Part 70 ~ Nachwirkungen

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„Sie hat sehr viel Blut verloren. Sie müssen ihr einfach Zeit geben." Eine Frauenstimme. Wahrscheinlich eine Krankenschwester. Oder eine Ärztin, jedenfalls eine Frau.
„Zeit hab ich aber nicht!" Samra? Ja, das war Samra. Er klang besorgt. Fast schon ängstlich.
„Haben sie einfach etwas Geduld. Sie wacht bestimmt bald auf." Wieder die weibliche Stimme.



[...]


„Das würde ich Ihnen nicht empfehlen. Solange sie nicht wach ist, sollte sie auf jeden Fall hierbleiben." Dieses Mal hörte ich eine männliche Stimme. Das war mit Sicherheit ein Arzt.
„Dann machen sie was, damit sie aufwacht." Samras Stimme.
„Da kann man leider nichts machen, außer abzuwarten. Die Werte sind super, machen sie sich keine Sorgen. Haben sie einfach Geduld." Wieder der Arzt. Die Stimmen waren weit weg. Ich verstand alles nur sehr undeutlich. Dann war es wieder ruhig.

[...]

„Du musst aufwachen. Bitte." Ein leises Schniefen. Das letzte Wort ertönte mit erstickter Stimme. „Josy." Dieses Mal konnte sie allerdings keiner Person zuordnen. Sie war zu weit weg. Dieses Rauschen war lauter als die Stimme, die ich hörte. Ich wünschte, ich würde sie noch einmal hören können. Aber die Stille kam zurück, und mit ihr das Nichts.

[...]

Ich öffnete meine Augen. Wo war ich hier? Krankenhaus? In meinem Arm steckte eine Flexüle, und an meinem Finger steckte dieses Teil für die Sauerstoffsättigung. Ein Anflug von Übelkeit machte sich in mir breit. Mein Blickfeld verschwamm, also schloss ich kurz die Augen. Während ich tief durchatmete, versuchte ich mich zu erinnern. Vladislav...Khalil...dieses verlassene, heruntergekommene Gebäude, in dem wir gefangen waren. Der Stich...der Stich! Meine Atmung wurde panisch.
Vorsichtig hob ich meine Decke hoch. Ein fetter Verband. Schnell legte ich die Decke wieder ab, und schluckte. Kein Schmerz. Warum tat es nicht weh? War ich mit Schmerzmitteln vollgepumpt? Ich sah mich im Zimmer um. Plötzlich entdeckte ich, dass ich nicht alleine war. Vladislav. Auf dem Stuhl an dem kleinen Tischchen in der Ecke des Zimmers. Er saß da, und schlief. Im ersten Moment freute ich mich. Erleichterung machte sich in mir breit. Doch dann erinnerte ich mich an das, was passiert ist. Was er getan hatte. Wie er sich verhalten hatte. Er wollte mich eintauschen...verkaufen...wie auch immer. Das ist nicht Vladislav, schoss mir in den Kopf. Zumindest nicht der normale. Aber warum war er hier? Nein...nein, das durfte nicht sein. Mit Sicherheit bewachte er mich. Er wollte warten, bis ich zu mir kam. Um mich dann mitzunehmen, und an jemand anderen zu verkaufen! Ich krallte mich an meiner Bettdecke fest. Mein Herz zog sich zusammen, und in meinen Augen bildeten sich riesige Tränen. Ich war aus dieser Hölle herausgekommen. Hatte den Messerstich überlebt. Und jetzt sollte das alles weitergehen? Nein!  Beruhig dich, Josy. Nicht weinen. Mach ihn nicht wach. Wenn er aufwacht, wars das. Ich musste still sein. Jede Bewegung führte ich in Zeitlupe aus. Das Adrenalin in meinem Körper ließ meine Hände zittern, und meine Knie weich werden. Mein Ziel war, es aus diesem Zimmer heraus zu schaffen, ohne dass Vladislav es bemerkte. Für einen kurzen Moment überlegte ich, einfach nach einer Schwester zu klingeln. Doch dann malte ich mir aus, wie die Tür aufging und er aufwachte. Nein, anders. Unschuldige durften nicht mit reingezogen werden. Ich musste hier raus, ehe er bemerkte, dass ich wach war. Meine Hand war am Türgriff. Dann drehte sich der Boden plötzlich, und mir wurde schlecht. Nein, nicht jetzt, betete ich. Ein paar Sekunden später ging es wieder. Erst jetzt bemerkte ich, was ich anhatte. Shorts und ein dünnes Top. Wo war das Kleid? Wer hatte mich umgezogen? Die Schwester? Samra? Oder doch er? Bitte, lass es die Schwester gewesen sein.
Jede Sekunde musste ich mich vergewissern, dass er auch wirklich noch die Augen geschlossen hatte. Währenddessen öffnete ich langsam die Tür. Tatsächlich schaffte ich es, aus diesem Zimmer herauszukommen, ohne dass er es bemerkte. Auch, wenn meine Beine wie Pudding waren, und mein Kopf hämmerte. Eine Schwester. Ich musste eine Schwester finden. Oder irgendjemanden, der mir helfen konnte. Die Zimmertüren waren in einer großen Nische eingebaut. Zum Flur war also circa ein halber Meter Platz. Daher konnte ich nicht sehen, ob sich jemand auf dem Gang befand.

Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt