Part 9 ~ Spaziergang

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Ich schlug langsam die Augen auf, und stellte fest dass ich in Samras Bett eingeschlafen war. Ich drehte meinen Kopf nach rechts und sah den Deckenberg, unter dem sich der Libanese verkrochen hatte. Leise gähnte ich vor mich hin und richtete mich ein kleines bisschen auf, sodass ich mich an die Rückwand des Bettes anlehnen konnte.
"Ausgeschlafen?", vernahm ich plötzlich eine tiefe Stimme aus der anderen Ecke des Zimmers. Ich schreckte auf und musterte Yacine, der lässig an der Wand gegenüber von dem Bett lehnte und mich angrinste.
"Was machst du hier?", fragte ich und spürte, wie mein Herz schneller zu schlagen begann.
"Dich beobachten. Du sieht süß aus, wenn du schläfst.", schmunzelte er und schenkte mir einen Blick, der ein komisches Gefühl in mir auslöste.
"Wo ist Vladislav?", fragte ich und richtete mich noch ein Stück auf.
"Vladislav? Hast du schon vergessen, was heute passiert ist? Ich weiß dass das hart ist und so, aber verdrängen ist halt auch keine Lösung.", sagte er kopfschüttelnd und lockerte seine verschränkte Haltung.
"Verdrängen? Was meinst du?", fragte ich ihn verwirrt.
"Die Schießerei? Wie auch immer, wir müssen jetzt los. Komm schon.", antwortete er und kam auf mich zu.
"Welche Schießerei? Und wohin? Ich bleibe hier. Ich lasse Samra jetzt nicht alleine.", entgegnete ich etwas wütend, während er mich nur bemitleidend musterte.
"Samra ist Tod, Josy. Und Capi auch. Akzeptier das einfach. Es bringt nichts, wenn du die Realität ignorierst."
Mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Tod? Wie konnte das sein? Er konnte nicht Tod sein, nein. Niemals. Sofort spürte ich einen stechenden Schmerz in meinem Herzen, der mir die Luft zu atmen nahm. Ich drehte mich nach rechts, riss die Decke neben mir weg und stellte fest, dass Samra nicht hier war. Umso schlimmer wurde der Schmerz und die Panik in mir.
"Du kannst nicht hier bleiben. Du musst mit mir mitkommen, um sicher zu sein. Grano wartet unten.", sagte Yacine mit ruhiger Stimme und legte seine Hand auf meine Schulter.

Wieder schreckte ich auf, und konnte kaum richtig atmen. Ich sah an mir herunter und sah Samra, dessen Kopf auf meinem Schoß lag. Er schlief seelenruhig, während ich mit dem Rücken am Kopfteil des Bettes lehnte. Ich wischte mir die einzelnen Tränen aus den Augen und fuhr dann sanft durch seine schwarzen Haare, um zu sehen ob das hier echt war. Nun konnte ich mich wieder beruhigen. Es war einfach nur ein mieser Abltraum. Immer wieder streichelte ich über seinen Kopf und konzentrierte mich darauf, seinem leisen Schnaufen zuzuhören.
Während ich einige Minuten einfach nur da saß und den schlafenden Samra beobachtete, fühlte ich mich selbst irgendwie beobachtet. Erst dann scannten meine Augen sein riesiges Zimmer ab und entdeckten tatsächlich jemanden. Es war Vladislav, der wie Yacine in meinem Traum mit verschränkten Armen lässig an der Wand lehnte, und ein Bein angewinkelt hatte.
"Wie lange stehst du da schon?", fragte ich ihn erschrocken und schluckte schwer.
"Eine ganze Weile."
"Warum?", fragte ich und merkte, wie mein Puls mal wieder schneller wurde.
"Zur Sicherheit. Ich will nur gucken, dass seine Hände über der Decke bleiben. Und diese Position da gefällt mir überhaupt nicht.", sprach er ruhig, aber todernst. So ernst, dass ich mich nun richtig unwohl fühlte.
"Vladislav, er schläft nur. Ich bin einfach froh, dass er noch lebt.", antwortete ich extra leise auf seine Aussage, um Samra nicht aufzuwecken. Er stieß sich von der Wand ab und kam mit langsamen Schritten auf mich zu. Neben dem Bett blieb er stehen, und hockte sich zu mir herunter.
"Das bin ich auch. Aber trotzdem sollte mein Kopf auf deinem Schoß liegen, Baby. Nicht seiner.", flüsterte er leise und musterte mich eindringlich.
"Du musst nicht eifersüchtig sein.", versuchte ich ihn zu besänftigen, und konnte mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen.
"Baby. Wenn ich nicht eifersüchtig wäre, solltest du dir ernsthaft Gedanken machen, oder?", sagte er darauf. Stimmt auch wieder.
"Komm mit runter, ich will mit dir reden.", sagte er und erhob sich aus seiner Hocke. Sofort wurde mir schlecht, und mein Herz begann zu rasen.
"Reden? Worüber?", fragte ich und spürte wie mir Tränen in die Augen schossen, weil ich einfach vom schlimmsten ausging. Er sah mich an und grinste dann leicht, was mich noch unsicherer machte.
"Würde ich Schluss machen wollen, dann hätte ich dich bei Kareem gelassen und wäre mit Samra abgehauen.", sagte er frech grinsend und zwinkerte mir zu.
"Wow, wie sensibel.", murmelte ich nur und stand dann auf, ohne Samra munter zu machen.
"Komm.", sagte Vladislav leise, nachdem ich die Zimmertür hinter mir geschlossen hatte.
"Worüber willst du reden?", fragte ich immernoch besorgt. Er kam ein Stück auf mich zu, presste seine Lippen zusammen und legte seine Hände auf meine Hüfte. Dann zog er mich an seinen Körper und bewegte sich ganz leicht, so als würde er in Zeitlupe mit mir tanzen.
"Über das, was heute passiert ist. Mach dir keinen Kopf, alles ist gut.", murmelte er und drückte einen liebevollen Kuss auf meine Stirn. Dann nahm er meine Hand und zog mich mit langsamen Schritten hinter sich her.
"Wo ist..."
"Schläft im Gästezimmer. Ist im Arsch für heute.", beantwortete er meine Frage, ohne dass ich sie aussprechen konnte.
"Wohin gehen wir?", fragte ich ihn, als er die Haustür aufschloss und sie für mich aufhielt.
"Nur ein bisschen spazieren.", antwortete er, drehte mir den Rücken zu und schloss die Tür wieder zu.
"Spazieren gehen? Seit wann gehst du denn bitte spazieren?"
"Was ist schlimm daran?", entgegnete er schulterzuckend, steckte den Schlüssel weg und holte den kleinen Abstand zu mir auf, um neben mir herlaufen zu können.
"Naja, es klingt halt komisch...das sagt man doch meistens, wenn man was bestimmtes vor hat. Jemanden umbringen oder so, da wo es keiner sieht." Es kam vielleicht ironisch rüber, aber eigentlich meinte ich es völllig ernst. Es war untypisch für Vladislav, einfach mal spazieren zu gehen. Und dass er in der Lage war ein Menschenleben zu beenden, hatte er bereits mehrmals deutlich gemacht.
"Stop, Baby.", sagte er und stellte sich plötzlich vor mich, um mich auszubremsen. Er nahm meine Hände in seine und sah mir in die Augen.
"Ich will weder mit dir Schluss machen, noch will ich dich killen.", er drückte meine Hände sanft und trat einen Schritt näher an mich heran.
"Ich will einfach mit dir reden, mehr nicht. Du sollst keine Angst vor mir haben, tamam?", sprach er sanft, strich durch meine Haare und kam mir nochmal näher. Ich nickte mit dem Kopf, und ließ mich dann von ihm in einen Kuss ziehen.
Nach einigen Sekunden löste er sich wieder von mir, schenkte mir ein zufriedenes Lächeln und nahm dann meine Hand, um wieder neben mir zu laufen.
"Bevor wir wegen der Sache heute reden, muss ich noch was loswerden.", sagte er neben mir und starrte nachdenklich auf den Boden, während wir weiter geradeaus liefen.
"Baby, ich will dir nicht drohen du weißt. Aber du weißt Dinge über mich, die niemals jemand anderes wissen darf.", sagte er und überlegte immer wieder, wie er den nächsten Satz anfangen sollte. Ich sah ihm an dass er Schwierigkeiten hatte, die richtigen Worte zu finden.
"Es geht um die Waffe, oder?", half ich ihm und lag anscheinend völlig richtig, denn sein Blick ging direkt erstaunt zu mir.
"Ich hatte da schon so ein Gespräch mit Samra. Vertrau mir, ich werde nichts sagen."
"Was hat er gesagt?", hakte er direkt nach, und ließ mich nicht aus den Augen. Sollte ich ihm sagen, wie das Gespräch verlaufen war? Wenn ich ihm jetzt sagen würde, dass er mir mit dem Klappmesser gedroht hatte würde er ausrasten. Das wäre das letzte, was wir im Moment gebrauchen könnten. Das galt für uns alle.
"Nur, dass es Ärger gibt wenn ich was sage. Auch von dir. Aber mach dir keine Sorgen, ich würde euch nie verraten. ", erklärte ich ihm so ruhig wie möglich, damit er nicht bemerkte wie nervös ich war. Er nuschelte ein kurzes "Okay", und wandte seinen Blick dann wieder ab.

Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt