Part 76 ~ Konsequenzen

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„Und was mache ich, wenn er nach Hause kommt?"
„Ihm aus dem Weg gehen." entgegnete ich lässig, während ich die übrig gebliebene Menge Kippen in meiner Marlboro-Schachtel prüfte. Sie war noch halbvoll. Aber sie würde safe nicht reichen, so viel wie ich am Tag rauchte. Hieß, dass ich dummerweise doch noch einmal zur Tanke fahren musste.
„Kannst du nicht hierbleiben?", fragte sie mich mit flehender Stimme.
„Ob ich jetzt da bin oder nicht, wenn er heimkommt, macht doch keinen Unterschied.", sagte ich schulterzuckend. „Außer..." Nun drehte ich mich zu Josy um. Ihre kleinen, glasig schimmernden Augen sahen mich besorgt an.
„Außer du hast Angst, dass er irgendwas macht." Sie schluckte. Ah, ich hatte also Recht. Da lag ich mit meinem Instinkt wohl richtig. „Hast du Angst?", hakte ich nach, als sie zögerte mir die Frage zu beantworten. Sie zuckte nur mit den Schultern, doch ihr Blick bestätigte es.
„Das ist immer noch Capi.", erinnerte ich sie. Capi würde ihr niemals wehtun, das wusste jeder. Dafür war sein Herz viel zu gut.
„Vor ein paar Tagen war er auch Capi. Als er mich umbringen lassen wollte." Hm, hatte sie auch wieder Recht.
„Ich weiß. Aber jetzt ist er wieder der richtige Capi. Wallah, er ist nicht mehr dieser Hurensohn von vor ein paar Tagen."
„Wie kannst du dir da so sicher sein?", fragte sie ungläubig. Dass das für sie schwer zu verstehen war, wusste ich. Erklären konnte ich das allerdings nicht. Ich hatte keine Beweise oder sowas. Aber ich kannte Capi zu gut. Und ich wusste einfach, dass er wieder er selbst war. Nennen wir es mal Intuition. Ich spürte das einfach. Hätte Josy gewusst, dass ich hier meinem Bauchgefühl vertraute...Habibi, sie wäre ausgerastet. Aber das musste sie ja nicht wissen.
„Vertrau mir einfach.", sagte ich zu dem Mädchen, dessen Haut so bleich wie die weiße Tapete hinter ihr war. Ich fragte mich, ob sie immer noch Schmerzen hatte, oder einfach wegen dem ganzen psychischen Stress so fertig aussah. Mit Sicherheit traf beides zu.
„Kann ich mitkommen?", versuchte sie es nun. Verdammt, die Kleine ließ echt nicht locker. Fast hätte sie mich auch so weit gehabt. Hätte ich noch ein paar Sekunden länger in diese grünen, traurigen Augen gesehen, wäre sie erfolgreich gewesen. Aber ich hatte wichtige Termine und keine Zeit, mich um sie zu kümmern. Ich hätte sie dann eh nur links liegen lassen können, und das wollte ich ihr nicht antun. Der Universal – Manager war eh schon genervt, weil ich öfters in Begleitung zum Meeting kam. Außerdem musste Josy nicht unbedingt sehen, wo ich meine Geschäfte führte. Nicht die normalen Geschäfte – sondern die dreckigen, dunklen Geschäfte in den Gassen von Berlin. Ein bisschen Straße würde für immer an jedem von uns kleben. Wie hieß es so schön? Du kriegst den Jungen aus dem Ghetto, doch das Ghetto nicht aus ihm. Tja, bei mir war Lichterfelde mein Ghetto. Alles was darüber hinaus ging, hatte ich erst später aufgebaut. Je mehr man hatte, desto angesehener wurde man auf dem Straßen. Angebot und Nachfrage, hatte Samed immer gesagt. Dennoch versuchte ich meine Geschäfte klein zu halten. Ich hatte nicht wie Capi dutzende Läufer, die das Zeug für mich verteilten. Capis Geschäfte waren riesiger...viel gewaltiger, als das was ich tat. Er war für diesen Scheiß einfach geboren.
„Bitte.", bettelte sie, nachdem ich ihre Frage kopfschüttelnd verneint hatte.
„Das geht nicht, Habibi. Du musst hierbleiben. Wallah ich würde gerne, aber es passt nicht."
„Sonst hast du mich auch überall mit hin geschliffen. Und wenn ich dann mal mitwill, passt es nicht?", fragte sie enttäuscht. Ich zuckte nur mit den Schultern, und schnappte mir dann meinen Autoschlüssel. Mit Tränen in den Augen stand sie da, und schaute mir hinterher. Wallah, mein Herz blutete bei diesem Anblick.


[...]


Josy

Mein Kopf schnippte sofort nach oben, als ich hörte wie die Haustür geöffnet wurde. Ich lugte über die Lehne der Couch hinweg, und duckte mich dann gleich wieder ab. Vielleicht bemerkte er mich nicht, wenn ich leise war.
„Samra?", rief Vladislav lautstark durchs Haus. Der Libanese war vor keine Ahnung wie vielen Stunden gegangen. Seitdem lag ich auf der Couch, und ertrank in Tränen und Selbstmitleid.
„Baby?", rief er, als keine Antwort kam. Oh nein, dachte ich mir. Als auch da keine Antwort kam, begann er zu suchen. Natürlich kam er in meine Richtung. Ich hätte den Fernseher ausmachen sollen, wenn ich mich schon verstecken wollte. Dummheit...
„Warum antwortest du nicht?", fragte er enttäuscht, nachdem er mich entdeckt hatte. Ich zuckte nur mit den Schultern, und schaute weiter auf den Fernseher. Seine Stimme zu hören, tat weh. Ihn im Augenwinkel da stehen zu sehen, tat weh. Ihn bewusst zu ignorieren...verdammt, es tat so weh. Als würde jemand kleine Stecknadeln in mein Herz stechen – immer, und immer wieder.
„Baby...", sagte er sanft, als mir einige kleine Träne entrannen. Er lief zu mir, und setzte sich dann neben mich auf die Couch.
„Bitte, lass uns damit aufhören.", bat er. Der Schmerz in meiner Brust wurde intensiver, und der Kloß in meinem Hals größer.
„Komm schon, Prinzessa. Ich sehe doch, wie weh dir das tut.", sprach er sanft. Ich schloss die Augen, und drehte meinen Kopf zur Seite, damit er mein Gesicht nicht sah. Aus meinem Weinen wurde ein ungewolltes, leises Schluchzen.
„Baby, bitte.", sagte er mit brüchiger Stimme. Ich spürte, wie er sich neben mir bewegte. Dann legte er seinem Arm um mich, und drückte mich sanft gegen ihn. In den ersten paar Sekunden tat mir das unfassbar gut. Doch dann, als ich seinen Duft roch, kamen die Bilder wieder hoch. Der Film mit den ganzen schlimmen Erinnerungen spielte sich wieder vor meinen Augen ab, und ich krallte mich an meiner Wolldecke fest. Mein Körper begann zu zittern. Vladislav bemerkte, dass etwas nicht stimmte, und drückte mich noch fester an sich. Er versuchte somit, mir ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Doch seine Nähe bewirkte genau das Gegenteil. Ich wollte ihm sagen, dass er mich in Ruhe lassen soll. Aber ich war Bewegungs- und Sprachunfähig. Erst als ich die Augen mit viel Kraft wieder öffnen konnte, war ich auch aus meiner Starre befreit, und der Film in meinem Kopf hatte aufgehört zu spielen. Ich wand mich unter seinem Arm, damit er verstand, dass ich das nicht wollte. Das Signal kam tatsächlich bei ihm an, und er entfernte sich von mir. Ohne etwas zu sagen, stand er vom Sofa auf. Dann ging er weg. Wenig später hörte ich, wie oben eine Tür zu flog.
Ich mummelte mich in meine Decke ein, und begann wieder zu schluchzen

Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt