Part 24 ~ Capi / Joker

588 47 38
                                    

Ich fühlte mich wie eingefroren. Alles in mir weigerte sich, eine Bewegung zu machen. Warum sagte er nichts? Fuck, warum war er so ruhig? Das war ja noch schlimmer, als wenn er mich anschreien würde.
"Worauf wartest du?", fragte er mit rauer Stimme, und holte eine Zigarette aus seiner Bauchtasche. Wollte er jetzt wirklich, dass ich losfahre?
"Handbremse, erster Gang, Gas geben.", wies er mich an. Obwohl mir schon schwindelig vor Angst war, versuchte ich mich zu konzentrieren. Ich lockerte die Handbremse, und legte den Gang ein. Dann ließ ich die Kupplung los und trat auf's Gas. Der Wagen heulte auf, aber bewegte sich nicht. Vor lauter Schreck drückte ich Bremse und Kupplung nach unten durch, und krallte mich wieder am Lenkrad fest.
"Bleib locker. Alles auf entspannt. Geh langsam von der Kupplung, und gib Gas.", sagte er ruhig. In dem Moment vergaß ich, warum ich überhaupt in diesem Auto saß. Meine Konzentration lag darauf, loszufahren ohne das Auto abschmieren zu lassen. Ich atmete durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus. Dadurch versuchte ich, irgendwie meine Anspannung zu lösen. Meine Füße wollten arbeiten, doch irgendetwas hinderte mich am losfahren. Irgendein Gefühl in mir blockierte meine Beine. Schluckend drehte ich meinen Kopf zu dem Araber auf dem Beifahrersitz, der sich entspannt zurück gelehnt hatte.
"Du wolltest fahren. Jetzt fahr auch.", kommentierte er seelenruhig. Einen Moment lang sah ich ihn einfach nur an. Dass er so locker blieb, konnte nur ein Traum sein. Das konnte doch nicht sein. Normalerweise hätte er mich doch aus dem Auto gezerrt und sonst was mit mir gemacht. Was war auf einmal los? Nicht, dass das schlecht war. Aber es wunderte mich eben einfach, weil ich diese Reaktion niemals von ihm erwartet hätte. Ich wusste nicht so richtig, ob das jetzt gut oder schlecht war. Ob ich mich freuen, oder nur noch mehr Angst haben sollte.
Nickend schob ich die Gedanken weg. Es war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzudenken. Immerhin war Vladislav bereits bei meinen Eltern. Wenn ich noch länger hier herumeiern würde, könnte ich es gleich bleiben lassen. So gut ich konnte blendete ich Samra aus, und konzentierte mich auf den Lambo. Dieses mal fiel es mir leichter. Als der Schleifpunkt kam gab ich Gas, und fuhr dann tatsächlich los.
"Gut. Jetzt zweiter Gang.", sagte er. Hoch konzentriert schaltete ich in den zweiten Gang, und verließ die Einfahrt unseres Hauses.
"Und dritter.", kam es wieder von Samra, als ich die Straße nach unten fuhr.
"Weißt du, wo lang?", fragte er. Ich schüttelte nur mit dem Kopf. Er richtete sich auf, und stellte auf dem Bedienfeld in der Mitte der Amatur das Navi ein. Die Adresse meiner Eltern war bereits darin gespeichert. Obwohl mich das irgendwie beunruhigte, versuchte ich mich nicht vom fahren ablenken zu lassen.
"Komm, vierter Gang.", sagte er. Erst dann fiel mir auf, dass ich schon längst hätte hochschalten müssen. Obwohl ich mich darauf fokussierte mich nicht ablenken zu lassen, lenkte es mich ab. Es lenkte mich ab, zu versuchen mich nicht ablenken zu lassen. Uff. Er saß einfach nur da und sagte nichts. Und trotzdem machte er mich nervös. Er musste sich nicht mal bewegen. Bei jedem kleinen Atemgeräusch dass ich von ihm hörte, wurde ich unruhiger. Und bei jeder Bewegung, die von ihm ausging, zuckte ich jedes mal ganz leicht. Dieser Mann machte mich einfach wahnsinnig, obwohl er komplett ruhig war.
"Konzentrier dich auf die Straße, nicht auf mich.", sagte er, als er mein zittern bemerkte.
"Alles locker. Einfach fahren." Er ließ das Fenster herunter, und tippte dann wieder auf dem Bedienfeld herum. Ich zuckte erschrocken zusammen, als plötzlich die Musik aus den Lautsprechern dröhnte. Während er sich seine Kippe anzündete, fing er dann auch noch an mitzurappen. Gut, dann hatte ich wenigstens nicht das Gefühl, dass er mich beobachtete. Wenn er sich auf's rappen konzentrierte, konzentierte er sich nich auf mich. Er war ein Mann. Männer können kein Multitasking. Redete ich mir zumindest ein.
Er rappte zwei oder drei Lieder mit, die ich nicht kannte. Scheinbar neue Songs, aber sie interessierten mich im Moment nicht so wirklich. Irgendwann drehte er die Musik dann leiser, und schnippste seine Kippe aus dem Fenster. Mittlerweile fiel mir das fahren deutlich leichter. Beim anfahren hatte ich noch Schwierigkeiten, doch sonst klappte alles. Nun konnte ich mich tatsächlich etwas lockerer machen.
"Warum bist du nicht wütend?", fragte ich ihn vorsichtig. Er sah mich kurz an, schaute aber dann wieder auf seine Bauchtasche, aus der er eine weitere Zigarette holte.
"Mir war eh langweilig. Und Capi würde mir den Kopf abreißen, wenn ich zugelassen hätte dass du alleine abhaust." Er zündete die Zigarette an, und ließ sich weiter in den Sitz sinken.
"Ich verstehe nicht, warum er das macht."
"Doch, tust du." Stirnrunzelnd sah ich zu ihm herüber.
"Man, er will dich da raushalten. Wer auch immer da ist, wird nicht ohne Grund da sein. Er kann dich nicht beschützen, wenn er sich auf den Bastard konzentrieren muss. Versteh ihn halt auch mal.", sagte er gelangweilt.
"Aber ich..."
"Sag an, was hättest du gemacht, hm?" Er zog an der Zigarette, und sah mich dann an.
"Wenn ihr jetzt beide da seid. Und den Typ da finden würdet. Was würdest du machen? Ihn nett fragen, was er von deinen Eltern will?"
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es kotzte mich an. Aber Samra hatte Recht.
"Es ist nicht hilfreich, wenn du dabei bist."
"Aber es sind..."
"Deine Eltern, ich weiß. Und trotzdem kannst du nichts machen, außer daneben zu stehen."
Ich antwortete nicht darauf. In dem Moment hatte ich einfach keine Ahnung, was ich sagen sollte. Auch wenn ich noch so sehr protestierte, Samra hatte einfach Recht. Es gab nichts, was ich machen könnte. Außer daneben stehen. Aber ich wollte einfach wissen, was los war. Ich wollte wissen, was der Typ bei meinen Eltern wollte. Und ich machte mir Sorgen, ob Vladislav mir alles erzählen würde. Mittlerweile wusste ich ja, dass er nicht immer direkt alles erzählt wenn man ihn etwas fragt. Also wollte ich es mit eigenen Augen sehen.
"Warum hast du nichts zu Capi gesagt?", fragte Samra, nachdem wir eine Weile einfach nur Stumm nebeneinander saßen. Ich in Gedanken vertieft, und er auf seine Zigarette konzentriert.
"Das habe ich dir doch schon gesagt."
"Nein, das meine ich nicht. Erzähl mir nicht, dass du das gemacht hast weil wir Freunde sind."
"Es ist aber so."
"Brems!", schrie er mich plötzlich an. Ich zuckte hoch, und stoppte den Wagen. Die Leute, die vor uns an der Ampel warteten, sahen mich komplett verängstigt an.
"Du hast die fast umgerohrt.", sagte er, und ließ sich wieder zurück fallen.
"Sorry.", entschuldigte ich mich beschämt.
"Sag das lieber dem Typ da. Der sieht aus, als würde der dich aus dem Auto rauszerren wollen."
Ich sah aus dem Fenster. Da stand tatsächlich ein Typ, der mich die ganze Zeit anstarrte. Erst nach ein paar Sekunden wurde mir klar, warum.
"Oh mein Gott.", stieß ich hervor.
"Wie kann man das Auto abriegeln?", fragte ich den Libanesen hibbelig. Die Ampel war noch rot. In mir stieg Panik auf, als der Typ näher kam.
"Warum?", fragte Samra unbeeindruckt.
"Sag mir, wie man das scheiß Auto verriegelt!", fuhr ich ihn an. Jetzt bemerkte auch er, dass das nicht mehr lustig war. Hastig schnallte er sich ab, schnippste seine Kippe aus dem Fenster, und beugte sich über mich. Dann ertönte ein Klack-Geräusch.
"Fahr!", sagte er, als er sich wieder zurück auf seinen Sitz fallen ließ.
"Was war das für ein Hurensohn?", paffte er, und schnallte sich wieder an.
"Das war der Typ aus dem Restaurant.", sagte ich halb abwesend.
"Was?"
"Gestern, als ich mit Vladislav essen war. Da kam so ein Typ zu uns, der meine Eltern bedroht hat. Der hat irgendwas in mein Essen gemischt...wir sind dann gegangen, und haben das Essen zurückgehen lassen."
"Und das war der? Was wollte der von euch?"
"Der ist von dem komischen Clan...die wollen Geld von Vladislav."
"Ah, das wieder. Dann hat das bestimmt auch mit dem Typen zutun, um den Capi sich kümmert."
"Ich denke schon.", sagte ich.
Nach zehn Minuten schweigen kamen wir dann endlich bei meinem Elternhaus an. Vladislavs Mercedes stand in einer Seitenstraße, in der ich dann auch irgendwo einen Parkplatz fand.
"Hätte nicht gedacht, dass du parken kannst.", gab Samra zu, und stieg aus.
"Ich auch nicht." Ich verriegelte den Wagen, und steckte den Schlüssel in meine Hosentasche. Samra stellte sich mir in den Weg, und hielt seine Hand auf.
"Oh, ja.", bemerkte ich. Ich drückte ihm den Schlüssel in die Hand, und er steckte ihn weg.
Wir sahen Vladislav's Wagen, der zwischen zwei kleineren Autos parkte. Von ihm war allerdings keine Spur. Zusammen suchten wir jede Straße ab, in der er hätte sein können. Irgenwann hörten wir ihn dann - zwar nur leise, aber das reichte. Das rollende R in seiner Stimme verriet mir, dass er es war. Ich ging um die Ecke und sah ihn. Er stand da, mit einem Typen der ungefähr genau so groß war wie er - wahrscheinlich der Kumpel, der ihn angerufen hatte. Vor ihnen stand ein weiterer Typ. Er sah nicht alt aus. Im Gegenteil, er sah aus wie...22, 23? Jedenfalls nicht das, was ich erwartet hatte. Ich wollte weiter gucken, doch Samra zog mich am Arm zur Seite.
"Was wird das?", flüsterte er.
"Wonach sieht es aus?" Ich riss meinen Arm los, klebte mich halb an die Wand und beobachtete das Geschehen.
"Willst du, dass wir das auf die harte Tour regeln?", hörte ich Vladislav sagen. Seine Stimme war ruhig, aber unfassbar bedrohlich. Ich sah, wie er hinter sich griff. Aus seiner Hose zog er plötzlich ein Messer, was den Junge vor ihm dazu veranlasste nach hinten auszuweichen. Während er mit erhobenen Händen an der Wand lehnte, ging Vladislav einen Schritt auf ihn zu. Das ganze war so nervenaufreibend, dass ich mich regelrecht an der Wand festklammerte. Ich spürte Samra hinter mir, dessen Bauch sich gegen meinen Rücken drückte. Eigentlich würde mich das mega nervös machen - doch ich musste sehen, was da abging. Nur das war gerade wichtig.

Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt