165: Getäuscht

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Travis:

Ich hatte wirklich lange überlegt, ob ich wirklich mit in die Halle kommen sollte. Ich wusste, dass es hart werden würde. Das es verdammt schwer werden würde Niko auf dem Spielfeld zu sehen. In jeder freien Minute musste ich automatisch immer an ihn denken. Mein Herz sagte mir, dass es die falsche Entscheidung gewesen war, ihn vorerst aus meinem Leben zu verbannen bis er sich sicher war, was er wirklich wollte. Doch mein Verstand sagte mir, dass es vermutlich das beste für mein Herz war, auch wenn es sich aktuell vielleicht noch nicht so anfühlte. Dieses ständige hin und her hat mich einfach fertig gemacht. Nicht zu wissen, wann er die Nähe wieder zu mir suchte und wann er mich wieder von sich wegstieß. Außerdem wollte ich nicht derjenige sein, der Niko auf dem Weg sich selbst zu finden, zu irgendwas drängte. Er musste für sich herausfinden, was das Richtige war. Aus diesem Grund war es besser, wenn wir uns vorerst aus dem Weg gehen.

Somit hatte ich mich heute Abend wieder in das etwas zu kleine Trikot von Filip Jicha gezwängt. Das Spiel war es auf jeden Fall wert gewesen in der Halle zu sein. Es war ein richtiges Handballfest gewesen. Am Ende siegte der THW Kiel mehr als verdient nach einem großartigen Auftritt mit 32:19 gegen den TBV Lemgo Lippe. Niko hatte heute eine gesamte Halbzeit über durchspielen dürfen und hatte sogar fünf Treffer zum Sieg beisteuern können. Gerade lief er einen Arm um Steffen gelegt mit diesem die Ehrenrunde über das Spielfeld, um sich bei den Fans für die atemberaubende Stimmung zu bedanken. Ein breites Grinsen lag auf seinen Lippen und ich konnte nicht verhindern, dass ich ebenfalls mit der Sonne um die Wette strahlte, weil ich mich einfach so verdammt für ihn freute. Ich wusste schließlich wie sehr er die letzten Wochen mit sich selbst und seiner Leistung nach der Verletzung gehadert hatte. Von diesem fehlenden Selbstbewusstsein war heute nichts zu sehen gewesen. Er war mutig in die Zweikämpfe gegangen, hatte ein gutes Auge für seine Mitspieler und die Spielfreude war ihm deutlich anzusehen gewesen. Und da war es wieder. Dieses Verlangen nach unten an den Spielfeldrand zu laufen und dort auf ihn zu warten. In ihn meine Arme zu schließen und ihm einen Siegeskuss zu schenken. Wie gerne würde ich ihm sagen, wie stolz ich auf ihn war. Stattdessen stand ich regungslos oben auf der Tribüne, während Victoria bereits schon längst auf den Weg nach unten zu Lucie war. Ich meinte die beiden sogar in der Menschenmenge, die sich bereits ganz unten gebildet hatte, erkannt zu haben.

Die Mannschaft stellte sich unterdessen auf dem Spielfeldrand auf und dem Kapitän Dule wurde das Mikrophon gereicht, um sich bei den Fans für ihre Unterstützung zu bedanken. Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter. "Willst du nicht nach unten gehen?", hörte ich die Stimme meiner Mutter. Ich schüttelte den Kopf. "Was soll das schon bringen?", fragte ich sie. "Ich kann dir nicht versprechen, dass es was bringen wird, aber ich sehe doch wie sehr du ihn vermisst", ihre Hand strich liebevoll über meine Wange. "Du weißt doch, dass ich damals bei deinem Vater anfangs keine Interesse hatte ihn kennenzulernen, nachdem er mir den Kaffee übergeschüttet hat..", begann sie. "... und er hat nicht locker gelassen bist du zu einem Date zu gestimmt hast... ich weiß", beendete ich die alte Geschichte, die ich vermutlich bereits schon hundert mal gehört hatte. "Was ich dir eigentlich sagen will. Wenn er der Richtige ist, dann geh nach unten und kämpfe um ihn", beendete sie ihr Anliegen, bevor sie mir nochmal aufmunternd auf die Schulter klopfte und dann wieder nach drinnen in die VIP Lounge verschwand.

Einige Minuten dachte ich über die Worte meiner Mutter nach. Sollte ich nach unten gehen? Würde er überhaupt mit mir reden? Ich sah die Menschenmenge unten am Spielfeldrand und bezweifelte, dass er mit mir zusammen gesehen werden wollte. Außerdem ging ich davon aus, dass seine Familie nach wie vor noch zu Besuch war. Mein Verstand sagte mir, dass ich oben bleiben sollte. Die sichere Distanz wahren sollte. Doch mein Herz sagte mal wieder das komplette Gegenteil. Erneut lieferten sich Kopf und Herz einen harten Fight. Am Ende war es dann doch mein Herz, welches sich gegen meinen Verstand durchsetzen konnte. Mein Herz klopfte wie verrückt als ich die Treppen nach unten zum Spielfeldrand lief. Ich stellte mich mit Absicht ganz ans Ende der Reihe mit etwas Abstand zu den anderen Fans. Er würde mich schon sehen, wenn er rauskommen wird. Nervös spielte ich mit meinen Händen, während ich darauf wartete, dass er aus der Kabine kam.

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