91: Kochstunde

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Niko:

Prüfend schaute ich mich in meiner Wohnung um, die ich den ganzen Vormittag auf Vordermann gebracht hatte, um sicherzustellen, dass es akzeptabel war Besuch zu empfangen. Vermutlich war meine Wohnung so ordentlich wie seit langem nicht mehr. Im Schlafzimmer stand bereits mein fertig gepacktes Gepäck für die Nationalmannschaftswoche, zu welcher ich morgen früh aufbrechen musste. Ursprünglich hatte ich geplant, dass ich bereits sonntags fahren würde, um einen Tag bei meiner Familie in Wien vorbeizuschauen. Doch als Travis vorgeschlagen hatte, dass wir uns heute Nachmittag treffen könnten, hatte ich mich dann gegen den Besuch zuhause entschieden. Ich würde sie ja nach dem Testspiel in der Halle sehen. Nervös lief ich im Wohnzimmer auf und ab, denn Travis sollte jeden Moment hier aufkreuzen. Ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal so nervös gewesen war. Nicht einmal vor dem Topspiel gegen den SC Magdeburg war ich so aufgeregt gewesen. Soweit ich mich erinnern konnte, hatte ich das letzte Mal eine ähnliche Nervosität verspürt, als ich mein erstes Date mit Nina, mit der ich etwas später dann, fast drei Jahre lang eine glückliche Beziehung geführt hatte. Letztendlich war unsere Beziehung aufgrund der Corona Pandemie in die Brüche gegangen, weil ich in Kiel und sie in Wien festsaß. Augenblicklich fragte ich mich, ob ich das heutige Treffen als "Date" bezeichnen konnte? Nein! Es war ein Treffen zweier guter Freunde. Schnell versuchte ich diesen Gedanken zu verdrängen, denn dieser machte mich noch nervöser.

Das Vibrieren meines Smartphones holte mich wieder zurück in die Realität. Es war Travis. Ich spürte förmlich die Panik durch meinen Körper jagen. Bitte sag nicht, dass er doch nicht aus dem Restaurant wegkam! Hastig überflog ich die Wörter in seiner Nachricht. "Ich hoffe du hast Hunger mitgebracht", hinterließ dessen Nachricht ein großes Fragezeichen auf meiner Stirn. Ich beeilte mich ihm zu antworten: "Mittlerweile solltest du wissen, dass ich immer Hunger habe." Keine zwei Sekunden später ploppte ein "Perfekt. Bin gleich da", auf. Ich hatte noch nicht einmal mein Handy wieder in meine Hosentasche gesteckt, da klingelte es bereits an der Tür. War das sein Verständnis von Gleich? Hastig strich ich mir über den Kopf. Saß meine Frisur? Wieso war mir das überhaupt wichtig? Prüfend blickte ich an mir herab. Ich trug eine hellblaue Jeans und ein weißes Shirt. War das passend? Wieso war ich schon wieder so nervös? Ich atmete tief durch, bevor ich die Tür öffnete.

"Du hast ein interessantes Verständnis von "Gleich"", sagte ich, während ich die Tür noch nicht einmal richtig geöffnet hatte. Augenblicklich blieb mir der Mund offen stehen, als ich Travis breitgrinsend vor meiner Wohnungstür stehend sah mit drei Einkaufstüten in der Hand. "Hast du den Einkaufsladen leergekauft?", scherzte ich. "Ich hab nur ein paar Zutaten gekauft, um ein leckeres Mittagsessen zaubern zu können und dir mal kochen beizubringen", antwortete Travis und zwinkerte mir zu. "Hey, schön dich zu sehen", fügte er lächelnd hinzu, bevor er mich etwas überraschend kurz umarmte, während ich etwas wie eine Statue in der Wohnungstür stand. Dieses kribbelnde Gefühl in meinem Bauch, als ich die Wärme seine Körpers direkt an meinem spürte, schien mich wieder auftauen zu lassen. "Du bekommst wohl nie genug von Kochen oder wie soll ich das jetzt verstehen", erwiderte ich schmunzelnd, bevor ich ihm zwei der Tüten abnahm und ihn eintreten ließ. Ich wartete bis er sich die Schuhe und die Jacke ausgezogen hatte. Wie sehr ich es auch versuchte dem Drang zu widerstehen, konnte ich nicht verhindern, dass meine Augen ihn prüfend unter die Lupe nahmen. Er trag ein hautenges hellgraues T-shirt, dass seine Muskeln betonte. Dazu eine ebenfalls engsitzende Jeans, die seinen Hintern betonte. Niko! Erneut ermahnte ich mich. Seine dunklen Haare waren etwas verstrubbelt, aber ich fand, dass machte ihn immer nochmal etwas süßer, als wenn sie perfekt gestylt waren.

Ich führte ihn in meine Küche, um die Tüten dort abzustellen. Als Travis meine Küche sah, begannen seine Augen zu leuchten. "Unvorstellbar, dass eine so traumhafte Küche so selten genutzt wird", schüttelte er ungläubig den Kopf. "Ich hab das Talent zum Kochen einfach nicht geerbt", verteidigte ich mich, wieso ich so selten kochte. Ich war froh, dass ich es schaffte ein Schnitzel anzubraten oder Nudeln oder Reis zu kochen. Alles was darüber hinausging, endete immer in einer nicht genießbaren Pampe. "Erstens Kochen hat nichts mit Talent zu tun, es ist eine reine Übungssache und zweitens wie hast du die letzten Jahre bloß überlebt?", war Travis Antwort darauf und er schaute mich mit einer Mischung aus Belustigung und Schockiertheit an. "Erstens gibt es so eine gute Erfindung wie Restaurants und Lieferservice und zweitens muss du es nur immer geschickt anstellen und dich bei deinen Mitspielern immer zufällig zum Mittagessen einladen", erklärte ich ihm meine Geheimstrategie. Schmunzelnd erinnerte ich mich daran zurück, als Lukas noch in Kiel gespielt hatte. Ich glaub ich war fast jeden Tag bei ihm zum Mittagessen. "Du bist hinterlistiger als ich dachte", entfuhr es Travis und ich spürte wie er mir empört gegen die Schulter boxte. Unsere Blicke trafen sich und augenblicklich, schaffte ich es nicht mehr mich von seinen braungrünen Augen loszureißen. Jedes Mal sahen seine Augen etwas anders aus. Je nachdem wie das Licht fiel. Gerade dominierte das Grün. Ich spürte wie ich verlegen begann mit meinen Fingern zu spielen und mir dieser intensive Blickkontakt unangenehm wurde.

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