111: Geburtstagsüberraschung

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Vic:

Es fühlte sich irgendwie komisch an, als ich an diesem Morgen die Augen aufschlug. Zwar sagte mir mein Handy, dass heute der 13.11. sei. Mein Geburtstag. Doch irgendwie fühlte es sich an diesem Morgen nicht so an, als wäre heute mein Geburtstag. Normalerweise war es immer der schönste Tag im Jahr gewesen, weil es der einzige Tag im Jahr gewesen war, an dem ich zu hundert Prozent sicher sein konnte, dass meine Eltern sich freinehmen würden. Meine Großeltern hatten uns in Spanien besucht und wir hatten als Familie immer etwas schönes zusammen unternommen. Meistens hatte ich vor lauter Vorfreude die Nacht kaum ein Auge zubekommen und war für meine Verhältnisse immer sehr früh schon wach gewesen, weil ich mich so darauf gefreut hatte, dass die gesamte Familie zusammen war und natürlich hatte ich es nicht erwarten können, die Geschenke auszupacken. Doch heute spürte ich kein bisschen von der üblichen Vorfreude. Ganz im Gegenteil! Ich fühlte sogar ein mulmiges Gefühl im Bauch. Es war mein 18.Geburtstag. Doch ich hatte keine Ahnung, ob meine Eltern nur deswegen den langen Weg nach Kiel auf sich nehmen würde. Ich hatte keine Ahnung, ob Travis heute arbeiten musste oder nicht. Ich hatte gestern Abend nicht mitbekommen, wann und ob er nach seinem emotionalen Zusammenbruch gestern nach Hause gekommen war. Somit hatte ich keine Gelegenheit gehabt ihn darauf anzusprechen.

Lucie hatte mich gefragt, ob ich zum Heimspiel des THW Kiels gegen den BHC in der Halle sein würde. Ich hatte ihr gesagt, dass ich keine Ahnung hatte, ob für heute irgendwas besonderes geplant war. Sie hatte mir angeboten, wenn ich mich noch kurzfristig entscheiden würde, eine Karte zu besorgen. Eigentlich sträubte sich mein Körper dagegen aufzustehen, denn ich hatte irgendwie Angst, dass ich enttäuscht werden würde, wenn ich feststellen würde, dass ich den heutigen Tag alleine verbringen müsste und keiner an meinen 18.Geburtstag gedacht hätte. Doch da es bereits kurz vor neun war, zwang ich mich dann doch dazu, aufzustehen, weil ich irgendwie auch nicht meinen 18.Geburtstag im Bett verbringen wollte.

Müde gähnend steuerte ich den Schrank an und entschied mich kurzerhand dazu, mir auf jeden Fall trotzdem etwas schickes anzuziehen. Ich zog das hautenge weiße Oberteil mit dem roten Blumenmuster aus dem Schrank. Kurz überlegte ich den schwarzen Rock anzuziehen, doch da der Wetterbericht mal wieder bewölkt und unter 10 Grad anzeigte entschied ich mich dann für eine schwarze Jeanshose. Als ich in den Flur trat lauschte ich. Ich vernahm das Geräusch der Kaffeemaschine, machte mir jedoch keine großen Hoffnungen. Schließlich bedeutete das lediglich, dass Travis noch zuhause war. Ich nahm mir die Zeit, die ich brauchte und glättete meine blonden schulterlangen Haaren und schminkte mich etwas mehr als ich es normalerweise tat. Es war schließlich immerhin mein Geburtstag. Auch wenn es sich nicht so anfühlte. Als ich mit dem Endergebnis zufrieden war, verließ ich das Badezimmer und lief die Steintreppe nach unten, wobei ich augenblicklich wieder an den gestrigen Morgen denken musste und dieses schlechte Gewissen sich in meinem Magen breitmachte.

Je weiter ich nach unten kam, desto mehr wehte mir ein leckerer Essengeruch entgegen. Ich meinte, dass jemand irgendetwas auf dem Herd in der Pfanne bruzelte und es nach frischen Brötchen roch. Doch vielleicht war das auch Wunschdenken und ich bildete mir das Ganze so ein, weil es früher immer so gewesen war. Dann meinte ich jedoch Stimmen zu hören. "Denkst du nicht, dass sie es erfahren sollte?", meinte ich eindeutig die Stimme meiner Mutter erkannt zu haben. Mein Herz begann aufgeregt gegen meinen Brustkorb zu schlagen. "Ja. Das mein ich gar nicht. Ich will nur nicht, dass sie es heute erfährt. Es ist immerhin ihr 18. Geburtstag und der sollte ihr anders in Erinnerung bleiben", hörte ich eindeutig die Stimme meines großen Bruders. Verwirrt runzelte die Stirn. Worüber sprachen die beiden?

Ich bog in die Küche ab und die Fragen, die ich für einen Moment hatte, waren augenblicklich verschwunden, als ich meinen großen Bruder am Herd entdeckte wie er zeitgleich Waffeln machte und es schaffte, dass das Spiegelei in der Pfanne nicht schwarz wurde. Neben ihm stand meine Mutter, während mein Vater mit der Zeitung in der Hand bereits an dem fertig gedeckten Frühstückstisch saß und eine Tasse Kaffee trank. Ich hatte das Gefühl zu träume. und augenblicklich war dieses seltsame Gefühl verflogen und ein breites Grinsen huschte über meine Lippen, während ich das was ich sah, kaum glauben wollte. Mein Vater war der erste, der mich entdeckte. Sofort legte er die Zeitung beiseite. "Da ist sie ja unsere Große", machte er auch die anderen beiden auf mich aufmerksam. Ich war vollkommen überwältig. "Ihr seid extra...hierher gekommen", stammelte ich fassungslos, während ich mir die ein oder andere Träne verdrücken musste. Es war wie früher. Zumindest fast. "Natürlich. Wir lassen uns doch nicht entgehen, wenn unsere kleine Maus volljährig wird", vernahm ich die warme liebevolle Stimme meines Vaters. Er war aufgestanden und stand nun direkt vor mir und zog mich in seine typische beschützende, feste Umarmung. "Alles Gute zum Geburtstag meine Große", wünschte er mir und drückte mir einen liebevollen Kuss auf die Stirn, was er wirklich fast nie tat. Danach löste er sich schnell wieder, denn das war gerade eindeutig genug an gefühlstechnischem Ausbruch meines Vaters, doch ich war es nicht anders gewohnt.

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