Part 53 ~ Teardrops

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„Komm.", hörte ich Samras kratzige Stimme neben mir. Nachdem ich rausgeschickt wurde, hatte ich vor der Tür gewartet. Besser gesagt daneben. Ich hockte auf dem kalten Boden, das Gesicht vergraben zwischen meinen Knien, und die Arme um meine Beine geschlungen.
Ich hatte so sehr geweint, dass ich mir nun wie ausgetrocknet vorkam. Zusätzlich kamen dann irgendwann noch diese penetranten Kopfschmerzen hinzu, die mich daran hinderten aufzustehen.
„Du kannst nicht hierbleiben, Josy.", sagte der Libanese.
„Ich weiß.", schniefte ich, und erhob mich vorsichtig.
„Was das?!", fragte Samra, der mit seiner Hand plötzlich mein Shirt ein kleines Stück nach unten zog. Er hatte das Blut gesehen, welches von der Wunde an meinem Hals nach unten gelaufen war. Die ganze Zeit hatte ich das völlig ausgeblendet. Jetzt, wo ich meinen Kopf bewegte, spürte ich auch wieder den Schmerz.
„Lass.", wies ich ihn ab, und zog mein Shirt wieder hoch. Mit einem unangenehmen Gefühl zog ich die Jacke über meinen Ausschnitt, und lief dann Richtung Auto.
„Was habt ihr gemacht da drin?", fragte Samra, der mir direkt hinter gelaufen kam. 
„Nichts.", murmelte ich traurig. Ich war alles andere als in der Stimmung, jetzt darüber zu reden.
„Ich will wissen.", drängte er sich auf, und stellte sich mir in den Weg.
„Bitte, lass einfach.", wiederholte ich mich, und zog an ihm vorbei. Doch plötzlich griff er nach meinem Oberarm, und hinderte mich am Weitergehen. Ehe ich protestieren konnte, hatte er mich mit einem Ruck zu sich gedreht und an seine Brust gezogen. Eigentlich wollte ich ihn wegdrücken. Doch als ich meine Hände an seinen Brustkorb legte, gingen die Nerven mit mir durch. Keine Ahnung, warum das gerade passierte. Irgendwie gab er mir in diesem Moment so ein Gefühl...ein Gefühl, dass es okay ist. Er musste nicht einmal etwas sagen – er vermittelte mir einfach nur mit seiner Wärme, dass ich locker lassen konnte. Es war merkwürdig, doch es tat mir gut. Es half mir dabei, noch einmal alles raus zu lassen. Und so stand ich einfach da, mit dem Gesicht an seinen Pullover gedrückt, und weinte mir zum zweiten Mal an diesem Abend die Seele aus dem Körper. Ich merkte, wie er seine Arme um mich schlang, und sein Kinn auf meinem Kopf ablegte.
„Lass nach Hause.", brummte er leise.

[...]

„Ich geh duschen.", warf ich müde in Samras Richtung, als wir unsere Küche betraten. Er nickte, und ging dann auf den Terrasse, um eine zu rauchen. Kraftlos und erschöpft vom vielen weinen suchte ich mir meinen Schlafanzug heraus, und machte ich dann auf den Weg ins Badezimmer. Als ich in den Spiegel sah, wurde mir schlecht. Meine Wimpertusche war verschmiert, als wäre ich ein Panda. Meine Augen waren so gerötet, dass man denken konnte, ich hätte die letzten zwei Stunden gekifft. Und die Augenringe in meinem Gesicht ließen mich wie tot aussehen. Genau so fühlte ich mich auch. Ich hob meinen Kopf nach oben, und stöhnte leicht auf vor Schmerz. Diese verdammte Wunde. Dieses dämliche, kleine Drecksmesser. Warum jedes mal wieder an derselben Stelle? Warum tat er mir das an? Wie konnte er nur so fies sein? Gerade er sollte doch derjenige sein, der mich genau davor beschützt. Nun war er selbst zu solchen Taten in der Lage. Verdammt, wie ich ihn dafür hasste. Er hatte mich einfach bloßgestellt. Der, den ich so sehr liebte, hatte mich eiskalt gedemütigt und verletzt. Körperlich und psychisch. Und das schlimme war:  er hatte auch noch Freude daran. Es hat ihm Spaß gemacht, mich so zu behandeln.
Ich schüttelte verständnislos den Kopf, atmete tief durch, und verhinderte somit, noch mehr Tränen zu vergießen. Mit einem Wattepad entfernte ich die verlaufene Schminke aus meinem Gesicht. Dann zog ich meine Sachen aus, und stieg unter die Dusche.

[...]

Frisch geduscht, eingecremt, und mit geföhnten Haaren machte ich mich auf den Weg zurück in mein Zimmer. Für mich war der Tag heute gelaufen. Alles was ich wollte, war nur eine Sache: Im Bett liegen und fernsehen, bis mir die Augen zufallen.
„Hey." Ich fuhr vor Schreck zusammen, als ich das Licht einschaltete und Samra auf meinem Bett sitzen sah.
„Warum sitzt du hier im Dunkeln?", fragte ich mit leichter Nervosität. Er stand vom Bett auf, und lief mir hinterher, als ich zum Spiegel ging. Meine dreckigen Sachen schmiss ich in das dafür vorgesehene Körbchen, und stellte dann meine Badetasche zurück in den Schrank.
„Ich will dir was geben.", sprach er, während er sich am Fensterbrett ablehnte und mir zusah, wie ich meine Haare kämmte. Oh nein. Was kommt jetzt?
Ich schluckte, und drehte mich zu ihm um. In seinen Händen hielt er ein gefaltetes Blatt Papier.
„Ist der von...?", fragte ich, und merkte wie mir schlecht wurde. Direkt schüttelte er mit dem Kopf, und hielt mir das Blatt hin. Zaghaft nahm ich es entgegen, und faltete es auseinander.




Hallo, Josy.
Meine Jungs haben mir erzählt, was mit Capital passiert ist. Das tut mir leid, wallah. Normal geht mich das nichts an. Ich kann mir selber nicht erklären, warum ich das für dich mache. Aber du hast irgendwas an dir, was dich interessant macht, Josy. Aber egal. Ich glaube, das was ich dir geschickt hab, kann dir helfen. Hinterfrag nicht warum oder woher.
Nimm es einfach.

Kareem





Ich faltete den Brief wieder zusammen, und legte ihn auf meine Kommode.
„Danke.", sagte ich zu Samra, der mich immer noch vom Fensterbrett aus ansah. Erneutdrehte ich mich zum Spiegel, um ein Pflaster auf die aufgerissene Wunde an meinem Hals zu kleben. Währenddessen hatte sich Samra bewegt, und kam nun zumir gelaufen.
„Ich hab noch was.", sagte er mit tiefer Stimme. Er stand direkt hinter mir,und sah mich durch den Spiegel an. Als nächstes nahm er meine Haare, und legte sie nach hinten.
„Was hast du vor?", fragte ich mit einem unguten Gefühl im Bauch.
„Halt doch einfach die Klappe, und warte ab.", entgegnete er genervt. Dann legte er mir etwas um den Hals. Es war eine Kette, aber ohne Anhänger. Erst als er sie verschlossen hatte, drehte er den Anhänger nach vorne. Es war ein kleiner, silberner Schlüssel. Ich berührte den Schlüssel mit meinen Finger, und sah ihn mir genauer an.
„Warum?", fragte ich verwirrt.
„Du und Capi...ihr seid nicht mehr zusammen. Somit hat Khalil kein Interesse mehr an dir, weil er Capi mit dir nicht mehr Schaden kann. Du bist also frei jetzt. Du kannst rein und raus gehen, wann du willst."
„Aber wir sind noch zusammen.", wiedersprach ich traurig.
„Nein, Josy."
„Doch. Wir sind noch zusammen. Wir sind nicht getrennt. Wer sagt, dass wir getrennt sind?!"
„Guck mal. Er behandelt dich wie scheiße. Du bedeutest ihm nichts mehr."
„Das ist aber nur vorrübergehend."
„Trotzdem seid ihr getrennt. Er würde dich umbringen, ohne es zu bereuen, Josy. Ihn juckt das nicht mehr, wie es dir geht, oder ob dir jemand weh tut."
„Das weißt du doch gar nicht.", diskutierte ich weiter mit ihm.
„Dann sag mir, wo das herkommt.", forderte er, und drückte mein Kinn nach oben. Direkt durchfuhr ein sanfter Schmerz meine Kehle. Ich schlug seine Hand weg, unddrehte mich dann zu ihm um.
„Wir sind nicht getrennt, okay? Wir sind es nicht. Und das war er nicht, das war vorher schon."
Er grinste schnaufend, und schüttelte dann mit dem Kopf. Danach griff er in das Wäschekörbchen, und holte das blutverschmierte Shirt wieder hervor.
Das war schon vorher?", fragte er, und kam dabei einen Schritt in meine Richtung. Reflexartig wich ich vor ihm zurück, und stieß dabei an meiner Kommode an, sodass sie kurz wackelte. Daraufhin trat er den Schritt wieder zurück, und warf das Shirt ins Körbchen. Nachdenklich fuhr er sich durch den Bart, während er mich ansah.
„Ich hab dich gewarnt, Josy. Ich hab dir gesagt, dass es ekelhaft wird. Ich hab dir gesagt, er wird dir wehtun."
„Wir sind nicht getrennt.", wiederholte ich mich stur, ohne auf seine besserwisserische Aussage einzugehen.
„Doch, seid ihr. Und das weiß jeder. Ganz Berlin weiß, dass ihr getrennt seid."
„Nein." Wieder entwischte mit eine Träne. Verdammt, ich wollte nicht schon wieder heulen. Dieses ständige Heulen frustrierte mich.
„Ey.", sagte der Libanese plötzlich in sanfter Tonlage, und trat wieder auf mich zu. Mit seinem Daumen wischte er die Träne weg, welche gerade über meine Wange rollte.
„Hör auf zu weinen jetzt." Tatsächlich gelang es mir, weitere Tränen zurück zuhalten. Er ließ mein Gesicht los, und atmete dann schnaufend durch die Nase aus.
„Ist da auch so ein Ortungsdings drin?", fragte ich ihn.
„Das ist ein Schlüssel, Josy. Natürlich nicht." Die Ironie in seiner Stimme war nicht zu überhören. Bevor er aus meinem Zimmer ging, drehte er sich nochmal kurz zu mir um, und zwinkerte mir dann mit einem leichten Grinsen auf den Lippen zu. Damit schaffte er es, mich tatsächlich kurz zum Lächeln zu bringen. Schniefend betrachtete ich den Schlüssel an meinem Hals, und verkroch mich dann in mein Bett. Der Gedanke daran wie viel Mühe er sich gegeben hatte, mir extra diese Kette zu machen, brachte mich erneut zum Lächeln.

Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt