Everything I didn't say

34: Das Ganze Ungsagte

Es war kurz nach acht als Travis sein Smartphone auf der Küchentheke ablegte, um die Hand frei zu haben, um sich ein Glas Wasser einzuschenken. Er nahm gerade einen Schluck, als er Schritte auf den Treppenstufen hörte. Es dauerte nicht lange, da kam seine kleine Schwester, ebenfalls in Sportklamotten in die Küche. Travis brach erstmal in lautes Gelächter aus, schließlich trug seine Schwester nicht nur eine lange Sporthose, sondern hatte sich ihren Aufwärmpulli des RM Granollers über ihr Adidas Sportshirt gezogen. Vic hingegen war geschockt, dass ihr Bruder anscheinend in kurzer Hose und T-Shirt nach draußen wollte. Im Gegensatz zu ihr schien er sich an das norddeutsche Klima bereits gewöhnt zu haben, während sie das Gefühl hatte im Winter gelandet zu sein. "Hast du vor in Ski Urlaub zu gehen?", fragte sie ihr Bruder belustigt. "Es hat gerade mal 14 Grad", machte sie ihm bewusst, wie kalt es draußen war. Doch ihr Bruder schien weiterhin unbeeindruckt zu sein und an seiner leichten Bekleidung festzuhalten.

Das Smartphone ihres Bruders, welches neben ihr auf den Küchentheke lag, begann zu vibrieren. Normalerweise war sie nicht der neugierige Typ und schätzte Privatsphäre. Doch irgendwie suchten ihre Augen instinktiv das Handydisplay. Dort blinkte eine Nachricht, von einem gewissen Finn auf. "Aha...Finn", konnte sie es nicht lassen ihren großen Bruder aufzuziehen, indem sie verführerisch mit den Augen klimperte. Gab es da etwas, was ihr Bruder ihr verschwieg? "Geht da was?", fiel sie sofort mit der Tür ins Haus, obwohl sie wusste, dass dieses Thema ebenso schwierig war, wie vieles andere. "Nein", kam es nur knapp und Travis zog ihr das Handy wieder aus der Hand. Sofort hatte sie wieder diese abblockende Haltung zu spüren bekommen. "Ach komm. Ich bin seit fast drei Wochen hier und hab keine Ahnung, ob du einen Freund hast oder nicht. Das Einzige was ich weiß ist, wo du arbeitest, aber ich hab keine Ahnung, was du neben der Arbeit sonst so treibst", versuchte Vic weiterhin das Glück nun wenigstens ein paar Informationen aus ihrem Bruder hinauskitzeln zu können.

"Es gibt nichts zu erzählen", kam es daraufhin knapp und Travis lief an ihr vorbei Richtung Flur, um deutlich zu machen, dass das Gespräch an dieser Stelle nun wieder beendet war und sie jetzt los gehen sollten. Er begann sich wortlos die Laufschuhe anzuziehen. Genervt verdrehte Vic die Augen. Wie gerne wünschte sie sich die alten Travic-Zeiten zurück. Damals hatten sie sich noch so gut wie alles erzählt. Doch der Unfall schien ein Teil von Travis für immer mit sich genommen zu haben. Zwar war er nicht mehr ganz dieser gefühlslose Eisklotz, doch nach wie vor, war er nicht mehr der Alte. Seufzend begann Vic ebenfalls ihre Joggingschuhe anzuziehen, bevor sie ihrem Bruder aus dem Haus folgte. Ein eiskalter Wind bliss ihnen entgegen, doch Travis zuckte im Gegensatz zu seiner Schwester nicht erschrocken zusammen. "Boah ist das kalt", fluchte Vic und begann wie ein Känguru auf und abzuspringen, bis Travis die Haustür abgeschlossen hatte. "Sicher, dass du wirklich nach Kiel zum studieren ziehen willst?", fragte Travis skeptisch, bevor sich die beiden Geschwister im Gleichschritt Richtung Strand joggten. Sofort verdunkelte sich das Gesicht der 17-Jährigen, als ihr Bruder sie auf die anstehende Studienplatzentscheidung ansprach. Vor zwei Tagen hatte sie bereits eine Zusage aus Barcelona erhalten und heute Morgen war ebenfalls die Zusage aus Kiel eingetroffen. Nun stand sie vor der befürchteten schwierigen Entscheidung. Ihr Herz wollte in Kiel studieren. Ihr Verstand sagte ihr jedoch, dass es vielleicht besser wäre in Spanien zu bleiben, schließlich würde ihr sonst eine anstrengende Diskussion mit ihren Eltern bevorstehen.

Travis erkannte sofort an ihrer Miene, dass er wohl gerade einen wunden Punkt getroffen hatte. "Sag bitte nicht die haben dich in Kiel mit einem 1,0 Schnitt nicht angenommen?", fragte er erschrocken. Erst jetzt wurde Vic aus ihren Gedanken wieder zurück in die Gegenwart geholt. "Ja... nein", stammelte diese erstmal verlegen, woraufhin ihr Bruder jedoch noch verwirrter war. "Was jetzt?", hackte er nochmal nach. "Ich wurde sowohl in Kiel als auch in Barcelona angenommen und darf mich jetzt wohl entscheiden", erklärte sie ihm, während sie in Gedanken ihre Pro und Contra Liste durchging, die sie bereits seit Wochen führte. Diese hatte jedoch bisher nicht geholfen. Doch weil sie nicht mehr weiter über dieses Thema sprechen wollte, entschied sie sich dazu, nochmal einen Versuch zu starten, herauszufinden wer Finn war. "Und wer ist jetzt dieser Finn?", wollte sie wissen und warf ihrem Bruder einen breites Grinsen zu. Dieser verdrehte sofort wieder die Augen. Seine Schwester war schon immer hartnäckig gewesen. Er wusste, dass sie nicht nachlassen würde, bis er mit einigen Details rausrücken würde. Also begann er seufzend zu erzählen. "So ein Typ aus dem Fitnessstudio, der mir vor ein paar Tagen seine Nummer gegeben hat. Ich hab ihn aber auch nur angeschrieben, weil Carina nicht locker gelassen hat. Jetzt schreiben wir halt ein bisschen", fasste er das Ganze knapp zusammen.