Part 94 ~ Schach Matt

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Es vergingen mehrere Minuten, welche sich wie Stunden anfühlten. Ich hoffte darauf, dass jeden Moment die Tür aufgehen und mich jemand befreien würde. Ich hoffte so sehr, dass dieser Albtraum endlich vorbei wäre. Doch noch mehr hoffte ich darauf, dass es für Vladislav noch nicht zu spät war. Obwohl ich dieses ekelhafte Bild wohl nie wieder aus meinem Kopf bekommen würde, und ich nicht wusste wie ich damit umgehen sollte hoffte ich, dass es ihm gut ging. Wenn er unversehrt und er selbst war, könnten wir das mit dem Foto klären. Wenn das wirklich der Wahrheit entsprach, würde ich ihn höchst persönlich umbringen. Bis es so weit war betete ich aber erstmal, dass er nicht den Joker zurückholte. Während ich mir Szenarien in meinem Kopf ausmalte wie die Zukunft aussehen könnte, ging plötzlich die Tür auf. Mein Herz begann schneller zu schlagen, und ich schluckte schwer.
„Hast Glück gehabt.", hörte ich Khalils Stimme, kurz bevor er in mein Sichtfeld trat. Als ich ihn sah fiel mir alles aus dem Gesicht. Meine Hoffnung war zerplatz wie ein Luftballon, und ich spürte, wie sich wieder einmal Verzweiflung in mir breit machte.
„Da war keiner.", fügte er hinzu, und riss mir unsanft das Klebeband vom Mund.
„Hast du die Zeit zum Nachdenken genutzt, hm?", fragte er mit einem diabolischen Grinsen auf den Lippen, und zog wieder sein Messer hervor, mit dem er mich vorhin schon bearbeitet hatte.
„Wie oft soll ich noch sagen, dass ich deine Fragen nicht beantworten kann?" Ein Teil von mir überlegte, ihm einfach irgendwelchen ausgedachten Mist zu erzählen. Doch der andere Teil dachte sich, dass er es merken würde, wenn ich log. Außerdem hatte ich keine Ahnung von diesem ganzen Straßenzeugs. Ich konnte mir also nicht einmal was ausdenken, selbst wenn ich es wollte.
„Natürlich kannst du!", brüllte er mich an. Er kam mit seinem Messer direkt auf mich zu, und packte mich zum wiederholten Mal an der Kehle. Erneut wurde mein Hinterkopf gegen den Pfeiler gedonnert, und wieder sah ich für einen kurzen Moment Sterne. Wenn das so weiter gegangen wäre, hätte er mir damit sicherlich noch ein Schädel-Hirn-Trauma verpasst. „Du willst nur nicht, um deinen Junky-Freund zu schützen! Aber keine Sorge, ich krieg meine Antworten."
„Ich weiß es nicht. Ehrlich.", wimmerte ich verzweifelt. Doch meine Worte waren unnötig. Khalil schien es nicht zu interessieren, ob ich ihn belog oder nicht. Er wollte seine Informationen, und wenn er sie nicht bekam, ließ er mich dafür leiden. Wahrscheinlich würde ich hier nie wieder lebend herauskommen, dachte ich mir in diesem Moment. Ich war davon überzeugt, dass ihm jegliche Skrupel fehlten. Das war der Moment, in dem ich mir wünschte nicht mehr am Leben zu sein. Lieber wäre ich tot, als mich von ihm lebendig zerschneiden zu lassen. Das kalte Metall seines Messers an meinem Ausschnitt ließ mich die Augen wieder öffnen. Ich biss die Zähne zusammen und machte mich auf den nächsten Schnitt gefasst. Doch noch bevor er mir mit der Klinge Schaden zufügen konnte, ging plötzlich das Licht aus. Wir waren umhüllt von erstickender Dunkelheit. Alles um uns herum war ruhig. Lediglich Khalils Flüche auf Arabisch brachen die Stille. Ich hörte, wie er wieder mit schweren Schritten den Raum verließ. Die Tür ging auf, und wurde dann wieder zugeknallt. In den nächsten Sekunden passierte nichts. Alles war stockfinster, und ich hörte kein einziges Geräusch, außer meinen eigenen Atem. In meinem Kopf spielte sich ein Film ab, wie das SEK diesen Ort mit Nachtsichtgeräten und Waffen stürmten. Vielleicht wurde Khalil ja bei der Polizei verpfiffen, und nun nahmen sie ihn hoch. Wenn das der Fall wäre, würde ich allerdings in Erklärungsnot geraten. Denn wenn ich über Khalil bei der Polizei aussagen musste, würde ich damit auch die Jungs in Gefahr bringen.
Als plötzlich die Tür wieder aufging, hielt ich den Atem an. Es herrschte weiterhin absolute Stille, bis die Tür wieder zufiel. Ich vernahm leise, vorsichtige Schritte. Was nun? Sollte ich mich bemerkbar machen oder einfach hoffen, dass ich unentdeckt blieb? Meine Hände wurden feucht vom Angstschweiß, und mein Verstand spielte mir Streiche, die mich in der Schwärze der Dunkelheit Dinge sehen ließen, die nicht real waren. Die Schritte näherten sich mir, schlichen an mich heran. Plötzlich wurde alles hell. So hell, dass ich das Gefühl hatte meine Augen würden verbrennen. Etwas strahlte mir direkt ins Gesicht, woraufhin ich die Augen zusammenkniff und heftig zusammenzuckte. Ich zog tatsächlich in Erwägung, dass ich einfach erschossen wurde. Doch ich spürte nichts. Kein Schmerz, keine Erlösung. Nur die warme, große Hand, die sich auf meinen Mund drückte und mich am Schreien hinderte.
„Oh, Habibi.", vernahm ich eine vertraute, männliche Stimme. „Ich hatte ja gehofft, dass wir uns wiedersehen...aber nicht so."
Wie in Zeitlupe schaffte ich es, meine Augen wieder zu öffnen. Ich blickte in das bärtige Gesicht und die funkelnden grünen Augen, welche mir versuchten Sicherheit zu geben. All die Last fiel von meinen Schultern, als ich realisierte dass der Albtraum vorbei war. Am liebsten hätte ich gelacht, geschrien und geweint – und das alles gleichzeitig.
„Nima.", flüsterte ich, als er seine Hand von meinem Mund wegnahm.
„Der einzig wahre.", lächelte er. Noch im gleichen Moment schoss es mir wie ein Blitz durch den Kopf.
„Vlad! Wo ist er?"
„Capi? Wir haben eine Idee wo er sein könnte, aber erstmal holen wir dich hier raus."
„Nein!", quietschte ich panisch auf. Nima sah mich verwirrt an.
„Ihr müsst ihn zuerst finden, sonst ist es zu spät!"
„Was, wovon redest du?"
„Khalil hat alles so gedreht, dass er den Joker zurückholt. Wenn das passiert, ist er verloren. Dann war's das! Das darf nicht passieren!"
„Josy, beruhig dich erstmal. Wir finden Capi, versprochen. Aber erst musst du hier weg. Ich weiß nicht, wie viel Zeit wir haben."
„Aber der Joker...", murmelte ich.
„Alles wird gut, vertrau mir." Seine grünen, vielversprechenden Augen sahen mich ermutigend an. Wie sehr ich in diesem Augenblick hoffte, dass er Recht behielt.



Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt