132: Von Panikattacken, Wutausbrüchen und Schnitzelklopfern

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Vic:

Ich war von oben bis unten durchgeschwitzt als hätte ich ein sechzigminütiges Handballspiel absolviert, als ich in der Stadt bei Toni's ankam und schwungvoll die Tür zum Restaurant öffnete. Auch wenn ich wusste, dass Travis vermutlich keine Zeit hatte, weil er alles in der Küche für die Abendkundschaft, die hier in gut einer Stunde eintreffen würde, vorbereiten musste, hatte ich nicht gewusst, wohin ich sonst hätte gehen sollen. Ich hatte einen komplett anderen Plan für den heutigen Tag gehabt, doch dieser Anruf hatte mich förmlich aus der Bahn geworfen. Meine Wangen glühten und ich machte vermutlich eine Tomate Konkurrenz. Meine Haare waren vom stürmisch, nassen Wetter draußen zerstört und ich muss vermutlich generell erbärmlich wirken.

Wie zu erwarten war das Restaurant leer, weil dieses erst wieder in gut einer Stunde öffnen würde. Als ich den Raum betrat verspürte ich dieses unangenehme Gefühl im Bauch. Ich sollte gar nicht hier sein. Doch ich musste jetzt einfach mit Travis reden. Ich wusste nicht wann ich mich das letzte Mal so rastlos gestrandet gefühlt hatte, wie ein Wal der an die Küste angespült worden war. Ich entdeckte eine vertraute Person, die gerade dabei war, die frisch gespülten Gläser an der Theke einzusortieren und atmete erleichtert auf. Carina! Meine Rettung!

Zielstrebig stapfte ich auf sie zu. Sie hatte mich bisher noch nicht entdeckt und ich hatte auch Angst sie anzusprechen, nicht, dass sie vor Schreck ein Glas fallen lassen würde und ich dem Restaurant ein Glas schulden würde und ihnen noch unnötige zusätzliche Arbeit aufbrummen würde. Im selben Moment drehte sie sich um und zuckte erschrocken zusammen als sie mich sah. Bei meinem Anblick hätte ich vermutlich jedoch nicht anders reagiert. "Vic...Süße...oh Gott, was ist denn bitte mit dir passiert?", fragte sie erschrocken und musterte mich besorgt von oben bis unten. Vermutlich sah ich aus als hätte ich gerade einen Geist gesehen, wobei dies sogar etwas der Wahrheit entsprach. Etwa genauso schockierend war der Anruf vorhin gewesen.

Ich wollte es irgendwie immer noch nicht glauben, dass mein leiblicher Vater mich vor wenigen Minuten angerufen hatte. Die Art und Weise wie er meinen Namen ausgesprochen hatte. Bei dem Gedanken lief ein eiskalter Schauer über meinen Rücken. Obwohl ich innerlich glühte, als würde ich in einer Sauna gefangen sein, begann ich auf einmal wieder am ganzen Körper zu zittern. Ich wollte auf ihe Frage antworten, bekam aber keinen Ton heraus. Stattdessen war da wieder dieses beklemmende Gefühl auf meiner Brust, welches es mir unmöglich machte richtig Luft zu bekommen. War das schon wieder eine Panikattacke? Meine Beine fühlten sich an wie Wackelpudding. Ehe ich reagieren konnte, hatte mir Carina bereits einen Stuhl unter den Arsch geschoben, um sicher zu gehen, dass ich nicht noch umkippte. Sie stellte mir ein Glas Wasser auf den Tresen und schaute mich auffordernd an. "Trink erstmal was und dann atme tief aus und ein", sie machte es mir vor, wie ich atmen sollte. Tatsächlich half es. Zumindest schaffte ich ein krächzendes "Travis" von mir zu geben.

Ich spürte die Hand von Carina auf meiner. "Ich hol ihn", sagte sie und war im selben Moment bereits in der Küche verschwunden. Ich krallte mich unterdessen an dem Glas fest, als wäre es ein Rettungsring, welcher mich vor dem Ertrinken bewahren würde. "Vic...", Travis kam mit einem ähnlichen besorgten Blick aus der Küche gestürmt und nahm mich erstmal wortlos in den Arm. Wie sehr hatte ich seine Umarmungen schon immer geliebt. Sie waren so unfassbar beruhigend und wärmend. Seine Augen musterten mich besorgt. "Hey...was ist denn los?", versuchte er herauszufinden, was geschehen war.

Seine Umarmungen wirkten und ich schien meine Sprache wiedergefunden zu haben. "Mein Vater... er hat...mich angerufen", platzte es aus mir heraus. Bevor ich selbst kapierte, was geschah, rollten mir die Tränen über die Wange und ich wusste nicht einmal, weswegen ich weinte. Vermutlich, weil ich körperlich und seelisch gerade vollkommen am Boden war. Travis große Hand strich beruhigend über meinen Rücken und er verstärkte seine Umarmung. Ich holte tief Luft, bevor ich weitersprach. "Es war..es war so unerwartet...und komisch...und dann hab ich vor Schreck das Telefon fallen lassen und ausversehen aufgelegt, bevor ich wusste, was er überhaupt wollte", berichtete ich.

Everything I didn't sayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt