Prolog

881 8 10
                                    

~5.Juli~

„Trauer ist das Heimweh unseres Herzens nach dem Menschen, den wir lieben"

Das tiefe Loch, das ihr Verlust vor mittlerweile 17 Jahren in seinem Herzen hinterlassen hatte, hat Steffen an diesem Morgen zum Friedhof in seiner Heimatstadt Zirndorf geführt. Ein beklemmendes Gefühl hat sich um seine Brust gelegt, wie immer, wenn er vor ihrem Grab steht und versucht ihr nahe zu sein. Er spürte wie die Schuldgefühle immer stärker wurden und ein schreckliches Gefühl machte sich in seinem Bauch breit. Sie war einfach viel zu früh gestorben. Immer wieder fragte er sich, ob er ihren Tod hätte verhindern können. Hätte er früher etwas merken müssen? Eins war ihm bewusst. Er war nicht für sie dar gewesen in der Zeit, in der sie ihn am meisten gebraucht hätte. Er war egoistisch gewesen und hatte seine Karriere ihrem Wohlbefinden vorangestellt. Letztendlich hatte er einen der Menschen, die ihm von klein auf am wichtigsten gewesen sind, verloren. Nun lag es an ihm mit diesem Verlust zu Recht zu kommen. Es fühlte sich fast wie eine gerechte Strafe an, immer wieder von diesen Albträumen und Schuldgefühlen heimgesucht zu werden. Er hatte es nicht anders verdient. Der ziehende Schmerz in seiner Brust wurde immer stärker und er spürte wie er immer mehr gegen die Tränen ankämpfen musste. Er vermisste sie einfach.

Unterdessen schlug Filip nur wenige Kilometer entfernt im Elternhaus von Steffen die Augen auf und stellte verwirrt fest, dass die andere Betthälfte leer war. Während er sich erstmal an die ungewohnte Umgebung in Steffens Jugendzimmer gewöhnen musste, ging er einfach davon aus, dass Steffen kurz im angrenzenden Badezimmer verschwunden war. Doch mit jeder Minute, die verstrich, ohne das Steffen ins Zimmer zurückkehrte, machte sich ein seltsames Gefühl in Filips Körper breit. Bereits seit einigen Tagen hatte er das Gefühl, dass seinen Freund irgendwas belastete. Dem Tschechen war nicht entgangen, dass der Franke seit einiger Zeit vermehrt von Albträumen gequält wurde. Doch jedes Mal, wenn er ihn darauf ansprach, bekam er diese abweisende eiskalte Haltung zu spüren, die sich jedes Mal tief in seine Brust brannte. Wieso vertraute er ihm nicht? Was verheimlichte er? Er wollte ihm doch nur helfen, wusste jedoch einfach nicht wie, weil er ihn nicht mehr an ihn heranließ. Umso mehr machte ihn die bevorstehende Trennung aufgrund des Nationalmannschaftslehrgangs und die anstehenden olympischen Spiele in Tokio Angst. Bereits heute Nachmittag würde er ihn in Herzogenaurach abliefern und ihn bis Anfang August nicht mehr sehen. Bereits jetzt wusste Filip nicht wie er diesen Monat überstehen sollte. Auch wenn er sich natürlich wünschte, dass Steffen so schnell wie möglich wieder zurückkehren würde, hoffte er natürlich trotzdem, dass die deutsche Mannschaft möglichst weit kommen würde. Schließlich wusste auch er, dass es Steffens letzte Chance auf eine olympische Medaille war.

Als Steffen nach weiteren zehn Minuten noch nicht zurück war, begann sich Filip immer mehr Sorgen zu machen. Wo steckte er bloß? War er vielleicht bereits einfach schon nach unten ins Wohnzimmer zu seinen Eltern gegangen, weil er ihn nicht wecken wollte? Er entschied sich schließlich dazu, ihm eine Nachricht zu schreiben.

Das Vibrieren seines Smartphones in seiner Hosentasche, ließ Steffen in die Realität zurückkehren. Erschrocken stellte er bereits fest, dass es bereits so spät war. Er schien vollkommen das Zeitgefühl verloren zu haben. Seufzend öffnete er seinen Nachrichten Chat und realisierte, dass auch Filip sein Verschwinden bereits bemerkt hatte. Während er sich schnellstmöglich auf den Weg wieder zurück nach Hause machte, tippte er Filip schnell eine Antwort, dass er gleich zurück sein würde. Auf dem Rückweg versuchte Steffen bereits zweifelhaft sich eine schlüssige Ausrede für sein Verschwinden bereitzulegen. Auch wenn sich sein Magen allein bei dem Gedanken, Filip gleich anlügen zu müssen zusammenzog, war es einfach besser so. Er war noch nicht bereit Filip Teil dieses schrecklichen Kapitels seiner Vergangenheit werden zu lassen. Es war einfach besser so, wenn diese Seite von ihm Filip verborgen blieb.

Everything I didn't sayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt