86: Wieder in Freiheit

140 7 4
                                    

Steffen:

Ich wusste nicht, wann mir das letzte Mal im Leben ein so großer Stein der Erleichterung vom Herzen gefallen war, als ich vor ein paar Minuten mein negatives Testergebnis in den Händen gehalten hatte. Mit dem Fahrrad war ich anschließend direkt zu der Wohnung von Filip gefahren. Mein Herz schlug nervös gegen meinen Brustkorb, während ich vollkommen außer Atem mich die letzten Treppenstufen nach oben zur Wohnungstür hinaufschleppte. Meine Kondition schien ordentlich unter der Infektion gelitten zu haben. Doch ein Energieschub wie seit langem nicht mehr durchflutete meinen Körper. Ich war endlich frei. Die letzten Tagen war mir förmlich die Decke über dem Kopf zusammengefallen. Ich wusste nicht, wann ich mich das letzte Mal so gelangweilt hatte. Ich hatte sogar angefangen irgendsoein altes Puzzle, welches ich irgendwo in meiner alten Wohnung ausgegraben hatte, zu machen. Doch Puzzlen hatte alles andere als eine beruhigende Wirkung. Ich war kläglich gescheitert und war froh mich nun endlich wieder dem widmen zu können, was ich eindeutig viel besser konnte als Puzzlen. Handball spielen! Ein gemischtes Gefühl durchströmte meinen Körper als ich vor der Wohnungstür mit dem Klingelschild "Steffi Jichold" innehielt. Ich hatte keine Ahnung, wie Filip gleich reagieren würde. Mit zittrigen Händen, wollte ich gerade die Klingel betätigen, obwohl ich eigentlich einen Wohnungsschlüssel besaß, als die Wohnungstür auf einmal aufgerissen wurde.

Mein Herz machte förmlich einen Überschlag in meiner Brust, als ich einem etwas blöd aus der Wäsche schauenden Filip Jicha gegenüberstand, der in einer Hand sein Ipad in der Hand hielt und vermutlich noch irgendwas für das heutige Abschlusstraining fertigmachte. "Was machst du hier?", lautete dann die etwas kühle Begrüßung, die mir einen stechenden Schmerz in der Brust verpasste. Doch die Freude darüber endlich wieder aus meinem Gefängnis befreit zu sein war so groß, dass nicht mal diese eiskalte Haltung von Filip, der vermutlich mit dem Kopf einfach wo ganz anders war, nicht das breite Grinsen auf meinen Lippen verschwinden lassen konnte. "Du hast wohl nicht ernsthaft gedacht, dass du ohne mich nach Lübbecke fahren kannst", verkündete ich breitgrinsend und hob ihm triumphierend den Zettel, auf welchem mein negatives Testergebnis, sowie die Zustimmung unserer Mannschaftsarztes, dass ich wieder einsatzfähig war, entgegenstreckte. Erneut wurde ich von Filip überrascht. Dieses Mal, dass er mir etwas überraschend erleichtert in die Arme fiel und mich fest an sich zog. Ein geborgenes Gefühl, welches ich gefühlt seit Ewigkeiten nicht mehr gespürt hatte, durchfuhr mich. Auch ich krallte mich am Stoff von Filips Oberteil fest und ließ meinen Kopf gegen Filips Brust fallen. Wie sehr ich dieses Gefühl vermisst hatte. Endlich umgab mich wieder sein wundervoller Geruch, der mir in den letzten Tagen so unfassbar gefehlt hatte. Ein leichtes Kribbeln durchströmte gefolgt von einem so wärmenden und wohltuenden Gefühl meinen Körper. Ich schloss die Augen, um dieses Gefühl noch intensiver wahrnehmen zu können. Wir beide schienen uns in diesem Moment an dem anderen festzuhalten, als wollten wir uns gegenseitig zu verstehen geben, dass wir den anderen nicht wieder so schnell gehen lassen wollten.

Doch Filip hatte schon immer diese zwei Seiten, die meist fließend ineinanderübergingen. Viel zu schnell löste er sich wieder von mir. Zwar spürte ich, dass auch er kurz einen Moment wieder brauchte, um seine Gedanken zu ordnen, doch dann sagte er einfach nur harsch: "Ich geb dir 10 Minuten zum Packen. Dann müssen wir wirklich los", mit einem prüfenden Blick auf die Uhr. Ich hatte das Gefühl von einer eiskalten Welle mitgerissen zu werden. Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte. Aber vermutlich nicht diese eiskalte Haltung. Ich schluckte den stechenden Schmerz einfach hinunter, bevor ich mich nickend an ihm vorbei in die Wohnung schob. Aber vermutlich war es dumm gewesen, dass unserer Streit durch die lange Zeit, in der wir getrennt waren, einfach aus der Welt geschaffen war. "Steffen", hinterließ auf einmal diese eine Stimmlage in Filips Stimme, die ich über alles liebte, weil er nur mit mir in dieser sprach, eine Gänsehaut am ganzen Körper. Verwirrt war ich im Türrahmen zu unserem Schlafzimmer stehen geblieben und hatte mich zu Filip umgedreht, der immer noch in der Wohnungstür stand. "Schön, dass du wieder da bist", ließ diese Aussage wieder ein Lächeln auf meine Lippen zurückkehren und ließ dieses eiskalte Gefühl durch ein wärmendes Gefühl wieder verdrängen. "Ich hab dich vermisst", erwiderte ich daraufhin nur, bevor ich mich seufzend umdrehte und eilig begann meine Sachen für das heutige Training und die anschließende Auswärtsfahrt nach Lübecke zusammenzupacken. Ich wollte gerade in das Körbchen, in welchem ich meine Socken aufbewahrte greifen, als meine Finger die Truhe berührten, die ich dort versteckt hielt, wobei mir sofort auffiel, dass diese nicht richtig verschlossen worden war und an einer anderen Stelle in diesem stand.

Everything I didn't sayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt