Part 107 ~ Katz & Maus

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Völlig außer Atem erreichte ich die hintere Tür zum Hof und rüttelte am Griff. Vergeblich. Vladislav hatte alle Türen verriegelt.
„Wieso siehst du nicht, dass das hier nicht real ist?", rief ich verzweifelt, als Samra mich aufgespürt hatte. Er antwortete nicht, sondern kam einfach nur stinksauer auf mich zugedonnert.
Hastig zischte ich an ihm vorbei. Wie sollte ich lebend aus der Hölle hier herauskommen? Wenn Samra wirklich dachte ich sei Cataleya, und er so eine Wut auf sie hatte...wer weiß, was wozu er in der Lage wäre. Was hatten sie ihm gegeben, dass er so verstrahlt war? LSD?
„Scheiße, nein!", quietschte ich, als ich mich umdrehte und sah, wie schnell er aufholte. Wie ein aufgestacheltes, blutrünstiges Tier kam er mir hinterher. Er jagte mich einmal durchs komplette Haus und wieder zurück. Weiter im Erdgeschoss vor ihm davonzulaufen, brachte nichts. Also entweder stellte ich mich ihm, oder ich versuchte es in meinem Zimmer in er oberen Etage. Wenn der Joker blöd genug war, hatte er den Schlüssel zu meiner Tür vergessen abzuziehen.
„Samra, bitte! Ich bin nicht Cataleya!", versuchte ich es ein letztes Mal. Aber der schnaufende Libanese ließ sich durch nichts bremsen. Es war, als würde er mir nicht einmal zuhören. Als wäre er völlig im Tunnel gefangen.
Ich sprintete also zur Treppe.
Kennt ihr das, wenn man früher als Kind die Treppen hochgerannt ist? Und man dachte, ein Monster wäre direkt hinter einem? Genau so bin ich die Stufen hochgerannt. Als ginge es um mein Leben. Naja, ging es ja am Ende auch.  Ein wahrgewordener Albtraum.
In meinem Zimmer angekommen, knallte ich die Tür zu. Und was musste ich feststellen? Ganz genau.
Der Joker war alles andere als dämlich. Natürlich hatte er den Schlüssel einkassiert. Alles andere wäre ja auch zu einfach gewesen.
Der Schlüssel zum Bad war logischerweise auch nicht da. Wie ich ihn in diesem Moment verfluchte.
Um weiter nach einem Ausweg zu suchen hätte ich mehr Zeit gebraucht, die ich nicht hatte. Denn der tollwütige Libanese stand bereits in meinem Zimmer. Noch immer schnaufend, mit geballten Fäusten starrte er mich an. Er machte den Anschein, als würde er sich jeden Moment auf mich stürzen.
„Samra, bitte. Das hier ist nicht echt, okay? Ich bin nicht Cataleya! Ich bin Josy!"
Er kam näher, und ich wich zurück. Bis ich nicht mehr weiterkam, und selbst dann kam er noch näher.
„Wach auf, Samra! Guck mir in die Augen, ich bin..."
Weiter kam ich nicht, denn er packte zu. Seine riesige Hand fand sich an meinem Hals wieder, und mein Kopf kollidierte mit der Wand hinter mir. Wie viele Gehirnerschütterungen sollte ich denn noch bekommen?
Er schnaufte so stark, dass seine ausgestoßene Luft an meinem Gesicht abprallte. Ja, so nah war er mir. Seine Stirn berührte beinahe meine. Da hätte nur noch ein Blatt Papier dazwischen gepasst, wenn überhaupt.
„Du dreckige Kah.", knurrte er, völlig außer sich. „Was fällt dir einen deinen scheiß Tod vorzutäuschen, und dann bei Khalil zu lutschen?!", fuhr er mich an. Ich wollte reden, aber er drückte zu fester zu.
Verdammt, der bringt mich um!
„Sam!", krächzte ich. Mir ging die Luft aus. Panisch fuchtelte ich mit den Armen herum, und schlug ihm gegen die Brust. „Keine...Luft...", war das letzte, was ich noch herausbekam.
Dann, kurz vor der Ohnmacht, ließ er mich endlich los.
„Wallah das war ein Fehler. Du warst tod für mich, für uns alle!"
Dieses Gefühl im Hals war ekelhaft. Der erste tiefe Atemzug bereitete mir Schmerzen, und der darauffolgende Husten gab mir den Rest.
Samra griff in seine Bauchtasche. Oh nein, bitte nicht, dachte ich mir.
Aber es war zu erwarten. Natürlich holte er sein Klappmesser hervor. Das Teil hatte ich schon so oft an der Kehle, dass mittlerweile mehr zu mir passte als zu ihm.
„Lass es mich erklären.", sagte ich, so ruhig ich konnte. Wenn es nichts brachte ihn mit der Realität zu konfrontieren, musst ich vielleicht einfach mitspielen.
„Rede.", knurrte er, während er sein Messer wie schon so oft an meinen Hals hielt.
Was sag ich jetzt? Soweit hatte ich nicht gedacht.
„Ich musste untertauchen, okay? Ich hatte keine andere Wahl, glaub mir!"
„Man hat immer eine scheiß Wahl! Warum also? Rede, oder du wünschst dir du wärst wirklich damals gestorben!"
„Ich...ich musste das machen, um dich zu beschützen!"
Boah, ich kam mir so dumm vor. Ihm da irgendetwas zu erzählen, was nicht mal ansatzweise stimmte. Aber es war der einzige Ausweg, den ich sah. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, funktionierte es.
„Wegen den Drogen?", fragte er.
„Ja! Wegen den Drogen."
„Dann hast du deinen Tod vorgetäuscht, weil Nizar mich sonst getötet hätte?"
„Ja!"
Endlich nahm er das Messer herunter. Einmal Schlucken half nicht, um diesen riesigen Kloß im Hals herunterzubekommen. Mein Mund fühlte sich an wie eine Wüste, da ich die Ganze Zeit am Hecheln war.
„Tamam, aber eine Sache check ich nicht."
„Welche?" , fragte ich, schwer atmend."
„Wer zu fick ist Nizar?"
Oh, scheiße.
Ehe er sein Messer wieder auf mich richten konnte, zischte ich an ihm vorbei. Mein Plan war es, wieder nach unten zu rennen, doch dieses Mal war er schneller. Denn als ich die Tür aufziehen wollte, hatte er schon seine Hand auf ihr platziert und drückte dagegen.
„Ich will die Wahrheit. Sag mir, warum du mich verarscht hast." Je ruhiger er sprach, desto bedrohlicher wirkte seine Stimme.
Mir gingen die Ideen aus. Was sollte ich denn noch machen? Es war zum Verzweifeln.
„Dreh dich um, yallah. Ich will dass du mir in die Augen guckst, wenn du mit mir redest."
„Samra, bitte...", flehte ich ihn hinter mir an.
„Umdrehen, yallah!", brüllte er gegen meinen Hinterkopf, und schlug dabei mit der Faust gegen die Tür. Langsam drehte ich mich also zu ihm um. Wie sollte ich ihn aus diesem Film herausbekommen?
„Ich bin nicht Cataleya.", flüsterte ich, dem Nervenzusammenbruch nah.
„Wer bist du dann, hm?", brummte er.
„Josy. Ich bin Josy. Du musst dich doch erinnern. Bitte, Sam. Irgendwo in deinem Kopf weißt du, dass das was du siehst nicht real ist."
„Josy.", wiederholte er. In seinem Kopf ratterte es. Seine Augen drückte Unsicherheit aus.
„Ja! Du kennst mich, du weißt dass ich nicht Cataleya bin."
Er betrachtete mich einmal von oben bis unten. Dann verschwand der Zorn aus seinem Gesicht. Was sich nun in seinen Augen widerspiegelte, war mir nicht ganz klar. Es schien, als wäre er nicht mehr der Meinung, ich sei Cataleya. Aber es sah auch nicht so aus, als wüsste er was hier gerade passierte.
„Wie du willst.", sagte er urplötzlich und völlig aus dem Kontext gerissen.
„Was meinst..." er unterbrach meine Frage, indem er mir einfach so seine Lippen aufdrückte. Welcher Film war das nun wieder?
„Hör auf!" Ich stieß ihn von mir weg, so gut ich konnte. Das war jedoch alles andere als einfach, und so holte er den Abstand schnell wieder auf.
„Ich hab so lange auf diesen Moment gewartet, wallah.", sagte er. Dann steckte er sein Messer zurück in seine Bauchtasche. Diesen Augenblick der Unachtsamkeit nutzte ich, um ihm wieder zu entweichen.
„Hier?", fragte er, und legte seine Bauchtasche ab.
„Was, hier? Wovon redest du jetzt wieder?" Ich verstand nur Bahnhof.
„Dann leg dich hin."
Was?!
„Samra, in welchem Film bist du?"
„Man Zoey, halt endlich die Klappe und leg dich auf das drecks Bett! Oder bist du nur hier, um über meine Scheiß Gefühle zu quatschen?!"
Zoey? Will der mich verarschen? Bei Cataleya hab ich's ja noch einsehen können, aber Zoey? Ich sehe nicht ansatzweise aus wie sie! Wir haben nicht einmal dieselbe Haarfarbe! Wie viel LSD haben sie in ihn reingepumpt, dass er so stark halluziniert?
„Los jetzt, Mädchen, yallah. Komm in die Gänge."
„Nein! Samra, nein!", quietschte ich panisch, als er mich an den Schultern packte und rückwärts zum Bett schob.
„Hinlegen, yallah!", befahl er gereizt, während er seinen Gürtel öffnete.
„Warte!" Ich legte meine Hände auf seine, um ihn zu stoppen.
„Wallah Zoey wenn wir nicht gleich loslegen, dann..."
„Ich muss dir erst noch was sagen. Bitte.", hauchte ich, und legte meine Hand behutsam an seine Wange.
„Was? Was musst du mir sagen?", wollte er wissen.
Ich stellte mich auf Zehenspitzen, um einigermaßen auf Augenhöhe mit ihm zu sein.
„Es tut mir leid, Samra. Bitte, das musst du mir glauben."
Er verstand die Welt nicht mehr. Aber das würde er gleich. Denn ich sah keinen anderen Ausweg, als gegen sein verletztes Bein zu treten um ihn außer Gefecht zu setzen.
Schreiend vor Schmerz knickte er ein und sackte zu Boden.
„Du scheiß Kahba, wallah dafür wirst du bluten!", brüllte er, völlig ungehalten. Ich nutzte meine Chance, und sprintete zum Fenster. Wie eine Irre riss ich es auf, und kletterte hinaus, solange Samra noch am Boden war.
„Du bist tot, wallah!", schrie er mir hinterher, während ich nach unten kletterte.
In dem Moment als ich mich umdrehen und losrennen wollte, stand plötzlich Vladislav vor mir. Ich zog scharf die Luft ein, als sich unsere Klamotten berührten.
„Geil, du bist meinem Escape Room entkommen.", freute er sich.
„Ist das alles immer nur ein Spiel für dich?!", schrie ich ihn an.
„Zoey!", hörte ich den Libanese von oben brüllen. Ich musste da weg, ganz schnell.
„Ey, wo willst du denn hin?", stellte sich Vladislav mir in den Weg.
„Er wird mich umbringen!", quietschte ich panisch.
„Ach, der doch nicht. Samra hat noch nie jemanden gekillt, dazu ist der nicht in der Lage."
„Aber du schon?", hechelte ich.
Als Antwort bekam ich nur wieder sein gestörtes Grinsen.
„Okay, ich geb dir einen Bonus. Dreißig Sekunden Vorsprung. Entweder fängt Samra dich wieder ein, oder ich bin schneller.", lächelte er. Geschockt sah ich ihn an. Das konnte er doch nicht ernst meinen.
„Worauf wartest du, Mädchen? Renn!", schrie er mich ungehalten an. Ohne lange zu zögern, sprintete ich los.
Weit kam ich natürlich nicht. Meine Beine funktionierten zwar, aber mein Kreislauf schwächelte. Was mich nicht wunderte, immerhin hatte ich meine Gehirnerschütterung bisher nicht richtig auskuriert, und dann wurde mein Kopf wieder wie ein Ball gegen die Wand geballert.
Völlig aus der Puste stand ich also, die Hände auf den Knien stützend da und versuchte, irgendwie mein Gleichgewicht zu halten.
„Was denn los, Prinzessa? Schwächeanfall?", spottete Vladislav.
„Kann nicht. Mein Kopf. Alles dreht sich.", stammelte ich. Mein Mund war so unangenehm trocken, dass mir das Sprechen schwer fiel.
Plötzlich stand er neben mir, und stütze mich ab. Ich wollte meinen Arm wegziehen, aber ich konnte nicht. Das Risiko dabei das Gleichgewicht zu verlieren war zu hoch.
„Bitte, Vlad. Ich kann nicht mehr."
Mir war, als hätte man mir irgendetwas ins Trinken gemischt. Alles drehte sich, und ich konnte kaum die Augen offenhalten, ohne dass mir schlecht wurde. Meine Beine wurden wie Pudding und fühlte sich gleichzeitig an wie einbetoniert. Ich setzte mich auf den Boden, weil ich kaum noch stehen konnte.
„Was hast du mit mir gemacht?", fragte ich, der Verzweiflung nah.
„Ich?", gab er empört von sich. „Ich schwöre, dieses Mal war ich's nicht."
Vladislav stellte sich vor mich, und zog mich mit Leichtigkeit wieder auf die Beine.
„Okay, genug jetzt. Ey, sieh mich an.", befahl er, und griff nach meinem Kinn. Ich zwang mich, die Augen zu öffnen, und ihn direkt anzusehen.
„Ich brauch dich bei klarem Verstand, also streng dich ein bisschen an, tamam?"
„Wofür?". Flüsterte ich kraftlos. Der Joker lachte auf. So laut, dass mich eine Gänsehaut überkam.
„Willst du mich veraschen?", zischte er daraufhin wütend. Dann zog er mein Gesicht so nah an seins heran, dass sich unsere Lippen beinahe berührten.
„Um meine verfickte Waffe zu finden." Dann ließ er mein Kinn wieder los, und begann, mich zu stützen, sodass ich laufen konnte. Jedoch fehlte mir die Kraft, um einen Fuß vor den anderen zu setzen.
„Du machst es mir echt nicht leicht, Baby.", seufzte er. Ohne Vorwarnung hob er mich hoch, und begann mit mir in seinen Armen zu laufen. Mein Kopf fühlte sich so schwer an. Immer wieder fiel er nach hinten, ich konnte ihn nicht oben halten. Irgendwann lehnte ich ihn dann an seiner Brust ab. Ich hatte weder die Kraft verbal zu protestieren, noch mich irgendwie sonst gegen ihn zu wehren. Mein Körper war wie ausgenockt. Als Samra meinen Kopf gegen die Wand brettern ließ, hatte er mir wahrscheinlich den Rest gegeben. Samra. Nein, ich wollte nicht von ihm weg. Wer wusste schon, wo Vladislav mich hinbringen würde. Ich war müde, mir war schwindelig, und mein Kopf tat höllisch weh.
„Lass mich runter.", nuschelte ich gegen sein Shirt.
„Du kannst kaum stehen. Einen Scheiß werd ich tun."
„Samra. Bring mich zurück zu ihm.", verlangte ich. Mir war alles Recht, ich wollte nur nicht, dass er mich mitnimmt.
„Eben bist du noch gerannt, weil er dich umbringen wollte, und jetzt willst du zu ihm zurück?! Hast du was gegen den Kopf bekommen, Baby?". Fragte er und lachte dabei empört auf.
Ich war schwach. Jede Bewegung erforderte Kraft, die ich nicht hatte. Außer mich an seinem Shirt festzuklammern konnte ich nichts tun.
„Bring mich in ein Krankenhaus. Bitte.", nuschelte ich, als der Ukrainer mich auf dem Beifahrersitz seines Autos platzierte.
„Nix da. Erst sagst du mir, wo meine Waffe ist.", antwortete er, während er mich anschnallte.
„Ich weiß es nicht. Ich kann nicht klar denken. Mein Kopf tut weh."
Er ließ sich neben mir in den Sitz fallen, und startete den Motor.
„Dann solltest du dir lieber Mühe geben, mein Schatz. Wenn ich meine Waffe nicht in der nächsten Stunde zurückbekomme, drehe ich richtig durch, versprochen."
Ich schluckte schwer. Mein Kopf war nicht mehr in der Lage, richtig zu denken. Nicht nur das. Alles war durcheinandergekommen. Ich schaute Vlad an und schien zu vergessen, wer da mit mir im Auto saß. Es fühlte sich so echt an. Wie früher.

Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt