188: Bergziegen

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„Guten Morgen ihr Schlafmützen. Ich hoffe ihr seid angezogen. Der Berg ruft", ließ die gut gelaunte Stimme seiner kleinen Schwester Niko erschrocken die Augen aufschlagen. Er hatte sich noch nicht einmal orientiert, da wurde bereits die Zimmertür von seiner Schwester aufgerissen und das Licht aus dem Flur blendete ihn. Keine zwei Sekunden später wurden die Fensterläden aufgerissen. „Aufstehen. Wir haben heute einiges vor", flötete sie unternehmungslustig. Müde gähnend setzte sich Travis mit verwuschelten Haaren neben Niko im Bett auf. Sein erster Blick wanderte auf seine Smartwatch, die neben ihm auf dem Nachttisch lag und ihm verriet, dass es Punkt acht war. „Ist sie morgens immer so gut gelaunt?", erkundigte sich Travis und konnte sich erneut ein müdes Gähnen nicht verkneifen. Niko schaffte es nicht einmal mit einem Nicken auf Travis Frage zu antworten. Stattdessen ließ er sich erschöpft in sein Kopfkissen zurückfallen, schließlich waren sie gestern erst nach Mitternacht hier angekommen.

Da dieses Wochenende ausnahmsweise mal kein Spiel auf dem Terminkalender gestanden hatte, hatte Filip ihnen netterweise das Wochenende trainingsfrei gegeben. Spontan hatte Niko Travis gefragt, ob sie über das Wochenende nach Österreich in die kleine Ferienwohnung seines Vaters auf dem Berg zum Wandern fahren wollten. Dieser war sofort von dieser Idee begeistert gewesen und hatte seine zahlreichen Überstunden, die er angesammelt hatte abgebaut und sich das Wochenende über freigenommen. Nikos Schwester hatte sofort gefragt, ob sie mitkommen könnte, als sie von Nikos Reisenplänen erfahren hatte. Da Travis nichts dagegen gehabt hatte, dass sich Mariya ihnen anschließen würde hatte es die drei nun in das kleine bescheidene Ferienörtchen Silberleiten, welches zwischen dem Zillertal und dem Salzburger Land gelegen war, gezogen. Mariya hatte bereits die Wanderung für den heutigen Tag geplant und scheuchte die beiden Männer nicht auf die freundlichste Art und Weise aus dem Bett. „Schlafen könnt ihr heute Abend wieder", erklärte sie. „Jetzt geht es auf den Berg", erinnerte sie die beiden, dass sie nicht zum faulenzen hier hergekommen waren.

„Ja Madame", äffte Niko gereizt und wühlte in seiner Reisetasche herum bis er sein Trainingsoutfit gefunden hatte. „Ich mach so lange Kaffee. Willst du auch einen?", erkundigte sie sich bei Travis, ob dieser auch Kaffeetrinker war. „Gerne. Einfach klassisch schwarz", gab Travis dankbar seine Bestellung auf. „Schwarz wie die Nacht. Das gefällt mir. Dein Freund hat einen guten Geschmack", meinte Mariya zwinkernd und ließ die beiden nun wieder allein, damit sie sich in Ruhe fertig machen konnten, während sie bereits den Frühstückstisch deckte.

Kurz darauf kamen die beiden ebenfalls fertig für den Berg gekleidet ins Esszimmer und setzten sich an den bereits gedeckten Tisch. „Ich kann leider nur Aufbackbrötchen, Toastbrot und Müsli anbieten. Im Sommer hat der kleine Bergladen nicht offen und auch der Brötchenservice fährt nicht und der Supermarkt auf der anderen Seite öffnet erst um neun" , erklärte Mariya. „Ich bin nicht wählerisch. Keine Sorge", meinte Travis. „Manchmal ist gerade einfach am besten", fügte er noch schmunzelnd hinzu. Er blickte sich in der gemütlichen im Alpenstil eingerichteten Ferienwohnung um. Es war einfach kuschlig hier. Ein Ort zum Wohlfühlen. Ein Blick aus dem Fenster reichte um komplett die Seele baumeln lassen zu können. Das Geräusch der Kuhglocken hatte ein unfassbar beruhigenden Charakter. „Ich mag es hier", verkündete er. „Wir auch. Nur kommen wir einfach viel zu selten hier hoch, seit mein Bruderherz gemeint hatte sein Geld mit Handballspielen verdienen zu müssen", sagte Mariya mir etwas Wehmut in der Stimme. Natürlich war sie stolz auf alles was ihr Bruder bisher erreicht hatte. Trotzdem vermisste sie diese vielen gemeinsamen Ausflüge mit ihrem Bruder zusammen. Sie sahen sich einfach viel zu selten. „Immerhin verdiene ich mein Geld mittlerweile selbst", konterte Niko direkt, der mittlerweile wieder wach genug war, um seine Nebenleute mit seinen typischen Kommentaren aufzuziehen. Sofort spürte er die Faust seiner Schwester die gegen seinen Oberarm gerammt wurde. „Aua", beschwerte er sich. „Du hast es dir nicht anders verdient. Außerdem versuche ich mich für ein Job in einem Restaurant zum kellnern zu bewerben, um mir such etwas Geld dazuzuverdienen", erklärte sie. „Wir nehmen dich gerne. Wir suchen immer händeringend nach helfenden Händen", bot Travis sofort an. „Nur blöd, dass ich in Wien studiere", bedauerte sie. „Unternehmenskommunikation kann man bestimmt auch in Kiel studieren", warf Niko in den Raum. „Großartige Idee. Ich ziehe nach Kiel und dann wird dein Vertrag in Kiel nicht verlängert und dann sitze ich allein in einer Stadt in der ich kein Schwein kenne", Mariya ging davon aus, dass Niko diesen Vorschlag eh nicht ernst gemeint hatte. „Eigentlich darf ich es noch nicht offiziell verkünden, aber beim Heimspiel gegen Hamburg wird meine Vertragsverlängerung bis 2024 bekannt gegeben", rückte Niko nun doch mit den Neuigkeiten raus, die er bereits seit Donnerstag nach seiner Vertragsunterzeichnung hatte verkünden wollen, aber eben noch stillschweigen bewahren musste.

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