150: Baumflucht

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Travis:

"Wenn jedes Molekül sich doch bewegt
Warum bleibt dann die Zeit grad mir dir steh'n?

Glaub mir, ich hab'
Ich hab' schon so viele Wunder geseh'n
Doch das schönste davon bist du
Und egal, was du mir erzählst
Irgendwie hör' ich dir grad nicht zu
Denn ich bin grade abgelenkt... "~ Wincent Weiss - Wunder gesehen

An Nikos muskulären Oberkörper gekuschelt liege ich mit geschlossenen Augen in meinem Bett und genoss einfach dieses unfassbar schöne Gefühl morgens neben ihm wachzuwerden. Seine Brust hob und senkte sich mit jedem Atemzug. Seine Hand streichelte meinen Kopf und ein Kribbeln durchströmte meinen Körper. "Hörst du mir eigentlich zu?", ließ mich Niko aus meiner gedanklichen Abwesenheit wieder zurück in die Realität gehen und ertappte mich dabei, dass ich ihm tatsächlich nicht zugehört hatte, weil ich damit beschäftigt gewesen war einfach diesen Augenblick zu genießen, denn ich wusste, dass ich bis nach den Weihnachtsfeiertagen auf das hier verzichten musste.

"Sorry", entschuldigte ich mich bei ihm und drehte meinen Kopf zu ihm, sodass ich in seine wunderschöne blauen Augen blicken konnte. "Ich wollte wissen, ob du morgen Abend zum Spiel kommst?", wiederholte Niko seine Frage. Seine Hand ließ nun von meinem Kopf ab und wanderte langsam meinen Arm hinab und das Kribbeln, welches diese Berührung verursachte, machte es mir erneut schwer mich zu konzentrieren. "Ja. Mein Vater hat schon geschrieben, dass er Karten besorgt hat. Hab extra meine Schicht so gelegt, dass ich rechtzeitig an der Halle sein müsste", beantwortete ich ihm breitgrinsend seine Frage. "Ich werde mich wieder so zusammenreißen müssen, dich nicht küssen zu wollen, wenn ich dich am Spielfeldrand stehen sehe", gestand Niko, wie schwer es ihm fiel dem Drang mich küssen zu wollen, widerstehen zu können. "Also meine Erlaubnis hast du", fügte ich frech grinsend hinzu, dass es für mich kein Problem wäre, wenn er mich in der Öffentlichkeit küssen würde. Im Gegenteil sogar. Ein Teil von mir sehnte sich förmlich danach, dass unsere Beziehung nicht nur zwischen diesen vier Wänden stattfand. Doch ich wusste worauf ich mich einlassen hatte. Und ich wusste, dass Niko noch Zeit brauchte und ich wollte ihn zu nichts drängen, was er im Nachhinein vielleicht bereuen würde.

"Netter Versuch", kam es gepresst aus seinem Mund. Da war sie wieder. Diese pure Angst. Augenblicklich hatte ich wieder ein schlechtes Gewissen. Ich stützte mich neben ihm auf der Matratze ab, um mich ihm besser zuwenden zu können. Meine Hand legte sich an seine Wange. "Wir gehen es in deinem Tempo an", versicherte ich ihm nochmal, dass ich ihn zu nichts drängen wollte. Ich würde das Versteckspiel mitspielen, so lange wie es eben nötig war. Er nickte nachdenklich. "Ich hab es noch nicht einmal meinen Eltern gesagt", gestand er. "Ich auch nicht", erwähnte ich, vielleicht in der Hoffnung, dass er sich dadurch besser fühlte.

Ich beobachtete ihn einige Sekunden lang. Ich konnte jedoch aus seinem Blick nicht ablesen, worüber er gerade nachdachte. "Manchmal frage ich mich, wieso ich das hier verheimliche. Es ist ja nicht so, dass ich Angst haben müsste, dass irgendwer aus der Mannschaft oder von den Gegnern ein Problem damit hätte. Ich glaube es scheitert eher daran, dass mein inneres Ich immer noch nicht akzeptieren möchte, dass ich nicht so hetero bin, wie ich immer gedacht habe. Ich weiß nicht einmal wie ich das hier bezeichnen soll", flossen die Worte wie aus einem Springbrunnen förmlich aus ihm heraus. Seine Hand wischte sich schnell eine Träne aus dem Gesicht und er schluckte schnell die heranrollende Tränenflut hinunter. Typisch Niko! Er wollte auf keinen Fall schwach wirken! Ich unterdrücke mir ein Schmunzeln, weil ich gerade mal wieder das Gefühl hatte mein jüngeres Ich vor mir zu sehen.

Ich hatte einst mit der gleichen Angst zu kämpfen. Der Angst nicht männlich genug zu wirken. Zu schwul zu sein. Mein Daumen begann über seine Wange zu streichen. Ich schaute ihm tief in die Augen. "Was macht es für einen Unterschied wie man eine sexuelle Orientierung bezeichnet? Das Einzige was für mich zählt, ist dass du hier neben mir liegst und mich durch deine Anwesenheit zu einem der glücklichsten Männer auf diesen Planeten machst. Wir fühlen uns zueinander hingezogen und das ist das Einzige, was von Bedeutung ist", versuchte ich ihm ein Teil seiner Panik loszuwerden.

Everything I didn't sayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt