zuerst viel mir ein Stein vom Herzen. Doch gleich darauf brodelte kochende Wut in mir hoch. Sie vermischte sich mit Angst, und ich versuchte wieder, meinen Mund freizubekommen.
„Ich lass los. Aber nicht schreien!" Wir sahen uns direkt in die Augen. Er wartete, bis ich aufhörte an ihm zu zerren, und hielt dann für einige Sekunden inne. Mit einem kurzen Nicken wiederholte er seine Bedingung wortlos. Als ich endgültig aufhörte mich zu wehren, nahm er seine Hand langsam herunter.
„Siehst du, alles gut.", sprach er leise. Als ich endlich frei war, kam die Wut wieder in mir hoch. Ich nahm meine Hände nach vorne, und schubste ihn dann endlich von mir weg.
„Hast du sie noch alle? Was fällt dir ein, so einen Scheiß zu machen?!", brüllte ich ihn an.
„Bitte, nicht rumschreien, Baby.", bat er mit erhobenen Händen. Der Ärger in mir war so groß, dass sich ungewollt Tränen in meinen Augen bildeten. All die Panik die ich bis eben noch verspürt hatte, wandelte sich in aufbrausenden Zorn um.
„Du kannst mich mal, Vladislav! Was zum Teufel läuft bei dir falsch?", bombardierte ich ihn wieder.
„Ich wollte dich nicht erschrecken. Wirklich nicht."
„Du wolltest das nicht?", fragte ich wutschnaubend. Diese dumme Entschuldigung ließ mich nur noch mehr hochfahren. „Du verfolgst mich, jagst mich keine Ahnung wie lange durch die Straßen, und engst mich dann hier ein? Ohne mal vorher einen Ton zu sagen, wartest du, bis ich in der Falle sitze? Anstatt dein blödes Fenster runterzulassen und zu rufen, so wie es normale Menschen machen? Was hat das deiner Ansicht nach nicht mit erschrecken zu tun?! Erschrecken klingt ja noch harmlos. Du hast mir eine scheiß Angst eingejagt, mit dieser unnötigen Aktion!"
„Josy.", sprach er mit besänftigender Stimme. Er kam ein Stückchen in meine Richtung und wollte nach meiner Hand greifen, doch ich riss sie vor ihm weg.
„Hast du nichts Besseres zu tun, als mir die ganze Zeit hinterherzufahren? Anstatt mich einfach in Ruhe zu lassen, so wie ich es dir gesagt hatte, verfolgst du mich lieber, bis ich irgendwo am Arsch der Welt bin, und jagst mir dann so einen scheiß Schrecken ein? Findest du das lustig, oder was?"
„Nein."
Ich schüttelte mit dem Kopf. In dem Moment war ich so wütend, dass ich gar nicht mehr wusste, was ich noch darüber denken sollte.
„Ich wollte nur sichergehen, dass dir nichts passiert."
„Ich kann selbst auf mich aufpassen. Du musst nicht 24/7 bei mir sein!"
„Ja, hat man gesehen, wie gut du dich selbst beschützen kannst.", zog er mich daraufhin auf. Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Wie Dreist war das bitte?
„Ey, vergiss mal nicht, dass du derjenige warst, der mich ausgeliefert hat! Du warst der, der mein Vertrauen auf ekelhafteste Art und Weise missbraucht hat, um mich an diesen...diesen widerlichen Bastard zu verkaufen! Du brauchst jetzt nicht so zu tun, als würde dir irgendwas an meiner Sicherheit liegen! Die letzten Wochen hat es dich Null interessiert, wie es mir geht! Dir ging es nur darum, mich so zu manipulieren, dass ich dir glaube. So dumm wie ich bin, hat das natürlich super funktioniert!" An dieser Stelle musste ich eine Pause einlegen, da die Tränen meine Stimme erstickten. Ich drehte ihm den Rücken zu, und kniff die Augen zusammen. Mir fehlte die Kraft, um ihn weiter anschreien zu können.
„Hey.", sagte er auf einmal hinter mir. Ungewollte zuckte mein Körper zusammen, als er plötzlich seine Hände an meine Oberarme legte.
„Baby, bitte. Lass uns in Ruhe darüber reden. Nicht hier."
„Nein.", blockte ich ihn ab.
„Hau einfach ab. Fahr wieder nach Hause, oder zu Khalil, oder sonst wohin. Aber lass mich einfach in Ruhe." Schniefend nahm ich meine Tasche, und begann dann loszulaufen.
„Wohin jetzt?", rief er mir hinterher.
„Zu meinen Eltern. Hauptsache weg von dir." So eine dumme Frage.
„Die sind nicht da, Josy." Im ersten Moment ignorierte ich ihn. Doch dann kam in meinem Kopf dieser eine, dumme Gedanke auf.
„Woher willst du das Wissen?", fragte ich ihn, nachdem ich mich wieder zu ihm umgedreht hatte.
„Weil kein Auto draußen steht."
„Garage?!"
„Im Haus war kein Licht."
„Vielleicht schlafen sie schon?!"
„Es ist 19 Uhr oder so. Da pennen die safe noch nicht."
„Woher willst du das wissen? So gut kennst du meine Eltern nicht."
„Man, Baby. Ich schwöre dir, die sind nicht da. Ich hab das abgecheckt, da ist keiner."
„Ist mir egal.", winkte ich ab. „Dann warte ich eben, bis sie wiederkommen."
„Wer weiß, wann das wird. Die wissen doch nicht, dass du vor der Tür wartest."
„Ich hab ihnen geschrieben. Meine Mom wird schon anrufen, wenn sie die Nachricht sieht." Ich entsperrte mein iPhone. Leider hatte sie die Nachricht immer noch nicht gelesen. Noch ein weiteres Mal versuchte ich sie anzurufen. Es klingelte gefühlt ewig, doch es ging keiner ran. Aber da war etwas, was mir komisch vorkam. Vladislavs Handy klingelte. Und das Klingeln stoppte genau dann, als ich auflegte. Er holte es aus der Tasche, und tippte irgendetwas daran herum. Als ich dann wieder versuchte anzurufen, ging direkt die Mailbox ran. Der dumme Gedanke von eben schoss mir wieder durch den Kopf. Ohne etwas zu sagen, marschierte ich zu ihm. Dann drückte ich seine Hand nach unten, damit ich das Handydisplay sehen konnte. Man konnte nur den Sperrbildschirm sehen. Doch das hinderte mich nicht daran das zu nachzugucken, was ich mir bereits dachte.
„Geh aus dem Flugmodus raus.", forderte ich ihn auf.
„Warum?", fragte er mit gespielter Unwissenheit. Ohne nachzudenken, riss ich ihm sein Handy aus der Hand. Er hatte ebenfalls iPhone, wodurch ich das Handy auch im gesperrten Zustand aus dem Flugmodus holen konnte. Nachdem ich den Klingelton auf laut eingestellt hatte, rief ich meine Mutter nochmal an. Und dann bestätigte sich mein Verdacht. Fassungslos starrte ich ihn an.
„Denkst du, ich lass dich einfach so abhauen?", schoss er direkt los.
„Wie krank bist du eigentlich?!", platzte es aus mir heraus.
„Man, Baby, bitte." Mit ausgestreckter Hand wollte er sein Handy wieder haben. Grob drückte ich es ihm gegen seine Brust, und drehte mich dann um. Ich wollte ihn stehen lassen und gehen, weil ich seine Anwesenheit nicht mehr länger aushielt. Dieser Mann raubte mir noch den letzten Nerv.
„Ich lass nicht zu, dass du weggehst.", rief er mir traurig hinterher. Das ignorierte ich einfach. Sollte er doch machen was er wollte...ohne mich.
„Josy.", stellte er sich mir plötzlich in den Weg. Erschrocken wich ich einen Schritt zurück.
„Wie hast du das gemacht?", fragte ich ihn verwirrt.
„Was?"
„Du standest eben noch fünf Meter weiter da hinten, und jetzt tauchst du plötzlich vor mir auf?"
„Ich kann halt schnell laufen, was soll ich sagen?", antwortete er schulterzuckend. Ich hätte seine Schritte doch gehört, wenn er mir hinterhergelaufen wäre. Manchmal zweifelte ich tatsächlich an meinem Verstand. Als ich daraufhin an ihm vorbeigehen wollte, griff er nach meinem Arm.
„Komm.", nuschelte er im Anschluss. Seine Nähe machte mich nervös. Er stand nur wenige Zentimeter neben mir, während er auf mich herabschaute.
„Ich gehe nicht mit dir mit.", gab ich garstig zurück.
„Du hast leider keine andere Wahl."
Nun sah ich ihm in die Augen. Hatte er das gerade tatsächlich gesagt?
„Drohst du mir jetzt schon?" In meinem Bauch breitete sich wieder Wut aus. Ich spürte, wie meine Hände zu zittern begannen. Wie eine geringe Menge Adrenalin durch meinen Körper schoss, und mein Kopf sich daraufhin direkt auf stur schaltete. „Und ob ich eine Wahl habe. Mach was du willst, aber ich komme definitiv nicht mit dir mit." Ruckartig versuchte ich meinen Arm loszureißen, aber Vladislav ließ es nicht zu. Meine Wut verwandelte sich langsam, aber sicher wieder in Angst. Dort waren nur er und ich. Im Dunkeln, irgendwo im Nirgendwo. Wenn die Situation völlig eskaliert wäre, hätte mir gewiss niemand helfen können.
„Ich drohe dir nicht, Baby. Aber ich frage dich auch nicht um Erlaubnis.", sagte er ruhig. In meinem Bauch breitete sich ein Kribbeln aus, und ich musste schlucken. Mit jeder Sekunde wurde mir immer mehr bewusst, wie ausweglos diese ganze Geschichte war. Vladislav würde seinen Willen durchsetzen. Das tat er immer. Wenn man diese Diskussion also realistisch betrachtete, hatte ich schon verloren. Trotzdem reizte es mich, dieses Spiel weiterzuspielen. Auch wenn ich eh den Kürzeren ziehen würde, wollte ich es versuchen.
„Das was du vorhast ist eine Entführung. Das ist strafbar."
„Egal, wie du es nennst. Ich lass dich nicht alleine im Dunkeln irgendwo rumlaufen. Und bestimmt lass ich dich nicht zu deinen Eltern. Wenn da was passiert, ziehen wir sie mit rein. Das kann ich nicht verantworten. Und du willst das safe auch nicht." Die einzige Gefahr ging doch aktuell von ihm aus. Dann wollte er mich und meine Eltern vor sich selbst >schützen<, indem er mich kidnappte? Diese ganze Show glaubte ich ihm nicht. Ich war mir sicher, dass er andere Absichten hatte.
„Ich bin nicht der Böse, Josy. Nicht mehr.", sagte er, während er immer noch meinen Arm festhielt.
„Jetzt komm. Lass uns hier abhauen." Er nahm mir meine Reisetasche ab, und warf sie über seine Schulter. Statt mich am Arm mitzuziehen, griff er nach meiner Hand. Und obwohl sich alles in mir dagegen sträubte, lief ich mit ihm zu seinem Auto. Naja, eigentlich blieb mir auch nichts anderes übrig.  Vladislav war zweifellos der stärkere von uns beiden. Und er wusste ganz genau, wie er mich gegen meinen Willen in sein Auto bekommen könnte. Ob er tatsächlich so weit ging, war die andere Frage. Aber ich traute dem Kerl einfach alles zu, nachdem was in den letzten Tagen passiert war. Nachdem, was ich alles gesehen und mitgemacht hatte.
Er warf die Tasche auf den Rücksitz, und hielt mir dann die Tür auf. Zögernd stand ich davor, und sah auf den Beifahrersitz. Verdammt, ich wollte da nicht einsteigen. Alles was ich wollte, war Abstand von ihm zu gewinnen. Nun war leider wieder genau das Gegenteil der Fall. Warum musste er es mir so verdammt schwer machen? Was hatte er davon? Rache, weil sein Deal mit Khalil nach hinten losgegangen war? Wollte er mich deshalb eigenhändig aus dem Weg räumen, wenn Khalil es schon nicht geschafft hatte? Oder würde sich jetzt alles wiederholen, nur dass er dieses Mal mit jemand anderem irgendwelche Geschäfte abgeschlossen hatte? Würde ich diese Nacht überhaupt überleben?
„Du brauchst vor mir keine Angst haben. Ich schwöre auf alles, ich mach nix." sprach Vladislav neben mir. Durch meinen Kopf flogen so viele Dinge, die ich darauf erwidern wollte. Doch ich bekam keinen ordentlichen Satz zusammen, und blieb daher einfach stumm.



Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt