Part 19 ~ Nackt

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"Zu.", rief Vladislav, der auf der Feuerleiter stand und nachsah, ob wir uns nicht vielleicht doch geirrt hatten.
"Hast du gehört?", fragte er, als ich ihm nicht antwortete. Ich hatte gerade ein ganz anderes Problem.
"Wo sind meine Sachen? Das kann doch nicht sein, ich seh die nicht. Boah, ich dreh gleich durch!", beschwerte ich mich wütend. Keine Ahnung, wie oft ich dieses bescheuerte Dach jetzt abgesucht hatte - meine Sachen waren weg.
"Öhm, Baby?"
"Nicht jetzt, ich muss meine Sachen finden. Ich renn hier splitternackt auf dem Dach rum, das ist nicht gerade angenehm."
"Was das angeht...", sagte er kleinlaut. Aufgebracht stolpterte ich zu ihm und sah, was er mir sagen wollte.
"Kann sein, dass ich deine Sachen irgendwie zu weit weggeschleudert hab, wo ich dich ausgezogen hab.", sagte er. Mein Slip hing einfach an der Regenrinne. Aber das war noch nicht das schlimmste. Als ich nach unten sah stellte ich fest, dass mein BH direkt vor der Haustür lag. Meine Shorts und das Top lagen einen halben Meter davon entfernt.
"Willst du mich verarschen? Wie weit hast du denn ausgeholt, dass das so weit fliegt?", stellte ich ihn schubsend zur Rede.
"Keine Ahnung, ich war übertrieben geil okay? Ich hatte keine Kontrolle über meinen Körper."
"Nicht nur über deinen Körper.", beleidigte ich ihn genervt.
"Ich versuch da ran zu kommen." Er legte sich auf den Bauch und versuchte, sich irgendwie meinen Slip zu angeln.
"Peinlicher gehts ja wohl nicht.", murmelte ich, und rieb mir über die Stirn.
"Was, wenn Samra nochmal rausgeht? Dann sieht der schön meinen doofen BH vor seinen Füßen liegen. Oder wenn Granit vorbeikommt? Gott, das kann doch nicht wahr sein."
"Dann wird wenigstens jemand auf uns aufmerksam.", scherzte er.
"Wenn ich dich vom Dach schubse, wird vielleicht auch jemand auf uns aufmerksam."
"Ja, aber dann kriegst du das Teil hier nicht wieder.", lachte er, während er weiter versuchte an das Stückchen Stoff heranzukommen.
"Hab!", rief er, hampelte mit dem Armen herum und sah dann nach unten.
"Oder auch nicht.", nuschelte er enttäuscht. Jetzt liegt das scheiß Ding auch noch vor der Haustür.
"Ich krieg die Kriese." Mit geschlossenen Augen stand ich da, und rieb mit genervt über die Stirn.
"Alles gut Baby, wir kommen schon runter.", sagte er besänftigend.
"Willst du mein Hemd? Zum anziehen?"
"Das ist süß, aber an deinem Hemd sind keine Knöpfe. Das würde nichts bringen."
"Hm. Dann nimm die Decke und mach die wie ein Handtuch. So drumwickeln, weißt du ?." Er hob die dunkelbraune Decke vom Boden auf, schüttelte sie ein paar mal kräftig aus und kam damit auf mich zu.
"Darf ich?", fragte er mit funkelnden Augen. Seufzend hob ich die Arme. Er grinste über beide Ohren, und wickelte mich dann ein wie eine Dönerrolle. Oder wie einen riesigen Joint, je nachdem wie man das betrachten wollte.
"Selbst in so einer Decke siehst du wunderschön aus.", schmeichelte er, und zog mich an sich heran.
"Ich würde wirklich gerne weitermachen, wo wir aufgehört haben. Aber je länger wir warten, desto mehr sinken unsere Chancen hier runter zu kommen. Und Ich hab kein Handy dabei."
"Ich auch nicht. Aber wenn wir weitermachen würden, wären wir wenigstens ungestört. Also dieses mal richtig.", grinste er.
"Das ist ernst, Vladislav. Ich stehe hier in einer scheiß Decke, und hatte nicht vor die Nacht auf dem Dach zu verbringen."
"Cüs Baby, jetzt zick mich mal nicht an. Ich kann auch nix dafür dass Samra das Fenster zugemacht hat. Außerdem hast du doch dein Top augezogen, nicht ich? Also hast du das selber runtergeschleudert, du dumme."
"Dumme? Du nennst mich dumm, wirklich?", fragte ich entsetzt.
"Naja, mit Gehirn ist da nicht viel.", sagte er im gleichen Tonfall, wie ich ihn vorhind beleidigt hatte. Ich wusste dass er das nicht ernst meinte, und sich nur rächen wollte. Aber es machte mich trotzdem mega wütend.
"Ey, du wolltest doch auf das dämliche Dach hoch!"
"Ja, schon klar dass du diese Karte ausspielst.", winkte er ab.
"Wenn du mich als dumm bezeichnest?"
"Du hast mich schwach genannt!"
"Das ist aber nicht das selbe!", schrie ich ihn an.
"Man Baby, das war Spaß. Du bist nicht dumm ja? Du bist schlau und so, ich hab Spaß gemacht.", nuschelte er, legte seinen niedlichen Blick auf und kam mir wieder näher.
"Idiot.", sagte ich gespielt beleidigt und schubste ihn sanft.
"Aber ein Idiot mit einem riesigen..."
"Sag's nicht!", unterbrach ich ihn drohend.
"Haus. Ich wollte Haus sagen."
"Nein, wolltest du nicht."
"Doch."
"Nein."
"Tu doch nicht so."
"Ok.", gab er zu, piekste mich ein paar mal in die Seite und hüpfte dann lachend von mir weg. Kopfschütteln beobachtete ich ihn, angesteckt von seinem Lachen.
"Warte mal, was ist mit Samras Balkon?", fiel es mir plötzlich ein. Er sah mich überrascht an. Der Balkon müsste doch perfekt sein, um hier runter zu kommen. Ich tapste an den Rand des Daches, und schaute nach unten.
"Guck mal, das geht. Das sieht nicht so hoch aus.", rief ich dem Ukrainer zu, der sich die Sache prüfend ansah.
"Ich komm da runter. Aber du kannst nicht klettern, wenn du ein Röllchen bist.", sagte er, ohne eine Miene dabei zu verziehen. Röllchen. Er hat wirklich Röllchen gesagt.
"Oder du kletterst nackt."
"Das hättest du wohl gerne.", schnaufte ich, tippte mit dem Finger auf meine Stirn und setzte mich an den Rand. Er setzte sich ebenfalls hin, rollte sich auf den Bauch und ließ sich dann runterrutschen.
"Ist echt nicht so hoch.", bestätigte er, als er mit einem dumpfen Geräusch auf den Füßen landete.
"Lass dich runterruschten, ich fang dich." Erst überlegte ich, doch dann stimmte ich zu. Es gab einfach keine bessere Möglichkeit.
"Oh man.", seufzte ich. Ein letztes mal zog ich die Decke richtig fest, bevor ich mich auf den Bauch kullerte.
"Schade, dass die Decke so lang ist.", lachte er, als ich seine Hände an meinen Knöcheln spürte. Schon fast mühelos zog er mich runter, bis ich in seinen Armen und somit ebenfalls auf meinen Füßen landete.
"So, jetzt müssen wir nur noch rein.", sagte er, und gab mich wieder frei.
"Die Tür ist zu. Der ist bestimmt in der Küche. Oder pennt.", stellte ich fest. Mehrmals klopfte ich gegen die Scheibe, aber es tat sich nichts.
"Ich kletter irgendwie runter, und donner gegen die Haustür."
"Meinst du echt der macht auf? Der weiß doch, dass du nen Schlüssel hast."
"Ja, sonst ruf ich halt einfach. Versuch du hier weiter."
"Moment, ich soll in dem Outfit in sein Schlafzimmer spazieren?."
"Entweder das, oder du kletterst mit mir die Hauswand runter.", sagte er schulterzuckend. Ich rollte mit den Augen, und widmete mich dann wieder der Scheibe zu.
"Komm schon.", fluchte ich, während ich weiter dagegenhämmerte.
"Gehts?", fragte ich ihn, und versuchte in das Zimmer zu gucken. Alles was ich sah, war Dunkelheit. Naja was hatte ich auch erwartet? Ein Nachtlicht? Ganz bestimmt.
Ich drehte mich um und stellte fest, dass Vladislav bereits weg war. Flink unterwegs, würde ich sagen. In dem Moment als ich mich wieder umdrehte, ging das Zimmerlicht an. Na endlich.
Samra war völlig auf sein Handy fixiert, und lief in Richtung Bett. Erst als ich zum wiederholten mal gegen die Fensterscheibe klopfte, bemerkte er mich. Seine Augen wurde groß, und sein Handy schien plötzlich unwichtig zu sein. Schön, dass er mich mal nicht ignorierte. Ich hätte ihm wirklich zugetraut, mich hier draußen stehen zu lassen. Er sah mich an, als wäre ich ein Geist. Ah, ich vergaß. Alles was ich trug, war ja nur diese dünne, braune Decke, die immer wieder rutschte. Er kam aus seiner Trance wieder heraus, und ging auf die Balkontür zu.
"Was soll das werden?", fragte er brummend, als er mich reinließ.
"Lange Geschichte, wir haben uns ausgesperrt... danke, bis dann.", sagte ich hastig, hielt meine Decke fest und huschte an ihm vorbei.
"Nein, warte!", rief er. Und dann passierte es.
Er wollte mich zurückhalten, und griff blind nach mir. Natürlich erwischte er nicht mich, sondern die Decke, die meinen nackten Körper bedeckte.
"Fuck!", rief er schrocken, während ich zeitgleich aufquietschte. Im selben Atemzug drehte er sich weg und hielt sich die Hände vors Gesicht, um nicht hinzusehen. Ich hingegen stand da wie eine behinderte und versuchte, alles mit meinen Händen und Armen zu verdecken.
"Oh Gott, ich heule gleich.", gestand ich aufgelöst. Ungelogen, ich hätte in dem Moment tatsächlich am liebsten geheult. Das war so beschämend, dass hätte so ein >Ups, peinlich!< Text in der Bravo werden können. Die Decke hatte er vor lauter Schreck von sich weggeschleudert, sodass diese jetzt so ziemlich am anderen Ende des Zimmers lag.
"Zieh das an." Er zog sein Shirt aus, und warf es blind nach hinten. Ich fing es ungeschickt auf, und schlüpfte so schnell ich konnte hinein. Zum Glück war er um einiges größer als ich und das Shirt relativ lang, sodass es mir glücklicherweise bis über den Hintern ging.
"Nimm die Hose, die liegt da." Ich sah auf sein Bett, wo eine schwarze, kurze Jogginghose von ihm lag.
"Aber die ist doch viel zu groß."
"Dann dreh ich mich jetzt wieder um."
"Nein, nein! Warte!", fuhr ich ihn hysterisch an, und schnappte mir die Hose. Vor lauter Panik dass er sich wirklich verfrüht umdrehen würde, verfehlte ich das Hosenbein und legte mich fast dabei noch fast auf die Fresse. Irgendwann hatte ich es dann geschafft, nicht mehr komplett entstellt dazustehen.
"Kannst wieder gucken.", sagte ich, und versuchte meinen Puls irgendwie wieder runter zu kriegen.
"Das war keine Absicht.", sagte er ruhig, und sah mich entschuldigend an. Ein Blick, den ich bei ihm eher selten zu sehen bekam. Mit fehlenden Worten sah ich ihn an, und nickte dann einfach nur. Mehr fiel mir irgendwie gerade nicht ein.
"Abgeschlossen.", sagte er, als ich mich wieder der Tür zuwenden wollte.
"Dann mach sie auf.", gab ich leise von mir. Das alles war mir so unangenehm, ich wollte einfach hier raus.
"Samra. Mach bitte auf, Vladislav steht vor der Haustür und wartet.", bat ich ihn erneut. Er sah mich mit verlorenem Blick an. Erst nach ein paar Sekunden reagierte er auf meine Bitte, und fuhr mit der Hand in seine Hosentasche. Er sah nach unten, wühlte nun auch in der anderen Tasche herum und schoss dann mit dem Kopf nach oben.
"Sag jetzt bitte nicht, du weißt nicht wo er ist.", sagte ich halb verzweifelt. Er sah sich im ganzen Zimmer um, hob seine Bettdecke hoch, und schmiss die Kissen beiseite. Aber er kam zu keinem Ergebnis.
"Warum schließt du überhaupt ab?"
"Damit mich keiner nervt.", gab er emotionslos von sich.
"Du meinst, damit ich dich nicht nerve? Keine Sorge, ich hätte sowieso nicht zu dir gewollt." Er ignorierte mich. Mal wieder. Gerade als ich dachte, er würde wenigstens etwas normal mit mir umgehen, wurde ich vor den Kopf gestoßen. Fraglich, Warum mich das überhaupt noch wunderte. Mittlerweile müsste ich das doch eigentlich gewohnt sein.
"Lan wo ist dieser scheiß Schlüssel?", schrie er und schmiss die Wasserflasche auf seiner Kommode um. Sie flog in hohem Bogen durchs Zimmer, wodurch ich aufgeschreckt einen Schritt zurück ging.
"Das fuckt mich ab, man.", brüllte er aggressiv.
"Beruhig dich, wir finden den schon."
"Sag mir nicht, was ich machen soll!", fauchte er in meine Richtung. Okay, ich sag lieber nichts mehr.
"Warte.", murmelte er plötzlich. Mit großen Augen sah er erst mich an, dann die Tür. Und dann kam er auf mich zu. Reflexartig hüpfte ich einen Schritt zur Seite, und machte mich auf das schlimmste gefasst. Doch er wollte nicht zu mir, sondern zur Tür. Mit mehr Kraft als notwenig gewesen wäre, drückte er den Türgriff herunter und riss die Tür auf. Dann schnaufte er, fuhr sich über seinen Bart, und knallte sie wieder zu. Er hatte also gar nicht abgeschlossen.
"Ich...geh dann.", stammelte ich, und ging vorsichtig zur Tür.
"Du kannst nicht aufmachen. Du hast keinen Schlüssel.", rief er mir mit einem genervten Seufzen hinterher.
"Ich weiß, wo Vladislav seinen Schlüssel versteckt."
"Woher?", fragte er direkt misstrauisch und runzelte die Stirn.
"Er hat es mir gesagt.", antwortete ich schulterzuckend, und drehte mich um.
Mit Eile hüpfte ich die Stufen hinunter, und nahm den Schlüssel aus Vladislavs Schuh heraus. Ich steckte ihn ins Türschloss, und schob den Riegel zur Seite.
"Halt, seit wann darfst du das? Wann wurde das beschlossen?", fragte Samra aufgebracht, nachdem er mir gefolgt war.
"Samra, lass gut sein okay?"
Ich öffnete die Tür, und hielt erschrocken die Luft an. Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet.

Mademoiselle ~ Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt