116: Ein Umschlag der alles verändert?

105 7 6
                                    

Ungewöhnlich früh wurde Victoria an diesem Morgen wach. Bereits die ganze Nacht über hatte sie sehr unruhig geschlafen. Irgendwie wollten die Bilder von Steffen, der bewusstlos auf dem Spielfeld lag nicht aus ihrem Kopf verschwinden. Mehrere Male war sie in der Nacht schweißgebadet aufgewacht, sobald sich die Szene in ihrem Traum wieder abgespielt hatte. Zwar hatte Lucie ihr geschrieben, dass es lediglich eine Gehirnerschütterung war und es Steffen den Umständen entsprechend wieder gut ging. Trotzdem ließ sie der Gedanke nicht los, was passiert wäre, wenn es ihn schlimmer erwischt hätte. Sofort versuchte sie diesen Gedanken wieder zu verdrängen. Er war derjenige gewesen, der sie damals weggeben hatte. Er hatte sie nie geliebt. Er hatte sie nicht in seinem Leben gewollt und das musste sie akzeptieren. Sie hatte hier ihre Familie, die sie über alles liebte. Doch tief in ihr schlummerte dann doch dieses Bedürfnis zu erfahren, wieso er sie damals weggegeben hatte. Doch die Angst vor der Wahrheit war größer, weswegen sie dieses Bedürfnis schnell wieder verdrängte. Sie schüttelte ihren Kopf, als würde sie so diesen Gedanken wieder weit in ihr Gehirn zurückdrängen wollen.

Müde schälte sich die 17-Jährige aus der Bettdecke hervor und warf einen Blick auf ihre Smartphone. Es war gerade einmal kurz nach halb acht und das obwohl sie bis kurz vor neun hätte schlafen können, weil die Online-Vorlesung erst um neun beginnen würde. Doch auch wenn sie sich vollkommen ausgelaugt fühlte war an Schlaf irgendwie nicht mehr zu denken, weswegen sie verschlafen aus ihrem Zimmer tapste. Ihre Beine trugen sie nach unten in die Küche. Sie brauchte dringend Kaffee. In dieser fand sie ihre Mutter und Travis wieder, die sich gerade unterhielten und zusammen einen Kaffee tranken. Travis trug bereits sein Outfit für die Arbeit, weil er vermutlich bald los musste. Ihre Mutter trug wie eigentlich immer ein Kleid. Sie hatte ihre Mutter glaub noch nie in bequemen Freizeitklamotten gesehen. Als diese ihre Tochter bemerkte, schaute sie überrascht auf. "Was hat dich denn bitte so früh aus dem Bett geworfen?", wunderte sie sich darüber, dass ihr Morgenmuffel bereits so früh auf den Beinen war. Als Antwort bekam sie nur ein müdes Gähnen. Travis stand auf, um seiner Schwester einen Kaffee zu machen, während sich diese erschöpft neben ihre Mutter an den Esstisch setzte.

"Wo ist Papa?", erkundigte sich Victoria. "Der hat ein paar geschäftliche Termine heute und morgen. Wir fliegen dann morgen Abend wieder zurück", antwortete ihre Mutter. Travis stellte die dampfende Kaffeetasse vor seiner Schwester auf den Tisch, die ihm dankbar zulächelte. Ihre Mutter und Travis warfen sich einen kurzen Blick zu, bevor sie sich dafür entschieden Victoria den Umschlag zu geben. "Wir haben noch etwas für dich. Ich wollte es dir bereits gestern geben, aber Travis hat gemeint, dass du es nicht unbedingt an deinem Geburtstag erfahren willst", sagte ihr Mutter und stand auf, um den Umschlag aus ihrer Jackentasche im Flur zu holen. Eine großes Fragezeichen bildete sich über Victorias Stirn. Wovon sprach ihre Mutter? Diese kam mit einem Umschlag zurück und legte diesen vor ihrer Tochter auf den Tisch. "Was ist das?", fragte Victoria verwirrt und nahm den Umschlag in die Hand.

"Ein Brief vom Jugendamt", antwortete ihre Mutter und strich ihr liebevoll über die Wange, während Victoria jedoch nur noch verwirrter war. Was wollte das Jugendamt von ihr? Sie war volljährig, also würden diese sie schlecht von ihren Eltern wegnehmen können? Oder doch? "Und was wollen die?", fragte sie, weil sie sich irgendwie nicht traute, den Brief aus dem Umschlag zu holen. Ihre Mutter legte ihre Hände auf die von ihrer Tochter und schaute dieser tief in die Augen. Sie holte einmal tief Luft, bevor sie mit der Wahrheit rausrückte.

"Dein Vater möchte Kontakt zu dir aufnehmen", schlugen die Worte ihrer Mutter wie ein Tsunami vollkommen unerwartet auf die mittlerweile 18-Jährige ein. Sie schüttelte ungläubig den Kopf, während ihr Tränen in die Augen stiegen. Das konnte nicht sein. Sie zog mit zittrigen Händen den Brief auf dem Umschlag. Sie wollte sich vom Gegenteil überzeugen. Doch da stand es schwaz auf weiß. "Sie geben ihm doch die Adresse nicht ohne meine Zustimmung, oder", fragte Vic und zitterte am ganzen Körper. Allein die Vorstellung Steffen Weinhold würde irgendwann morgens vor ihrer Haustür stehen. "Nein. Sie geben deine Daten nur nach deiner Zustimmung weiter", versuchte ihre Mutter ihre Tochter wieder zu beruhigen, die vollkommen aufgebracht zu sein schien.

Everything I didn't sayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt