126: Freundschaft

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Lucie:

Es war bereits stockdunkel draußen, als der kleine Vereinsbus nach der Auswärtsfahrt nach Hannover wieder in Mönkeberg-Schönkirchen ankam. Im Gepäck hatten wir zwei hart erkämpfte Punkte. Wir waren nicht gut ins Spiel gekommen und waren aufgrund einiger technischer Fehler zu Beginn des Spiels und einigen Fehlwürfen in den ersten Spielminuten schnell einem fünf Tore Rückstand hinterhergelaufen. Mit einem 17:12 war es in die Halbzeit gegangen. Die Abwehrumstellung auf die 3-2-1 hatte uns letztendlich wieder zurück ins Spiel gebracht. Wir hatten hinten in der Abwehr endlich Bälle gewinnen können und über die erste und zweite Welle einfache Tore erzielen können. Fünf Minuten vor Ende des Spiels waren wir dann wieder auf Augenhöhe mit den Hannoveranern gewesen. Am Ende war es ein echter Krimi gewesen. Ich spürte noch immer das Adrenalin durch meinen Körper jagen. Im letzten Angriff hatte Victoria einen sieben Meter rausholen können. Da Isi zuvor verworfen hatte, hatte ich mich bereit erklärt diese Aufgabe zu übernehmen. Im Training warf ich am Ende oft noch ein paar sieben Meter gegen Jessi. Doch im Spiel trat ich selten an den Strich. Ich hatte vor Nervosität am ganzen Körper gezittert. Als ich an den Strich gegangen war hatte ich gewusst, dass ich die Entscheidung über Sieg oder Unendschieden in der Hand hatte. Die Torhüterin hatte sich groß gemacht, um mich einzuschüchtern. Als ich  vor ihr stand hatte ich mich daran erinnert, wie ich mit Magnus mal darüber gesprochen hatte, was bei ihm so durch den Kopf ging, wenn er sieben Meter warf. Er hatte gesagt, dass er eigentlich einfach alles um sich herum versucht auszublenden und den Ball einfach ins Tor feuert. Von Niclas wusste ich, dass er es schaffte nur noch das Tor zu sehen und sich alles andere als schwarz ausblenden konnte. Mein Herz hatte wie verrückt gegen meinen Brustkorb geschlagen. Als ich dort stand und der Pfiff der Schiedsrichterin erklang hatte ich es kurz bereut diese Verantwortung übernommen zu haben. Letztendlich war es etwas Glück gewesen, dass der Ball vom Arm der Torhüterin doch noch ins Tor gekugelt war.

Unsere Gegenspielerin hatten mir, als wir jubelnd im Kreis gesprungen waren fast etwas leidgetan, weil sie eigentlich über die größte Zeit des Spiels die bessere Mannschaft gewesen waren. Am Ende hatte wir uns mit viel Wille wieder zurück ins Spiel gekämpft und hatten am Ende das Glück auf unserer Seite gehabt. Vermutlich wäre das Unentschieden jedoch das gerechteste Ergebnis gewesen. Aber ich war erleichtert, dass wir ein Spiel, bei welchem wir nicht gut begonnen hatten, dennoch geschafft hatten zu drehen. Der sechzigminütige Kampf hatte jedoch auch Spuren hinterlassen. Ich war fix und fertig. Am liebsten würde ich nur noch ins Bett fallen, obwohl es gerade einmal kurz nach 18 Uhr war. Mühevoll erhob ich mich von meinem Platz, schulterte meinen Turnbeutel und folgte meinen Teamkolleginnen aus dem Bus.

Nachdem Andi seine abschließende Ansprache beendet hatte, holte ich meine Sporttasche aus dem Gepäckraum und verabschiedtete mich mit einer Umarmung von Jessi und Yara. "Wir sehen uns morgen Abend im Training", rief ich, bevor ich mich umdrehte und Richtung Parkplatz lief. Ich hatte gerade Steffens Wagen aufgeschlossen und meine Tasche im Kofferraum verstaut, als eine Person auf einmal hinter mir stand, als ich mich umdrehte, um einzusteigen. Mein Herz war mir förmlich in die Hose gerutscht. "Erschreck mich nicht so", fauchte ich Vic an, die auf einmal wie aus dem Nichts hinter mir aufgetaucht war. Seit unserem Streit hatten wir kein einziges Wort mehr miteinander gewechselt und waren uns so gut es ging aus dem Weg gegangen. "Sorry, das war keine Absicht", entschuldigte sie sich, während ich erstmal erleichtert aufatmete und mich von dem Schock wieder erholte. Dann herrschte gefühlt eine Minute lang schweigen. Sie starrte mich nur an. Sagte aber nichts.

"Ist noch was?", pflaumte ich sie etwas unfreundlich an, auch dem geschuldet, dass ich eigentlich nur nach Hause wollte. "Ich wollte dich fragen, ob du zufällig noch den Umschlag hast", fragte sie vorsichtig. Seufzend griff ich in meine Jackentasche und zog den zerknitterten Umschlag heraus und drückte ihn ihr wortlos in die Hand. "Zukünftig überleg dir vorher, bevor du Sachen jemanden in die Hand drückst, die du später eventuell wiederhaben willst", fauchte ich sie an. Ich wollte ihr zeigen, dass ich nach wie vor wütend und verletzt war, aufgrunddessen was sie mir vorgeworfen hatte, obwohl mich keine Schuld traf. Doch ich hatte auch keine Ahnung, wie ich sie vom Gegenteil überzeugen sollte. "Danke", sagte sie daraufhin bloß, bevor sie sich umdrehte. Ich wollte gerade die Autotür öffnen und einsteigen, als ich erneut meinen Namen hörte.

Everything I didn't sayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt