144: Ein fremder Mann

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Es war kurz nach sechs Uhr in der Früh. Filip hatte fast ein schlechtes Gewissen, als er die Treppe nach unten kam und seine große Tochter in Laufklamotten müde gähnend vor der Wohnungstür wartend vorfand. "Morgen", grüßte diese ihren Vater, als sie auf ihn aufmerksam wurde. Sofort fiel ihr auf, dass er irgendwie müde wirkte. Dicke Augenringe zeichneten sein Gesicht und seine sonst gestylten Haare waren komplett verstruppelt. Sie wusste, dass sie gestern erst spät aus Wetzlar zurückgekommen waren, weswegen sie auch etwas überrascht gewesen war, als dieser sie gefragt hatte, ob sie Lust hätte, eine Runde laufen zu gehen. Vor allem auch, weil einige Zeit vergangen war, seit sie das letzte Mal zusammen laufen gewesen waren. Vermutlich musste es in der Sommerpause gewesen sein. Ob es mit der bitteren Niederlage zu tun hatte?

Lucie verdrängte die Gedanken und folgte stattdessen ihrem Vater nach draußen. Es war noch dunkel draußen und es herrschte eine feuchtkalte Luft. Zudem wehte ein eisiger Küstenwind. Die beiden joggten den Feldweg hinter dem Wohnviertel entlang. Anfangs schwiegen sie. Vielleicht auch dem geschuldet, dass die Beziehung der beiden in letzter Zeit ein ständiges Auf und Ab gewesen war. Jedoch vermissten die beiden die Zeit, in der sich noch über alles reden konnten.

"Alles gut bei euch?", fasste Lucie sich irgendwann ein Herz ihren Vater auf das Thema anzusprechen. "Ja...nein... Keine Ahnung. Die Niederlage gestern hat mich irgendwie mitgenommen. Ich weiß, dass es nicht gut ist und ich das Spiel einfach abhacken soll, aber keine Ahnung ich frag mich die ganze Zeit, ob es mein Fehler war. Ob ich die Jungs nicht ausreichend vorbereitet habe. Ob es daran lag, dass ich sie nicht richtig erreicht hatte, um ihr Selbstvertrauen wieder zu gewinnen, nachdem Klimpke so gut gehalten hat. Und irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass Steffen und meine Beziehung an dem bisherigen nicht so guten Verlauf der Saison schuld ist", öffnete Filip seiner Tochter sein Herz und offenbarte ihr seine Sorgen.

"Ihr habt ja an sich nicht schlecht gespielt. Klimpke hatte einfach einen überragenden Tag. Sowas kann man nicht beeinflussen. Und ich denke ich spreche im Namen ded Jungs, dass keine von ihnen eure Beziehung als Grund nennen würde, wenn es mal nicht so läuft wie erwartet. Die Jungs stehen hinter euch. Außerdem ist es totaler Blödsinn", versuchte Lucie ihr Glück die richtigen Worte zu wählen, um ihren Vater etwas aufzubauen.

Ein tiefes Seufzen entfuhr dessen Seele. "Früher war es mir nicht so wichtig, wie ich von den Fans wahrgenommen werde", gestand Filip. "Ich denke das ist normal, wenn man nicht mehr nur Spieler ist, sondern als Trainer für das gesamte Team verantwortlich ist", merkte Lucie an. "Ja. Meine größte Angst ist nur, dass der Verein, das Vertrauen in mich verliert", offenbarte er ihr nun seine Ängste. Lucie wusste worauf er anspielte. Sie hatte auch den ein oder anderen Kommentar auf Instagram gelesen, wo nach dem gestrigen Spiel der Rauswurf von Filip gefordert wurde. "Das sind ein paar Leute, die vermutlich einfach nur haten wollen, obwohl sie keine Ahnung von Handball haben. Du musst dir immer vor Augen halten, dass du in der Öffentlichkeit stehst, weswegen dich diese Hater beneiden, weil sie in irgendwelchen dunklen Kellern mit schlechten Internet sitzen", versuchte Lucie weiter ihr Glück, ihrem Vater Mut zuzusprechen. Die Liga wurde jedes Jahr schwerer. Es gab keine sicheren Punkte mehr. Überall besteht die Gefahr zu stolpern. Magdeburg würde dies auch noch irgendwann passieren, davon war Lucie überzeugt.

Filip hatte keine Lust mehr über dieses Thema zu sprechen. Schließlich hatte er sich von der Laufrunde erhofft auf andere Gedanken zu kommen. "Wie läuft das Studium?", erkundigte er sich, weil er in letzter Zeit zu selten sich erkundigt hatte, wie ihr Leben aktuell verlief. "Gut. Vic und ich ahben bereits zwei Übungsfälle abgegeben und haben für beide eine 1,3 bekommen. Nur mit Strafrecht hänge ich gerade etwas hinterher. Gestern kam ich auch nicht dazu, weil ich erst das Spiel geschaut habe, dann auf Matej aufpassen durfte und wir dann Mario Kart gespielt haben und als er im Bett war, hab ich noch mit Magi bissle geschrieben, bevor ich dann ins Bett bin", berichtete Lucie. "Du schaffst das schon, da bin ich mir sicher", meinte Filip hnd zwinkerte seiner Tochter zu.

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