98: Auf der Suche nach Gewissheit

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Niko:

Ich schätze das letzte Mal war ich vor meiner Mathe Abiturprüfung so nervös gewesen. Mein Herz schlug überdurchschnittlich schnell gegen meinen Brustkorb, meine Hände waren eiskalt, feucht und zitterten wie verrückt. Mein Blick lag auf dem Restaurant Eingang auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ich wusste nicht wie lange ich nun schon hier in meinem Auto saß, auf den Restauranteingang starrte und immer wieder kurz davor war, auszusteigen und nach drüben zu gehen. Jedes Mal als meine Hand am Türöffner lag, ruderte ich dann doch wieder zurück und entschied mich dagegen auszusteigen. Der Regen prasselte wie verrückt auf das Autodach, sodass ich vermutlich mein eigenes Wort nicht verstehen würde. Ich war seit einer Stunde wieder in Kiel nach dem Nationalmannschaftslehrgang und davon saß ich bestimmt mehr als die Hälfte der Zeit in meinem Auto vor dem Restaurant, in welchem Travis arbeitete und wir uns das erste Mal über den Weg gelaufen waren. Auf dem Beifahrersitz lag noch immer sein T-Shirt, aus welchem zum Glück der Tomatenglipper rausgegangen war und man von dem Missgeschick nichts mehr erkennen konnte.

Augenblicklich spielten sich die Bilder von unserem gemeinsamen Nachmittag und dem anschließenden Kuss wieder in meinem Kopf ab. Seit seinem plötzlichen Verschwinden hatte ich nichts mehr von ihm gehört. Nicht mal ein "Hey-wie geht's". Ich hatte keine Ahnung wie ich sein Verhalten nun verstehen sollte. Hatte dieser Kuss alles zwischen uns kaputt gemacht? Wollte er nichts mehr mit mir zu tun haben? Ich wusste nicht einmal, was ich mir davon erwartete, wenn ich dort reingehen würde und versuchen würde, mit ihm sprechen zu können. Würde es das endgültig Aus bedeuten? Allein bei dem Gedanken zog sich mein Magen krampfhaft zusammen und augenblicklich hatte ich wieder das Gefühl mich gleich übergeben zu müssen. Andererseits würde es einiges einfacher machen. Ich könnte diese kurze Phase der Verwirrtheit abhacken und mich endlich wieder auf die wichtigen Dinge konzentrieren. Nämlich dafür zu sorgen, dass ich mich endlich im Training wieder empfehlen könnte, sodass Filip mir endlich wieder mehr Vertrauen schenken würde und ich endlich wieder mehr Spielanteile bekommen würde.

Erneut hatte mein Körper diese Zielstrebigkeit erfasst und meine Hand öffnete die Fahrertür und ich hatte nun endgültig den Entschluss gefasst, es einfach durchzuziehen. Ich nahm noch das Shirt vom Beifahrersitz, bevor ich ausstieg und auf die andere Straßenseite hinüberstürmte. Es waren nur wenige Meter, trotzdem hatte der Regen seine Spuren auf meiner Kleidung hinterlassen. Dieses Norddeutsche Wetter hatte ich echt nicht vermisst. Ich atmete noch einmal tief durch, bevor ich die Tür des italienischen Restaurants öffnete. Sofort kam mir ein himmlischer Essensgeruch und eine warme Luft entgegen. Mein Herz schlug laut gegen meinen Brustkorb, während ich einen Blick durch das gut besuchte Restaurant warf. Ich atmete erleichtert auf, als ich Carina hinter dem Tresen entdeckte, die gerade dabei war die Getränke auf der Bestellliste in Gläser abzufüllen. Zielstrebig lief ich auf den Tresen zu und ließ mich dort auf einen der Barhocker fallen. "Moin", grüßte ich sie und versuchte dabei so normal wie möglich zu klingeln, um mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen. Sie zuckte erschrocken zusammen und atmete erleichtert auf, als sie sah, dass ich es war. "Musst du mich so erschrecken?", fragte sie mich ohne ihre Arbeit zu unterbrechen, wobei ich echt staunte, wie schnell und sicher jeder Handgriff saß.

"Du bist doch nicht hier, um mir beim Getränke einschenken zuzuschauen, oder?", holte mich ihre Stimme wieder zurück in die Realität und erinnerte mich daran, weswegen ich ursprünglich hier war. "Nein. Ich muss mit Travis reden. Dringend", platzte es aus mir heraus. Ich ging einfach mal davon aus, dass sie Bescheid wusste, denn so eng wie die beide befreundet waren, schätzte ich, dass Travis ihr erzählt hatte, was vor einer Woche bei mir zuhause passiert war. "Du bist gut. Der steht gerade hinten am Herd und versucht die ganzen Gäste hier mit leckerem Essen zu versorgen", kam es kopfschüttelnd von Carina. "Bitte Carina. Es dauert nicht lange", bettelte ich sie förmlich an, Travis wenigstens kurz nach vorne zu holen. Ohne das ich eine Antwort bekam lief sie mit dem vollen Tablett davon, um den großen Rundtisch zu bedienen. Nervös trommelte ich mit den Fingern auf den Tresen, während ich darauf wartete, dass sie zurückkam. "Moin Niko", sprach mich auf einmal Toni, der Restaurantbesitzer an, der uns mittlerweile von zahlreichen Besuchen kannte. "Moin", grüßte ich ihn freundlich zurück. "Alles gut? Willst du was bestellen?", fragte er mich. "Nein, ich hab schon bestellt", log ich schnell, bevor sich dieser mit einem freundlichen Lächeln wieder abwendete.

Everything I didn't sayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt