Part 16 ~ Anders als die

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Vladislav presste seine Lippen aufeinander, während er mich abwartend ansah. Je näher die Stimme kam, desto nervöser wurde ich. Ich versuchte, so leise und ruhig wie möglich zu atmen und schloss dann die Augen, als die Stimme direkt bei uns war.
"Ich sags dir Bruder, es war so. Einfach zu krass man.", hörte ich Khalil sagen, und schon umgab uns der Geruch von Gras, den ich bereits so oft gerochen hatte. Die Stimme entfernte sich wieder, und auch die Schritte wurden leiser. Ich öffnete die Augen und sah Vladislav direkt an. In seinem Blick sah ich, dass er genauso erleichtert war wie ich, dass er uns nicht gesehen hatte.
"Du hast dir das eingebildet, da war keiner.", hörten wir eine andere Stimme, und die Schritte kamen wieder zurück.
"Doch, vetrau mir Bruder. Den Geruch kenn ich, ich schwöre drauf Habibi.", sagte Khalil und näherte sich der Gasse, in der wir uns versteckten. Wir hatten nicht viel Zeit, und wegrennen würde uns nichts bringen. Also handelte Vladislav einfach instinktiv, und schob mich von sich weg. Ich verstand was er sagen wollte und hüpfte hinter eine große Mülltonne, hinter der ich mich verstecken konnte.
"Ach, der verlorene Bruder.", hörte ich Khalil etwas lauter sagen, als er Vladislav scheinbar entdeckt hatte.
"Warum treibst du dich in irgendwelchen Gassen rum? Ich dachte man trifft dich jetzt nur noch bei Gucci?", provozierte er mit einem hörbaren Grinsen.
"Ich warte auf nen Kunden. Also tu mir nen Gefallen und verpiss dich einfach, tamam? Ich hab jetzt keine Zeit für dich und deinen Schoßhund.", entgegnete Vladislav arrogant, und ich hörte das klicken seines Feuerzeuges.
"Warum Schoßhund? Beto ist doch kein Schoßhund. Er gehört zur Familie. So wie du...früher."
"Lan was willst du? Ich hab keine Nerven für sowas hier, ich muss arbeiten.", nuschelte Vladislav genervt, und zog an seiner Kippe.
"Immernoch am dealen, ja? Ich dachte, jemand der so volle Taschen hat wie du muss das nicht mehr machen.", entgegnete Khalil spöttisch.
"Und da lässt du dein Mädchen alleine zu Hause? Oder versteckst du sie nur vor mir?", fragte er lächelnd, doch Vladislav ignorierte ihn weiter.
"Beto Bruder, check mal die Gegend ab. Vielleicht finden wir hier ja was...oder jemanden.", sagte er, mit der Betonung auf dem letzen Wort des Satzes. Mein Herzschlag beschleunigte sich, als ich hörte wie Beto in meine Richtung gelaufen kam. Ich sah mich um, aber es war ausweglos. Es gab keine Möglichkeit, hier weg zu kommen ohne von Khalil gesehen zu werden.
Ich drückte mich panisch gegen die Wand hinter mir, an der ich die ganze Zeit gehockt hatte. Mir wurde heiß und kalt zugleich, als ich sah wie er hinter die Mülltonne blickte. Er schaute mir direkt in die Augen. Wir schwiegen uns beide an. Dieser Moment dauerte eine  gefühlte Ewigkeit. Er sah langsam an mir herunter - wie ich unmittelbar vor ihm auf dem Boden hockte. In einem weißen Kleid, das von einem riesigen dunklen Fleck gezeichnet war. Alles in mir betete, dass er einfach nichts sagen würde.
"Ist da was?", rief Khalil ihm zu, während er mich weiterhin musterte. Mit flehenden Augen sah ich ihn an und schüttelte leicht mit dem Kopf, um ihn zu bitten die Frage zu verneinen.
"Ja.", rief er, und mein Herz blieb stehen. Tränen bildeten sich in meinen Augen, und ich dachte ich würde jeden Moment Ohnmächtig werden. Das war's, endgültig. Es war vorbei. Einfach alles vorbei.
"Hier hat einer in die Ecke gekotzt. Stinkt abartig.", antwortete Beto, sah mir noch einige Sekunden in die Augen, und wandte sich dann ab um zu Khalil zurück zu laufen. Wieder schloss ich die Augen und bedankte mich innerlich, dass er mich nicht verraten hatte. Ich weiß nicht was passiert wäre, wenn Khalil mich hier gesehen hätte. Schön wäre das jedenfalls nicht ausgegangen, das stand fest.
"Ekelhaft, an welchen Orten du dich rumtreibst. Aber wundert mich nicht. Ekelhafte Menschen findet man an Ekelhaften Orten, oder?", provozierte er den Ukrainer weiter.
"Dann weiß Beto, was für eine kranke Scheiße du abziehst?", fragte Vladislav.
"Selbst wenn er es nicht wissen würde, würde ohne zu fragen warum oder wieso hinter mir stehen. Du weißt, unser Name steht für Loyalität."
"Absolut.", nuschelte Vladislav mit ironischem Unterton. Für einen kurzen Moment war Stille. Dann hörte ich Khalil leise schnaufen, bevor er wieder das Wort ergriff.
"Weißt du Bruder, an deiner Stelle würde ich meine Freundin nicht so oft alleine zu Hause lassen. Schon gar nicht mit Samra.", sagte er und provozierte damit wieder. Ich wusste genau, auf was er hinaus wollte. Und Vladislav wusste es anscheinend auch - doch er ging gar nicht erst darauf ein, und ließ ihn wie auch vorher schon links liegen.
"Müsste dein Kunde nicht langsam mal auftauchen? Wir stehen hier ja locker schon Zehn Minuten.", versuchte Khalil es weiter, nachdem er feststellte dass Vladislav ihm keine Beachtung schenkte.
"Weiß Drilon, was du machst wenn er nicht hinguckt? Ich glaube, ich hab seine Nummer noch. Vielleicht ruf ich ihn mal an. Bisschen reden dies das, du weißt.", sagte Vladislav mit klarer Stimme. Damit hatte er ins schwarze getroffen. Auch wenn ich die Jungs nicht sehen konnte, spürte ich wie die Stimmung plötzlich extrem angespannt wurde. Scheinbar fand Khalil das ganze nun gar nicht mehr lustig, so ruhig wie er plötzlich war.
"Mach, wenn du meinst. Aber dann fick ich nicht nur das Leben deiner Freundin, Habibi. Dann fick ich jeden der dir was bedeutet, oder jemals was bedeutet hat. Unterschätz mich nicht, Capi. Du bist lange nicht mehr so krass, wie du früher mal warst. Die Zeiten haben sich geändert.", drohte er finster. Nun war für einige Sekunden Ruhe. Dann hörte ich Schritte, die in meine Richtung kamen. Wieder wurde ich panisch, und presste mich gegen die Wand hinter mir. Dieses mal war es allerdings Vladislav, der hinter dem Müllcontainer hervortrat und mich ansah.
"Er ist weg.", sagte er leise, und bot mir an mir aufzuhelfen. Ich streckte meine zittrige Hand nach oben, und ließ mich von ihm auf die Beine ziehen. Plötzlich stand ich so nah vor ihm, dass ich das Gleichgewicht verloren hätte - wenn er nicht von hinten seinen Arm um meinen Körper gelegt hätte, um mich zu halten.
"Warum hat dich Beto nicht auffliegen lassen?", flüsterte er leise.
"Keine Ahnung.", antwortete ich ebenfalls flüsternd, während er meine Lippen fokussierte.
"Er hat uns gerade echt den Arsch gerettet.", murmelte er und kam meinem Geischt so nahe, dass unsere Lippen nur noch Millimeter voneinander entfernt waren.
"Ich weiß.", hauchte ich und war so froh noch am Leben zu sein, dass ich ungewollt eine Träne verlor. Er legte seine Lippen sanft auf meine, und drückte mich weiter an sich.
"Lass zum Auto.", sagte er, gab mir einen Kuss auf die Stirn und nahm mich an der Hand. Bevor wir aus der Gasse herausliefen sah er sich gründlich um - und dann spazierten wir endlich zum Parkplatz zurück. Er entriegelte die Türen, und wir ließen uns auf die Sitze fallen. Seufzend zog ich die Autotür zu, und angelte mir den Gurt.
"Ich hab mies Hunger. Wir fahren Burger King und essen im Auto. Kein Bock, dass mir heute noch mehr Leute auf die Eier gehen.", beschloss er, schnallte sich an und bretterte dann los.
"Bevor du abstreitest, du isst auch. Ich bleib mit dir im Auto sitzen, bis du was gegessen hast.", sagte er bestimmend. Um einer Disskussion aus dem Weg zu gehen, gab ich ein einfaches, zustimmendes "Okay" von mir, während er den Schalter anfuhr. Glücklicherweise waren am Drive in nur ältere Mitarbeiter, die nicht wussten wer er war. Somit fielen wir nicht auf, und konnten unbemerkt irgendwo hinfahren, wo es ruhig war und uns niemand sehen konnte.
"Hier Baby. Schön aufessen.", sagte er mit einem frechen Grinsen auf den Lippen und drückte mir eine Tüte in die Hand, in der er vorher einige Sachen sortiert hatte. Zugegeben, ich hatte wirklich Hunger. Es war anders, wenn ich mit ihm zusammen war. Bei Samra kam mir immer alles so aufgezwungen vor. Auch wenn Vladislav darauf bestand dass ich was aß, fühlte es sich nicht wie Zwang an.
"Worüber denkst du nach?", fragte er, nachdem ich eine ganze Weile einfach nur nach draußen gestarrt hatte.
"Über gar nichts.", antwortete ich, und lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn.
"Vladislav?", nuschelte ich, während ich mir ein paar einzelne Pommes in den Mund schob.
"Hm?", brummte er mit vollen Backen, und kramte in seiner Tüte herum.
"Ich weiß, das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Aber können wir nochmal über die Samra-Sache reden?"
"Was willst du da reden? Wir haben doch schon geredet.", entgegnete er kauend.
"Ja ich weiß. Aber ich will nicht, dass ihr wegen mir Stress habt. Also ich will nicht dass du sagst dass alles gut ist, obwohl du eigentlich sauer bist. Ich kauf dir irgendwie nicht ab, dass du das so locker siehst. Ich meine, Samra ist dein bester Freund und verheimlicht das vor dir. Und ich...ich wollte es anfangs nicht glauben, aber jetzt glaube ich es. Und ich habe nicht mir dir darüber geredet, obwohl ich das hätte machen sollen. Aber ich hatte Angst, dass du ausrasten würdest. Und Samra würde das niemals zugeben, weil er auch Angst hat dass du ausrastest."
"Das hört sich an als wäre ich so ein Bastard der euch beide einfach abstechen würde, wenn ich das rausfinde.", sagte er mit einem kleinen Lachen, und biss dann kopfschüttelnd in seinen Burger.
"Nein, so meine ich das nicht...keine Ahnung. Wir wissen halt alle, wie aggressiv du sein kannst.", sagte ich seufzend.
"Hä, was für aggressiv?, fragte er empört, mit vollem Mund. Ich zuckte nur mit den Schultern, und aß meine Pommes weiter.
"Guck mal Baby. Natürlich finde ich das nicht geil und so. Aber ich kenn das einfach, und ich weiß wie behindert das für Samra ist. Wenn er irgendwann mit mir redet, tamam. Aber ich bin nicht sauer wenn er es nicht macht. Er weiß bis heute nicht, dass ich Cataleya übertrieben geil fand."
"Was?", fragte ich fassungslos.
"Ich dachte, Samra weiß das? Hast du ihm das nie gesagt? Also auch nicht, nachdem sie...?"
"Nein, nein. Vielleicht sag ich das irgendwann mal. Wenn er auspackt, mach ich das auch. Aber vorher wecke ich keine schlafenden Hunde. Und du auch nicht.", sagte er mahnend und sah mich dann mit hochgezogener Augenbraue an.
"Hatte ich nicht vor."
"Hoffe ich, Baby."
"Sonst hätte ich dir doch schon lange von dem ganzen erzählt, oder?" Er nickte, schniefte absichtlich laut und schluckte sein zerkautes Essen dann herunter, während er nach vorne aus dem Fenster schaute.
"Ich würde niemals einen von euch verraten. Du musst mir nicht drohen, damit ich das was du mir im Vertrauen erzählst für mich behalte."
"Das haben schon so viele gesagt. Am Ende haben sie alle die Fresse auf gemacht.", sagte er nachdenklich, und sah mit gequältem Blick auf die Straße.
"Vladislav, ich bin nicht irgendjemand. Guck, was wir alles schon zusammen durchgemacht haben. Bin ich dir jemals in den Rücken gefallen, hm? Hab ich dir jemals das Gefühl gegeben, dass du mir nicht vertrauen kannst?", fragte ich ihn ernst, und legte meine Hand auf sein Bein. Er drehte seinen Kopf kurz zu mir, sah mir in die Augen, und schaute dann wieder auf die graue Papiertüte, die vor ihm auf seinem Schoß lag.
"Nein.", nuschelte er einsichtig.
"Siehste.", grinste ich, und lehnte mich dann wieder im Sitz zurück.
"Trotzdem müssen wir uns was wegen meinen Eltern überlegen."
"Wir?", fragte er Skeptisch und zog wieder eine Augenbraue nach oben.
"Es geht um meine Eltern. Das alles betrifft schon lange nicht mehr nur dich. Ich steck da genauso mit drin. Wir finden zusammen eine Lösung."
"Nein Baby, du hälst dich da raus. Ich kläre das auf meine Weise."
"Auf deine Weise? Was willst du machen, alle umbringen?", fragte ich ihn empört.
"Wenns sein muss.", antwortete er eiskalt, und zerknüllte das Papier vom Burger mit seinen Händen.
"Spinnst du?", fuhr ich ihn an, weil er das anscheinend gerade wirklich ernst meinte.
"Ja." Er startete den Wagen, legte den Gang ein und schnallte sich wieder an.
"Bist du fertig mit essen?", fragte er, als hätte das Gespräch eben nie stattgefunden, und sah mich an.
"Ja, aber..." Er griff nach dem leeren Papier auf meinem Schoß, stopfte es in seine Tüte und zerknüllte diese dann ebenfalls. Wortlos gab er gas, fuh den nächsten Mülleimer an und warf die Tüte dann vom Fenster aus hinein. Ich wollte eigentlich nochmal zum Gespräch ansetzen. Doch  so stur wie er nunmal war drehte er seine Musik im Auto einfach so laut, dass man sein eigenes Wort nicht mehr verstanden hätte.

Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt