Part 95 ~ Ein Deal ist ein Deal

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„Tief durchatmen.", sagte ich zu mir selbst. Wie ich es bereits erwartet hatte, veranstaltete meine Mutter eine hollywoodreife Szene, als ich nach Hause kam. Da war kein „Josy, ich hab mir Sorgen gemacht. Geht es dir gut?". Und auch kein „Was ist mir dir passiert, warum trägst du Männerkleidung?". Ganz zu schweigen von einem „Warum hast du überall Schnittwunden und siehst aus als hätte dich ein Bus überrollt?". Nichts dergleichen. Nein, das was ich mir anhören durfte war sowas wie: „Was fällt dir ein, einfach von der Hochzeit abzuhauen ohne jemandem Bescheid zu sagen?" Und das war noch das harmloseste. Die ganze Standpauke hatte ich mir widerspruchslos bis zu dem Punkt gegeben, als sie plötzlich meinte mir den Kontakt zu Vladislav verbieten zu müssen. Abgesehen davon dass dies gar nicht in ihrer Macht stand, war das der Höhepunkt. Dass sie mir dann auch noch Hausarrest erteilte, setzte dem Ganzen noch einen drauf. Eigentlich hätte ich gekontert, mich verteidigt, Vladislav verteidigt, was auch immer. Aber ich war am Ende meiner Nerven. Das Ganze drum herum und die gestrigen Strapazen bereiteten mir bereits Kopfschmerzen und Übelkeit. Um mich gedanklich mit dem Streit zwischen meiner Mutter und mir zu befassen, reichte der Platz in meinem Kopf nicht aus. Außerdem stand für mich gerade etwas ganz anderes im Vordergrund. Oder besser gesagt, hinter meinem Fenster.
Um sicherzugehen dass meine Mutter nicht hereingeplatzt kam, drehte ich den Schlüssel herum und versperrte ihr somit den Zutritt zu meinem Zimmer. Dann begab ich mich zum Fenster, welches als Eingang für jemanden diente, dem ich es gestattete in mein Zimmer zu gelangen.
„Deine Mutter hat ja Temperament.", schnaufte Granit, während er Problemlos durch das Fenster einstieg. Bei ihm sah das aus, als würde er sowas jeden Tag machen. So elegant und leise wie er zu mir hereinkletterte, sah das wirklich professionell aus.
„Das, und einen an der Waffel.", seufzte ich augenrollend.
„Dann sei froh, dass du das nicht geerbt hast.", scherzte der Albaner, zog seinen schwarzen Jogger gerade und schloss das Fenster wieder.
„Also. Erzählst du mir jetzt endlich, was mit Vladislav ist? Habt ihr ihn gefunden, geht es ihm gut?", kam ich direkt zur Sache. Granit hatte mir versprochen mich in alles einzuweihen, doch er wollte dies an einem sicheren, ruhigen Ort machen. Ob mein Elternhaus jetzt die beste Wahl war, darüber ließ sich allerdings streiten. Eine gute Sache hatte die Standpauke meiner Mutter jedoch. Ich erinnerte mich wieder an Samra. In dem Moment als sie wieder einmal mit übertriebener Melancholie betonte, dass er ja viel besser für mich wäre, hatte es klick in meinem Kopf gemacht. Das war noch eines der Dinge, die Granit mir erklären musste.
„Um dich erstmal zu beruhigen: es geht ihm gut." Granit legte eine Gesprächspause ein, während er sich auf mein Bett setzte.
„Und weiter?", drängelte ich ungeduldig.
„Wir hatten rausgefunden wo er gefangen gehalten wurde, aber er war nicht mehr dort."
„Gefangen gehalten?", wiederholte ich erschrocken seine Worte.
„Wir dachten erst, dass er woandershin verschleppt wurde, aber so war's nicht. Als wir gehen wollten, überraschte er uns."
Ich hing bei jedem einzelnen Wort an seinen Lippen. Diese dramatischen Pausen zwischendurch ließen mich fast durchdrehen.
„Erzähl weiter.", drängte ich ihn wieder.
„Eigentlich sollte Capi dir das selber sagen.", schnaufte Granit kopfschüttelnd. „Aber ich hab ihm das versprochen, weil er nicht kann."
Mein Magen drehte sich wieder um sich selbst. Ich musste schwer schlucken, um diesen Kloß im Hals herunterzubekommen.
„Er hat sich auf einen Deal mit Khalil eingelassen. Eigentlich hatte er gar keine andere Wahl."
„Und wie lautet der Deal?", fragte ich vorsichtig. Ich ging vom schlimmsten aus.
„Die Abmachung ist, dass Capi wieder zum Joker wird. Khalil will ihn als Geschäftspartner. Im Gegenzug lässt er Samra frei, und dich in Ruhe."
Mir wurde schwindelig. Innerlich betete ich, dass das alles nur ein böser Traum war. Aber leider war es das nicht. Es war die bittere Realität, die mir einen Schlag ins Gesicht verpasste. In mir drehte sich alles, und ich musste mich setzen. Als ich mich neben Granit in die Matratze sinken ließ, erzählte er weiter.
„Als Capi zugestimmt hat wusste er nicht, dass du bereits befreit warst. Khalil ist direkt zu ihm, während wir dich rausgeholt haben und war somit schneller."
„Und... ist er jetzt...du weißt schon?", fragte ich. Mein gesamter Körper zitterte, und mein Kopf fühlte sich wie vernebelt an.
„Ich fürchte, ja. Aber nicht die ganze Zeit. Er hat gesagt, er könne es kontrollieren. Das war auch der Grund, weshalb er zugestimmt hat. Der Joker hat nicht die Überhand."
„Was ist...mit diesem Bild? Das, was Khalil mir gezeigt hat. Mit dieser Dings, wie hieß sie noch gleich? Ach, ich weiß es nicht mehr. Das Bild, wo sie zwischen seinen Beinen hängt..."
„Wenn das von Khalil kommt kannst du dir sicher sein, dass es Fake ist. Capi würde dich nie betrügen, glaub mir."
„Ich kann nicht. Das war alles zu glaubwürdig."
„Von wann war das Bild, weißt du das? Welcher Tag, welche Zeit?"
„Ich weiß nicht mehr... vorgestern? Ja, in der Nacht vor der Hochzeit. Bevor er zu mir gekommen ist. Ich glaube irgendwas bei 22 Uhr."
„Siehst du, ich sag doch, dass das Fake ist. An dem Abend war er mit ein Paar von meinen Jungs unterwegs. Die hätten mir sofort gesagt, wenn da irgendeine Nutte bei ihm gewesen wäre. Außerdem...."
Ich hörte Granits Stimme, doch ich verstand nicht was er sagte. Der Schwindel in meinem Kopf war in diesem Moment so extrem, dass ich das Gefühl hatte ich würde nach hinten kippen. Panik stieg in mir auf. Rundherum bekam ich kaum noch etwas mit, alles war verzerrt und surreal. Als ich aufstand und versuchte tief durchzuatmen, schloss ich die Augen. Mein Gleichgewichtssinn war komplett gestört.
„Josy!", wurde ich plötzlich angebrüllt. Ich öffnete die Augen, und sah Granit vor mir. Seine Hände hatten meine Oberarme gepackt damit ich nicht umkippte.
„Du musst zu einem Arzt. Ich kenn einen, der kann uns helfen. Komm."
Granit zog mich hinter sich her zu meinem Fenster, und stieg elegant dort hinaus, genauso wie er vorhin auch hereingekommen war.
„Nein, das schaffe ich nicht. Ich fall da runter." Vorsichtshalber trat ich einige Schritte zurück.
„Du fällst nicht. Ich halte dich, komm."


Vladislav

Aus meiner Kehle kam ein tiefes Knurren, welches dem eines Tieres glich. Passend, schließlich wurde ich ja auch eingesperrt wie ein Tier. Wieder befand ich mich in so einem scheiß Käfig. Dutzende Beleidigungen schossen mir durch den Kopf, aber keine war gut genug für diesen Bastard. Ich hatte seinem dreckigen Deal doch zugestimmt nahui, warum wurde ich trotzdem wie so ein Sklave behandelt?
Meine Hände ballte ich hinter meinem Rücken so stark zu Fäusten, dass es schon wehtat. Aber der Schmerz juckte mich nicht. Auch diese räudigen Seile, die sich in das Fleisch meiner Handgelenke bohrten gingen mir am Arsch vorbei. Alles was ich wollte, war endlich wieder frei zu sein. Wobei, ich war ja frei. Für eine Stunde. Mehr Zeit wurde mir letzte Nacht nicht gegeben, um alles zu klären. So hatte ich wenigstens die Gelegenheit nachzusehen, ob sie in Sicherheit war. Wahrscheinlich hatte ich nur einen Teil von dem gesehen, was er ihr angetan hatte. Und ich schwöre auf meine Mutter, er wird dafür bezahlen. Früher oder später. Auch für das was er mit Samra gemacht hat, werde ich ihn bluten lassen. Doch bis dahin musste ich mich als Joker ausgeben, und tun was er wollte. Nur so war ihre Sicherheit garantiert.
Die ausbruchssichere Metalltür öffnete sich mit einem ekelhaften quietschen, und holte mich aus meinen Gedanken heraus.
„Der Boss will mit dir reden.", sagte der fette Kanacke, welcher einen auf Gefängniswärter machte. Mit Schlüssel am Hosenbund, wie ein richtiger Bulle im Knast. Die Wärter im Knast waren allerdings nicht so hässlich wie der, und viel durchtrainierter. Die konnten rennen, wallah. Der hier hätte sich eher für 4 Blocks oder so bewerben können. Dreckiger Poser, dieser Typ.
„Beweg dich, na los.", Delegierte er mich, nachdem er die Käfigtür geöffnet hatte. Dieser Raum glich dem, den ich auch besaß. Wahrscheinlich hatte Khalil sich das von mir abgeguckt. So wie früher auch immer. Elender Hund.
Immer wieder schubste mich der Hurensohn, um mich in die Richtige Richtung zu drängen. Irgendwann kamen wir in eine Art Büro (welches ebenfalls meinem glich), wo sich der Fettsack hinter mir positionierte und mich an den Schultern packte. Keine zwei Sekunden später betrat Khalil den Raum, gefolgt von drei weiteren seiner Leute. Brauchten die nun schon vier Kanacken, um sich vor mir zu schützen, oder was sollte das?
„Lange nicht gesehen, Bruder.", scherzte Khalil.
Vergiss nicht, dass er denken muss du wärst der Joker.
„Was soll die Kacke mit Hände hinter Rücken und wegsperren wie ein Tier, hm?", fragte ich aggressiv.
„Wenn du dich an den Deal halten würdest, müsste ich das nicht machen."
„Was soll der scheiß, nahui? Ich hab dir doch gesagt, dass ich es bin."
„Jaja, reden kann jeder. Ich brauche Beweise, sonst glaub ich dir gar nichts. Denkst du, ich bin so behindert? Dass ich dich los lasse, damit du jeden hier ficken kannst? Nein, Bruder, wallah nein. Solange der Joker nicht zu einhundert Prozent vor mir steht, wirst du behandelt wie ein Hund."
„Wieso zum Teufel sollte der Joker mit dir verhandeln wollen? Hast du schon vergessen, dass du ihn gefickt hast beim letzten Deal?", spuckte ich in seine Richtung.
„Wow, du erinnerst dich echt an gar nichts oder?", schmunzelte er. „Es gab einen neuen Deal. Kurz bevor du an der Decke hingst, haben wir neu verhandelt. Der Plan war, dass der Joker mit mir zusammenarbeitet, so wie wir beide früher. Du hattest bereits zugestimmt, kurz bevor deine Kahba reingeplatzt ist. Konnte ja keiner ahnen, dass sie sich nochmal zurücktraut."
„Mein Baby ist nicht zu unterschätzen.", grinste ich triumphierend.
„Und genau das ist der springende Punkt.", sagte Khalil, und ließ sich in seinem Schreibtischstuhl nieder.
„Der Joker gibt einen Fick auf Josy. Er hat sie mir ausgeliefert, und er würde es wieder tun."
Meine Miene verfinsterte sich.
„Aber sie würde nicht wieder darauf hereinfallen. Nach dem Bild was ich ihr gezeigt habe, wird sie sowieso nie wieder Vertrauen zu dir haben.", lachte er.
„Welches Bild?" Über meinem Kopf tanzten mehrere Fragezeichen. Was zum Teufel meinte er ?
Bösartig grinsend hielt er mir sein Handy vors Gesicht. Darauf war ich zu sehen, im Bürostuhl hinter meinem Schreibtisch im Hauptquartier.
Scheiße, ist das Vanessa?
„Du Hurensohn, das ist nie passiert!", brüllte ich, außer mir vor Wut.
„Du weißt das...ich weiß das...alle anderen hier wissen das auch. Aber Josy weiß es nicht. Und genau das ist mein Vorteil."
„Du kleiner Schwanz, das wirst du bereuen!"
„Genau darum geht es!", brüllte er nun. „Wärst du der Joker, würde es dich nicht im Ansatz jucken!"
Er beruhigte sich wieder, stellte sich aufrecht hin, und strich sein Shirt gerade.
„Solange du nicht der Joker bist, steht der Deal nicht." Er ging zurück hinter seinen Schreibtisch, setzte sich hin, und legte die Füße auf den Tisch.
„Bringt mir Josy.", wies er seine Leute an. Diese nickten, und verließen unverzüglich den Raum.
„Was?!", brüllte ich, völlig außer mir. Khalil machte eine Handbewegung, und ich wurde wieder abgeführt.
„Du dreckiger Hurensohn!", brüllte ich, gefolgt von jeder russischen Beleidigung die mir einfiel. 

Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt