Part 18 ~ Hoch

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"Verdammt, das kannst du doch nicht machen.", sagte ich, nachdem mir fast das Herz stehen geblieben war.
"Ich kann alles, wenn ich will.", grinste Vladislav, der es lustig fand, dass er mich gerade beinahe zu Tode erschrocken hatte.
"Wo kommst du eigentlich plötzlich her? Ich hab dich im ganzen Haus gesucht, du warst nirgendwo."
"Ich stand die ganze Zeit hier.", entgegnete er schulterzuckend.
"Nein, eben nicht. Dann hätte ich dich ja gesehen."
"Doch Baby, ich stand hier." Ich zögerte einen Moment, und zweifelte echt an mir selbst. Wenn er da gestanden hätte, hätte ich ihn doch gesehen. Er ist ja nicht gerade leicht zu übersehen. Oder war ich doch schon so raus im Kopf? Skeptisch sah ich ihn an, und konnte beobachten, wie sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen zauberte.
"Hör doch auf mich zu verarschen. Du hast dich hier irgendwo versteckt, gibs zu!", lachte ich, griff nach einem Kissen und schmiss ihn damit ab. Elegant fing er es auf, und sah mich mit einem undeutbaren Blick an.
"Hab ich nicht. Du hast mich einfach nur nicht gesehen.", beharrte er weiter auf seiner Aussage, und warf mir das Kissen zurück. Ich fing es auf, während er weiter am Fenster stehen blieb.
"Du denkst auch ich bin blöd, oder?", fragte ich ihn ironisch, schüttelte mit dem Kopf, und legte das Kissen aufs Bett.
"Würde ich niemals." Er stand plötzlich direkt hinter mir. Als ich mich umdrehte, sah ich direkt in seine strahlenden, braunen Augen.
"Und jetzt?", fragte ich ihn leise. Das Grinsen in seinem Gesicht wurde wieder ein Stückchen breiter.
"Jetzt machen wir was schönes." Seine Hand griff nach meiner, und er drehte sich wieder zum Fenster um.
"Willst du mich rausschubsen?", lachte ich, als er es öffnete.
"Hab ich denn einen Grund dazu?", fragte er mit einer hochgezogenen Augenbraue.
"Noch nicht."
"Vertrau mir einfach, Prinzessa." Er ließ meine Hand los, hob sein rechtes Bein aufs Fensterbrett und zog sich dann am Rahmen nach oben.
"Was wird das?" Besorgt sah ich ihm dabei zu, wie er vorsichtig einen Fuß aus dem Fenster setzte. Er sah nach oben, hielt sich irgendwo an der Außenmauer fest, und schwang sich nach draußen. Ein Blick aus dem Fenster verriet mir, dass er auf einer Feuerleiter stand, die direkt aufs Dach führte.
"Du willst jetzt nicht da wirklich hoch, oder?"
"Wie gesagt, vertrau mir." Für einen kurzen Moment grinste er mich dämlich an, und dann kletterte er auch schon nach oben. Irgendwann sah ich ihn dann nicht mehr, sondern hörte nur noch seine Schritte über mir .
"Komm, Baby.", rief er zu mir herunter. Das meint der doch nicht ernst.
"Niemals."
"Was los, hast du Angst? Du willst mich vor arabische Großfamilie beschützen, aber hast Schiss auf eine billige Leiter zu klettern?", provozierte er mich, während er von oben zu mir herunter schaute. Einige Sekunden überlegte ich noch, ob ich hochgehen oder es lassen sollte. Nach einem tiefen Atmenzug schob ich meine Ängste beiseite, und kletterte auf das Fensterbrett.
"Siehst du, geht doch. Jetzt mach rechten Fuß auf die Leiter, ganz langsam." Ich folgte seiner Anweisung, hielt mich an der Leiter fest und setzte den ersten Fuß rüber. Durch die hohe Menge an Adrenalin die gerade durch meinen Körper schoss, fingen meine Hände an zu zittern. Mein Herz schlug wie verrückt, und ich bekam Angst, das Gleichgewicht zu verlieren.
"Alles locker, komm einfach hoch.", versuchte er mich zu beruhigen. Wieder atmete ich tief durch, und setzte einen Schritt nach oben.
"Oh Gott.", murmelte ich in mich hinein. In Zeitlupe zog ich den linken Fuß nach.
"Meine Knie werden weich.", sagte ich, und verharrte in der Position.
"Dir passiert nichts. Gib mir deine Hand.", kam es von oben.
"Warte, geht schon.", wies ich ihn ab.
"Was, denkst du ich hab keine Kraft?", fragte er beleidigt.
"Naja, so mit Muskeln ist da nicht viel.", entgegnete ich, während ich immernoch an der Leiter klebte.
"Willst du mich verarschen?", keifte er. Ups, hätte ich wohl lieber nicht sagen sollen.
"Ich glaubs ja wohl nicht.", fluchte er und stand auf, sodass ich ihn nicht mehr sehen konnte.
"Vladislav?", rief ich unsicher. Ich wusste nicht, wo ich mich festhalten sollte. Ich hatte es noch eine Stufe höher geschafft, aber die Leiter war hier zuende. Ängstlich sah ich mich um, aber ich kam nicht weiter. Vor mir war die Dachfläche, ich musste nur den letzten Schritt machen. Aber es war so verdammt hoch, dass ich mich nicht traute.
"Kannst du mir mal helfen?", bat ich ihn, in der Hoffnung er würde aufhören zu schmollen und herkommen.
"Oh ich weiß nicht Baby, ich glaube ich bin zu schwach dafür.", zog er mich auf.
"Ja okay, sorry. Ich habs nichts so gemeint ok? Bitte, hilf mir einfach."
Er betrachtete mich für einen Moment, und schüttelte dann schnaufend den Kopf. Daraufhin stellte er sich direkt vor mich, und packte mich unter den Armen.
Als ich dann wieder die Augen aufschlug, stand ich direkt vor ihm und schaute in seine, die mich aufgeregt anblitzten.
"Okay, du bist stark. Definitiv. Ich hab nix gesagt.", hauchte ich schwer atmend.
"Dein Glück.", flüsterte er und nahm seine Hände von mir weg.
"Also...was machen wir jetzt hier?", fragte ich, als wir uns einige Sekunden einfach nur ansahen.
"Was willst du denn machen?", flüsterte er.
"Keine Ahnung." Dieser Moment überwältigte mich irgendwie völlig. Wie wir da oben auf dem Dach des Hauses standen. Nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Ich, mit meinen Shorts und dem Top - und er, mit seiner kurzen Hose und dem Hemd, das er offen Trug. Also so offen, dass sein halbnackter Oberkörper einfach direkt vor mir war. Und seine Augen. Gott, diese Augen. Wie kann man nur so schöne Augen haben? Das ist doch nicht normal. Das alles hier ist nicht normal. Ich meine, wir stehen auf dem verdammten Dach. Was, wenn das einbricht? Kann das überhaupt einbrechen? Fuck, wie soll ich hier eigentlcih weider runterkommen? Hoch ging ja irgendwie, aber wieder runter? Ach du Scheiße, das wird doch nie was.
"Baby.", Unterbrach er meinen inneren Monolog.
"Du machst dir zu viele Sorgen.", sagte er, so als ob er meine Gedanken lesen könnte. Mit einem lockeren Grinsen auf den Lippen nahm er meine Hand, und dreht sich um. Das Dach war zu meiner Überraschung größtenteils ebenflächig, wodurch wir problemlos darauf herumlaufen konnten. Vorher hatte ich nie darauf geachtet. Warum auch?
Wir gingen auf die andere Seite des Hauses, und ich traute meinen Augen nicht. Hatte er doch tatsächlich eine Decke da hin gelegt. Ich biss mir auf die Lippen.
"Wie süß bist du denn?", fragte ich ihn ergriffen. Wortlos schenkte er mir ein zufriedenes Lächeln, und zog mich zu der Decke hin.
Die Aussicht war überwältigend. Man konnte von hier aus die Stadt sehen, die in weiter Entfernung aufleuchtete. Mir wurde in dem Moment erst einmal so richtig klar, wie abgelgen das Haus hier eigentlich war. Die Luft war kühl, aber nicht kalt. Hier oben wehte der Wind etwas stärker, aber nicht zu stark. Es war einfach perfekt.
"Weißt du, früher war das nicht so.", sagte er irgendwann, nachdem wir minutenlang einfach nur da saßen und in die Ferne schauten. Er seufzte, rutschte ein Stück nach vorne und legte sich dann auf den Rücken.
"Was meinst du?"
"Na die ganze Scheiße mit Khalil. Wir hatten vorher schon Meinungsverschiedenheiten und so. Aber ich hätte niemals gedacht, dass er so krass ehrenlos sein kann."
"Bereust du es?", fragte ich, im Schneidersitz neben ihm sitzend.
Er überlegte eine ganze Weile, bevor er zu einer Antwort ansetzte.
"Wenn ich es nicht drauf angelegt hätte, würde sie heute vielleicht noch leben.", sagte er, legte seine Hände hinter den Kopf und sah gedankenverloren in den klaren Nachthimmel.
"Ihr hättet da so oder so nur verlieren können."
"Ja, aber lieber Stoff als ein Menschenleben."
"Die waren doch von vornerein auf Angriff aus. Ihr habt einfach nicht damit gerechnet, dass die zustechen. Das ist nicht deine Schuld"
"Es hätte mich treffen sollen, nicht sie. Ich hab die Fresse aufgemacht, dafür musste sie sterben. Ich hätte den scheiß Stich verdient."
"Okay, vielleicht. Vielleicht hast du Recht. Ja, vielleicht war es dumm von dir was zu sagen, obwohl Khalil dich gewarnt hat. Vielleicht hätte es dich erwischen sollen." Er sah mich erstaunt an.
"Vielleicht konntest du aber auch nichts dafür. Und vielleicht hätten die euch sowieso alle abgestochen, wenn sie euch geplant abzocken wollten. Das weiß keiner, und niemand kann es ändern. Du schon gar nicht.", sagte ich sanft, und rutschte ein Stück näher an ihn heran.
"Was ich sagen will ist, dass es unrelevant ist, was passiert wäre wenn du dies, das und jenes nicht gemacht hättest. Du kannst dir so viel den Kopf darüber zerbrechen wie du willst, aber es wird nichts ändern. Das wird die Sache nicht ungeschehen machen. Und Khalil ist nicht unschuldig. Er wusste doch, was für ein Risiko es ist seine Freundin mitzubringen. Er sucht einfach jemanden dem er die Schuld geben kann, damit es ihm besser geht. Du bist nicht schuldig, nur weil er das so sieht."
"Du hast Recht, Baby.", nuschelte er. Seine Hand griff nach meiner und drückte sie sanft.
"Ich versteh ja, dass er sauer ist. Und verletzt. Das ist normal. Das gibt ihm aber nicht das Recht, dich dafür zu bestrafen. Oder mich.", fügte ich hinzu.
"Er wird nicht aufhören bis er hat, was er will. Bis er dich hat." Er drückte meine Hand etwas fester.
"Dazu wird es nicht kommen. Guck, wie viel wir bis jetzt zusammen überstanden haben. Er wird es niemals schaffen, uns auseinander zu bringen. Nicht, wenn wir es nicht zulassen.", redete ich auf ihn ein. Er bewegte sich ruckartig, und plötzlich lag er über mir.
"Niemals, Baby. Ich lass nicht zu, dass er dir wehtut. Nie wieder." Er beugte sich zu mir herunter und legte seine Lippen auf meine. Erst in langsamen Bewegungen, und dann etwas schneller. Als von unten ein klimperndes Geräusch ertönte, stoppten wir plötzlich beide.
"Ich glaube, Samra ist wieder da.", sagte Vladislav leise.
"Super.", entgegnete ich wenig begeistert. Er rollte sich wieder von mir herunter, und griff dann erneut nach meiner Hand.
"Willst du mit ihm reden?", fragte er mit ruhiger Stimme.
"Garantiert nicht. Du?"
"Nicht unbedingt. Später vielleicht."
"Wann hast du das hier oben eigentlich gefunden?", fragte ich ihn, drehte mich auf die Seite und sah ihn an. Meinen Kopf stütze ich mit der Hand ab, während meine Finger an seinem Hemd herumspielten.
"Vor paar Monaten. Ich wollte auf den richtigen Moment warten, um dir das zu zeigen."
"Chillst du öfters heimlich hier oben?"
"Nachts. Wenn ich nicht pennen kann, geh ich manchma hier hoch. Dann buffer ich einen, mach meinen Kopf frei und leg mich wieder zu dir ins Bett."
"Warte mal. Du bist mehrmals Nachts aus dem Fenster geklettert, und ich hab das nicht mitbekommen?", fragte ich ihn überrascht.
"Nö, du hast gepennt."
"Aber das hätte ich doch gemerkt. So tief schlafe ich doch nicht. Oder?"
"Ist doch egal, Baby."
"Stimmt. Was solls.", gab ich seufzend nach, und spielte weiter an seinem Hemd herum.
"Ist das eigentlich richtig, was wir hier machen?"
"Hm?", murmelte er.
"Na das wir hier rumliegen, obwohl doch meine Eltern in Gefahr sind. Und dass wir Samra in dem Glauben lassen, wir wären nicht zu Hause. Irgendwie hab ich ein schlechtes Gewissen."
"Du musst mal Pause von deinem Leben machen. Die Probleme sind morgen immernoch da, keine Sorge. Chill doch mal. Einen Abend wenigstens.", sagte er locker.
"Hast du gekifft?"
"Nein, Baby. Aber gute Idee.", sagte er und griff in seine Hosentasche. Nachdem er den Joint angezündet hatte, reichte er ihn mir.
"Zieh, und heb ab. Über alles andere machen wir uns morgen Gedanken."
Ich zog drei mal, inhallierte das Gras durch meine Atemwege und reichte ihm den Joint zurück.
"Braves Mädchen.", murmelte er zufrieden, und nahm einen ordentlichen Zug. Ich merkte, wie mein Körper entspannter wurde. Langsam schoben sich die Sorgen in meinem Kopf nach hinten, und ich fing an den Moment zu genießen.
"Hier sieht uns doch keiner, oder?", fragte ich ihn entspannt.
"Nur Gott.", scherzte er grinsend.
"Der darf zugucken.", grinste ich ebenfalls, und richtete mich auf.
"Was hast du vor?", lachte er mit roten Augen. Ich antwortete nicht, sondern kletterte auf ihn drauf, sodass ich auf seinem Becken saß.
"Geil.", freute er sich und presste die Lippen zusammen. Langsam rollte ich mein Top nach oben, und zog es mir dann über den Kopf. Sein Grinsen wurde breiter, und er zog wieder am Joint.
"Ist besser als in der Küche, oder?", fragte ich ihn lachend.
"Auf jeden.", Antwortete er vergnügt, steckte sich den Joint zwischen die Lippen und legte seine Hände auf meine Hüften.
"Dachte ich mir.", schmunzelte ich, bevor er den Joint endgültig wegpackte und seine komplette Aufmerksamkeit auf meinen Körper legte.
Elegant drehte er uns um. Nun lag er wieder über mir, und drückte sein Becken gegen meins. Immer wieder musste ich Grinsen, als er seine Finger über meine Seite streichen ließ. Irgendwann hatte er mir die Shorts ausgezogen, ohne dass ich es so richtig mitbekam. Alles worauf ich mich konzentrierte waren seine nach Gras schmeckenden Lippen, und sein unfassbar guter Geruch. Zusätzlich spürte ich den sanften Druck seiner Kette, die die ganze Zeit auf meinem Brudtkorb lag.
"Bereit?", fragte er leise. Ich war so von ihm abgelenkt, dass ich gar nicht gepeilt hatte, dass er mir nicht nur die Shorts ausgezogen hatte. Ein komisches Geräusch ertönte, als ich zur Antwort ansetzen wollte.
"Caaapiiiii?", hörten wir Samra brüllen, der ihn scheinbar gerade im ganzen Haus gesucht hatte.
"Wehe du antwortest jetzt.", flüsterte ich.
"Keine Sorge, das lass ich mir nicht entgehen.", sagte er, und es ertönte das vertraute Geräusch seines Gürtels, den er gerade öffnete. Gleich darauf folgte ein Geräusch, das viel weiter weg war. Wir beide stoppten unsere Bewegungen, und sahen uns aufgeschreckt in die Augen. Ich glaube, Vladislav hatte in dem Moment exakt den gleichen Gedanken wie ich: Der hat jetzt nicht wirklich das Fenster zu gemacht, oder?

Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt