190: die kalte Schulter zeigen

97 8 5
                                    

Vic:

Der gestrige Tag fühlte sich noch immer an wie ein Traum. Mein Gehirn hatte noch immer nicht begriffen, dass ich gestern zusammen mit Lucie in der Halbzeit ein Interview auf dem Spielfeld der Ostseehalle gegeben hatte, um für das Final4 der weiblichen A Jugendbundesliga Werbung zu machen. Immer wieder versuchte ich mir den stolzen Blick von meinem Großvater vorzustellen. Ich wünschte er hätte dies noch miterleben können.

Rückblick:

Ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal so aufgeregt gewesen war. Mein Herz klopfte in einer nicht gesunden Geschwindigkeit gegen meinen Brustkorb. Immer wieder wischte ich mir meine schwitzigen Hände zitternd an meiner Jeanshose ab. Ich warf einen ängstlichen Blick zu Lucie hinüber, als wir zusammen das Spielfeld betraten, nachdem uns Maschine zu sich gewunken hatte. Sie reagierte jedoch nicht auf meinen Blickkontakt, was nicht dazu beitrug, dass ich mich etwas entspannte. Im Gegenteil! Mein Puls schoss nochmal ordentlich nach oben. Es war verwunderlich, dass meine Smartwatch noch keinen Alarm auslöste, denn mein Puls war gefühlt über 200. Maschine hob uns kurz die Faust hin und ich schlug schnell mit ihm ein und hoffte, dass man das Zittern meiner Hand nicht mitbekommen hatte.

"So und ich darf heute zwei Ehrengäste an meiner Seite begrüßen", hallte Maschines Stimme über das Mikrophone durch die Sparkassen Arena und die Zuschauer, die noch auf ihren Plätzen saßen applaudierten. "Zur meiner linken Seite steht einmal Lucie, die Tochter von unserem Trainer Filip", fuhr Maschine weiter fort und nickte Lucie kurz freundlich zu, die etwas abwesend lächelte. Unterdessen hatte die Halle mit "Jicha Hej Filip Hej" geantwortet. Eine Gänsehaut breitete sich an meinem gesamten Körper aus. "Reiß dich zusammen", betete ich innerlich. Die rote Karte von Magnus schien Lucie etwas aus dem Konzept gebracht zu haben. "Auf meiner rechten Seite steht Victoria die Tochter von unserer Nummer 13 Steffen", fuhr Maschien fort und die Arena antwortete mich: "Weinhold Hej Raffi Hej." Nach wie vor, war es für mich ungewohnt als Steffens Tochter bezeichnet zu werden. Doch mittlerweile musste ich zugeben, dass es mich jedes Mal mit Stolz erfüllt, als Steffens Tochter betitelt zu werden. "Und die beiden haben eine Ankündigung zu machen", leitete Maschine über und schaute zwischen uns beiden hin und her, an wen er nun das Mikrophon übergeben sollte. Ich schaute auffordernd zu Lucie hinüber, weil es ausgemacht gewesen war, dass Lucie reden würde. Doch diese reagierte nicht. Ich fasste meinen ganzen Mut zusammen und nahm Maschine das Mikrophon ab. Natürlich atmete ich erstmal in das Mikrophon! Peinlich! "Guten Abend Kiel", begann ich schließlich improvisatorisch mehr oder wieder im Stil von Rune Dahmke. Die Menge applaudierte. Ein geiles Gefühl. Das Adrenalin rauschte förmlich durch meine Adern. "Also am 04. und 05.06 wird hier in der Kieler Ostseehalle das Final4 der weiblichen A Jugendbundesliga stattfinden. Wir haben es geschafft uns mit unserer Mannschaft der HSG Mönkeberg-Schönkirchen für das Final4 zu qualifizieren und werden am Samstag im Halbfinale auf den BVB treffen", fuhr ich fort. Ich hatte das Gefühl am gesamten Körper zu zittern, aber meine Stimme klang erstaunlich sicher. Unterdessen jubelte der Block, in welchem unsere Mannschaft saß. "Die gute Nachricht. Wenn ihr euch ein Ticket für das Heimspiel des THW Kiels gegen den HSV Hamburg kauft, gilt dies auch als Eintrittskarte für das Final4 Turnier und wir würden uns freuen, wenn möglich viele von euch bereits am Samstag den Weg in die Halle finden würden, um uns im Halbfinale zu unterstützen, damit wir am Sonntag vor dem Bundesligaspiel der Jungs um die Meisterschaft kämpfen können", verkündete ich. Erneut bekam ich lauten Beifall. Ein verdammt geiles Gefühl. Ich gab das Mikrophon an Maschine zurück und diesem Moment fiel ein riesengroßer Stein von meinem Herzen ab.

Die Kirsche auf der Sahnetorte war anschließend noch der knappe 33:32 Heimsieg gewesen, wodurch die Kieler sich das Ticket für das Final4 in Köln buchen konnten. "Ich kann es kaum erwarten, dass wir bald wirklich auf dem gleichen Spielfeld wie die THW Kiel Spieler spielen werden", ließ ich meine Vorfreude zum Ausdruck bringen, während ich auf dem Beifahrersitz von Steffens Auto saß und zusammen mit Lucie Richtung Trainingshalle fuhr. Mit Hinblick auf das anstehende Finalturnier hatte unser Trainer das Trainingspensum nochmal deutlich erhöht. Wir trainierten aktuell viermal die Woche, weswegen aktuell wenig Zeit für andere Dinge neben dem Handball und der Uni blieb. Meine Aussage nahm Lucie nur mit einem "Ehem", zur Kenntnis. Bereits den ganzen Tag über war sie so seltsam still. Bisher hatte ich auch nicht herausfinden können, weswegen sie heute so schlecht gelaunt wirkte. Das Einzige was mir nicht entgangen war, dass sie bisher jeden Anruf von Magnus weggedrückt hatte und auch auf keine seiner gefühlt tausend Nachrichten geantwortet hatte. Es herrschte wohl Ärger im Paradise. Den Grund dafür hatte Lucie mir jedoch bisher nicht verraten wollen.

Everything I didn't sayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt