Part 86 ~ Vertrauen verdient man sich

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„Ist Hussein schon wieder gegangen?", fragte meine Mom, welche gerade vom Wäsche aufhängen zurückkam.
„Gerade zur Tür raus.", antwortete ich mit trockenem Mund. Ich war immer noch etwas perplex von eben.
„Alles gut? Du siehst so fertig aus."
„Ja, alles gut. Ich bin nur müde, hab schlecht geschlafen."
„Verstehe.", sagte sie mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen, während sie an mir vorbeischlenderte.
„Warum grinst du da?", hakte ich empört nach.
„Darf ich nicht Grinsen?", lachte sie.
„Doch. Keine Ahnung was er erzählt hat, aber ich für meinen Teil habe geschlafen."
„Er hat nichts erzählt. Bleib locker, ich mache nur Spaß. Ich weiß doch, dass du immer noch an deinem Vladislav hängst."
„Eben. Wo wir gerade beim Thema sind..."
Während meine Mutter den Tisch abräumte, überlegte ich, wie ich am besten ein Gespräch mit ihr anfing. Sie wusste nur die Hälfte von dem was zwischen ihm und mir passiert war, aber sie war bisher die einzige, mit der ich darüber sprechen konnte.
„Er würde gerne klein anfangen. Er will mich nicht drängen oder so, aber er hat gesagt, ihn macht der Abstand kaputt."
„Das klingt doch sehr vernünftig. Aber du weißt, was ich immer sage: Tu nichts, für das du nicht bereit bist. Wenn du noch nicht so weit bist, muss er warten. Respektiert er das nicht, ist er nicht der Richtige."
„Ich weiß. Er respektiert es ja. Aber wenn ich ehrlich bin, vermisse ich ihn schon ein bisschen. Bevor diese ganze Krise kam, war alles so schön. Klar hatten wir auch Streit, teilweise auch sehr heftigen. Aber ich vermisse es trotzdem."
„Dann macht doch irgendetwas kleines. Geht ein Eis essen, füttert Enten, geht ins Kino. Irgendetwas."
„Enten füttern?", lachte ich. „Mama, wir haben 2022. Da geht man keine Enten mehr füttern, das machen nur alte Leute."
„Du hast doch keine Ahnung von Romantik.", entgegnete sie gespielt beleidigt.
„Das Problem ist einfach, dass ich mir unsicher bin. Keiner weiß, ob er das alles nur spielt. Woher weiß ich, ob er es ernst meint?"
„Das kann dir niemand sagen. Das musst du selber rausfinden. Was aber nicht passiert, wenn du nur zu Hause rumlungerst."
„Ja, aber was, wenn ich wieder eine Panikattacke kriege?"
„Josy, hör mal. Wenn er dein Freund ist, und dich liebt – aufrichtig liebt. Dann akzeptiert er dich so wie du bist. Auch mit deinen Panikattacken. Und wenn er dich wirklich von Herzen liebt und du ihm alles bedeutest, dann steht er diese Panikattacken gemeinsam mit dir durch. Ich weiß, dass du Angst hast. Aber vielleicht solltest du ihm einfach die Chance geben dir zu zeigen, dass er es ernst mein, anstatt dich vor ihm zu verstecken."
„Hm.", murmelte ich. Im Grunde hatte sie Recht. Wie sollte er mir denn beweisen, dass Vladislav er selbst war, wenn ich ihm keine Gelegenheit dazu gab?
„Ich hab einen Vorschlag.", sagte sie, nachdem sie sich einen Kaffee eingeschenkt hatte.
„Meine Schwester hat uns zur Hochzeit eingeladen."
Ich wurde hellhörig, und blickte mit ungutem Gefühl zu meiner Mutter auf.
Dich auch."
„Muss ich?", fragte ich, direkt genervt. Hochzeitsfeiern und Geburtstage hasste ich als Kind schon. Gerade dann, wenn es sich um die Familie meiner Mutter handelte. Sie hatte insgesamt sechs Geschwister, welche ich aber nie zu Gesicht bekam. Alle wohnten überall verstreut und wenn sie sich trafen, war ich nie dabei.
Unter ihnen gab es eine, mit der ich schon damals nicht klarkam. Sie war die zweitälteste unter den Schwestern, und ausgerechnet sie feierte nun Hochzeit. Ich freute mich ja für sie, eine Hochzeit war immerhin was Tolles. Aber warum musste sie mich unbedingt einladen?
„Wäre schön. Mir zuliebe. Ich weiß, du kannst sie nicht besonders gut leiden. Aber sie gehört zur Familie und würde sich freuen, dich mal wieder zu sehen."
„Ja, damit sie wieder neuen Stoff zum Tratschen hat."
„Josy.", mahnte meine Mutter streng.
„Ist doch so. Weißt du noch, vor vier Jahren? Zu ihrem fünfzigsten Geburtstag? Ich war die meistgehasste Person an diesem Abend, nur weil ich aus Spaß gesagt habe, dass ihr mich am Kindertisch abgestellt hattet. Was ja im Prinzip auch so war, die ganzen Erwachsenen saßen einen Tisch weiter."
„Du weißt doch, dass die meisten nicht denselben Humor haben wie du."
„Du hast doch selber gelacht.", erinnerte ich sie vorwurfsvoll.
„Ja, aber meine Schwester fand es nicht lustig. Ich durfte mir noch Wochen später anhören, wie unhöflich meine Tochter doch wäre."
„Unhöflich? Die erste Frage von ihr als wir dort ankamen war, ob ich denn immer noch keinen Freund hätte."
„Das ist doch keine schlimme Frage, Josy."
„Vielleicht nicht. Aber der Unterton und dieser... dieser abschätzige Blick dazu. Man hat direkt gemerkt, dass ich in Ihren Augen nur ein kleines unreifes Kind war. Wahrscheinlich sollte ich deshalb auch nicht mit bei euch am Tisch sitzen."
„Jetzt übertreibst du aber.", schimpfte meine Mutter verständnislos. Ich war damals 21 Jahre alt, und musste an mit fünf Kindern am Tisch sitzen, die alle nicht älter als zehn waren. Die anderen hatten ihren Spaß und konnten sich unterhalten, während ich mir deren Gequietsche anhören durfte. Nach diesem Abend hatte ich mir geschworen, die nächsten Jahre erstmal zu keiner Familienfeier mehr mitzugehen. Aber mit meiner Mutter darüber zu diskutieren war sinnlos. Sie würde es ja sowieso nicht verstehen. Vielleicht wollte sie es auch gar nicht verstehen.
Ich rollte seufzend mit den Augen, und ließ mich auf einem der Stühle nieder, während meine Mutter begann, die Küche aufzuräumen.
„Du kannst eine Begleitung mitbringen. Vielleicht ist das eine gute Gelegenheit, Vladislav eine Chance zu geben."
„Hälst du das wirklich für eine gute Idee?"
„Sonst würde ich es ja nicht vorschlagen.", schmunzelte sie.
„Du weißt, wie meine Ansichten ihm gegenüber sind. Aber er macht dich glücklich, und das macht mich glücklich. Also gib ihm eine Chance."
„Hmm.", brummte ich nachdenklich. „Wann ist die Hochzeit?"
„Diesen Samstag."
„Hmm.", brummte ich wieder.
„Überleg es dir. Wenn du es dir nicht zutraust, dann komm alleine mit. Es ist deine Entscheidung."
„Kann ich krank machen?"
Anstatt mir zu antworten, schmiss sie das Geschirrhandtuch so zu mir, dass es auf meinem Kopf landete.
„Es wird nicht krank gemacht. Du gehst da hin, mit oder ohne Begleitung."
„Super.", gab ich mit überzogener Ironie von mir, während ich mit dem Handtuch vor mir herumspielte.
„Was hälst du davon, wenn wir heute Abend was bestellen? Das haben wir lange nicht gemacht.", schlug sie vor.
„Gerne."
„Wenn du möchtest, kannst du ihn einladen."
Mein skeptischer Blick ging nach oben, als meine Mutter diesen Satz herausgebracht hatte.
„Vor einer Weile hast du ihn noch verflucht. Und jetzt setzt du alles daran, dass wir uns wieder vertragen? Man könnte denken, du willst mich raushaben.", feixte ich.
„Du spinnst. Du kannst so lange hierbleiben, wie du willst. Dein Vater hat gestern erst zu mir gesagt wie sehr er sich freut, dass du wieder hier bist. Er hat das gemeinsame Beisammensein wirklich vermisst. Ich auch."
„Aber warum willst du unbedingt, dass zwischen Vladislav und mir wieder alles gut ist? Ich dachte, du kannst ihn nicht leiden."
Seufzend setzte sich meine Mutter wieder zu mir an den Tisch.
„Ein guter Umgang ist er nicht, wenn du meine ehrliche Meinung hören willst. Aber du bist alt genug und ich sehe, dass er auf dich aufpasst. Auch wenn er mehr oder weniger meistens Schuld an euren Problemen ist..."
Ich rollte mit den Augen, und war schon kurz davor nicht mehr zuzuhören. Das ewige „Vladislav ist ja so ein böser Junge" – Gerede konnte ich wirklich nicht mehr hören. Doch meine Mutter bekam dann doch noch die Kurve.
„Aber du bist glücklich, wenn er bei dir ist. Und dir geht es schlecht, wenn ihr nicht zusammen seid. Wie gesagt: wenn du glücklich bist, bin ich es auch. Also los, frag ihn. Er kann gerne herkommen.", ermutigte sie mich mit einem warmen, aufmunternden Lächeln auf den Lippen.
„Okay, na gut.", stimmte ich zu, und konnte mir ein aufgeregtes Grinsen dabei nicht verkneifen. Irgendwie war es ja schon etwas anderes, ihn nur ab und zu mal zu sehen. Über meine Ängste dachte ich in dem Augenblick gar nicht nach. Ich fühlte mich, als wären wir wieder ganz am Anfang. So wie damals, als wir unsere ersten Dates hatten. Natürlich war es nicht dasselbe. Aber mein Bauch kribbelte und ich bekam schwitzige Hände, als ich ihm schrieb.



Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt