6: Schlafmütze

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Steffen:

Das Erste was ich am nächsten Morgen wahrnahm, war die genervte Stimme meines norwegischen Positionskollegen irgendwo in der Ferne. Durch das offene Fenster strahlten bereits die ersten Sonnenstrahlen und ließen mich geblendet die Augen zusammenkneifen. Ich wollte mich gerade murrend nochmal umdrehen, als ich etwas auf mein Gesicht klatschen spürte. Im wahrsten Sinne des Wortes stand ich daraufhin senkrecht im Bett. "Endlich", vernahm ich Harrys Stimme, während ich noch immer wie eine Statue in meinem Hotelbett saß und nicht so recht wusste, was geschehen war. Es dauerte einige Zeit bis ich realisierte, dass der Gegenstand, der mich aus dem Schlaf hochgerissen hatte, Haralds Kopfkissen war.

"Sag mal spinnst du?", fragte ich meinen Mannschaftskollegen fassungslos über diese neue Weckmethode. "Was? Wenn du sonst nicht reagierst", verteidigte sich dieser. "Außerdem hat mein Wecker bereits vor 15 Minuten geklingelt und in genau 5 Minuten ist Treffpunkt beim Frühstück. Also an deiner Stelle würde ich mich bei mir bedanken und dann beeilen. Außer du willst wieder zu spät kommen", überfiel mich Harald mit einer viel zu großen Wörterflut um diese frühe Uhrzeit. Wie spät war es überhaupt? Ein Blick auf mein Handydisplay reichte jedoch aus, um erschrocken festzustellen, dass es bereits 7:25 war und mein Zimmerpartner nicht übertrieben hatte. Schnell warf ich das Kopfkissen von Harald wieder zurück auf sein Bett bevor ich die Bettdecke umschlug und aus dem Bett sprang. Hektisch stürmte ich ins Badezimmer. Nahm meine Zahnbürste aus dem Kulturbeutel und drückte etwas Zahnpasta auf diese, bevor ich sie mir eilig in den Mund steckte und wieder zurück ins Zimmer eilte. Meine Multiktasking Fähigkeiten so früh am Morgen hielten sich jedoch in Grenzen. Als ich dabei war mir gleichzeitig mit der einen Hand die Zähne zu putzen und mit der anderen meine Socken unterdessen anzuziehen, verlor ich das Gleichgewicht und landete auf dem Hosenboden. Harald, der leider noch nicht verschwunden war, brach in lautes Gelächter aus. Ich hatte jedoch keine Zeit ihm einen wütenden Blick zuzuwerfen, sondern hetzte wieder zurück ins Badezimmer um das Gemisch in meinem Mund auszuspucken. Pseudomäßig strich ich mir ein zweimal mit der Bürste über die Haare, damit ich nicht ganz den Eindruck machte, direkt aus dem Bett gefallen zu sein. Ich griff schnell noch das THW-Shirt vom gestrigen Abend, bevor ich dann das Zimmer verließ, während ich mir dieses über den Kopf streifte. Schnell schloss ich noch unser Zimmer ab, bevor ich Richtung Treppenhaus eilte. Um auf den Aufzug zu warten, reichte die Zeit nicht aus.

Schnell streifte ich mir noch meine Maske über, bevor ich dann die Treppen nach unten rannte. Ich verfluchte in diesem Moment, dass wir um fünften Stock untergebracht waren. Da mein Handy noch auf dem Zimmer lag, wusste ich nicht einmal, wie viel Zeit mir noch blieb oder ob ich bereits zu spät war. Da mir jedoch keiner der anderen Jungs begegnete auf dem Weg zum Speisesaal ging ich davon aus, dass ich mal wieder zu spät kommen würde. Mal wieder! Vollkommen außer Atem platzte ich in unseren Frühstücksraum, wo bereits alle anderen an den beiden großen Tischen saßen. Sofort spürte ich diese unverwechselbaren, sehr vertrauten Augenpaare auf mir, die meine Wange peinlich berührt rot färben ließen und andererseits dafür sorgten, dass mein Herz in meiner Brust mal wieder am Durchdrehen war, was jedoch nicht auf meinen Sprint zurückzuführen war. Ich traute mich erst gar nicht in die Richtung des Trainer- und Betreuertisches zu schauen. Zielstrebig steuerte ich das Frühstücksbüffett an.

Ich war gerade dabei das Früchte-Müsli auf meinen Berg Naturjoghurt zu schaufeln, als sich zwei vertraute Arme von hinten um meinen Körper schlangen. "Hey", zauberte die Stimme von Filip mir eine Gänsehaut in den Nacken, während ein Kribbeln in meinem Bauch sein Unwesen trieb. Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen, welches jedoch von der blöden Maske verdeckt wurde, die ich immer noch trug, drehte ich mich zu Filip um. "Gut geschlafen?", fragte er mich. Bevor ich jedoch auf seine Frage antworten konnte, schob er mit seinem Daumen meine Maske nach unten ans Kinn und legte seine Lippen auf meine. Sofort blendete sich alles um mich herum aus und ich wollte nur eins, dieses wunderschöne Gefühl aufsaugen. Seine Lippen schmecken leicht süß nach Erdbeermarmelade. Viel zu schnell löste er sich jedoch wieder von mir und ließ mich unsanft von unserer Wolke sieben zurück in die Realität kehren. Noch immer total benebelt, gab ich stammelnd eine Antwort auf seine Frage: "Ja nur ... zu kurz." Sofort bildete sich dieses Grinsen auf seinen Lippen, welches ihn noch so viel attraktiver machten und das Verlangen weckten, erneut seine Lippen schmecken zu dürfen. Bevor ich jedoch Filips Vorhaben realisierte, klaute sich dieser blitzschnell eine Rosine aus meiner Müslischale und steckte sie sich frech grinsend in den Mund. Total perplex ließ er mich daraufhin am Büffett stehen und lief wieder zu seinem Platz zurück.

Everything I didn't sayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt